Ukraine-Krieg: "General Armageddon" übernimmt
Der mutmaßlich ukrainische Anschlag auf die Krim-Brücke wird neben den Raketenangriffen weitere Eskalationen von russischer Seite nach sich ziehen. Drohungen des Kremls sollten nicht als Theaterdonner abgetan werden.
Auch der mutmaßlich vom ukrainischen Geheimdienst begangene Anschlag auf die Krim-Brücke war eine Eskalation im Ukraine-Krieg. Angesichts zahlreicher Kriegsgräuel der russischen Armee wird er von den deutschen Unterstützern der Ukraine zwar nicht als solche betrachtet, obwohl mittlerweile fünf zivile Todesopfer gemeldet werden.
Für die Eskalationsspirale ist die Kreml-Sicht entscheidend
Doch es kommt hier auf die Meinung des Gegners im Kreml an, ob er die Explosion als Eskalation auffasst und seinerseits bereit ist, mit noch härteren Methoden als bisher zu reagieren – und nicht auf die von deutschen Journalisten. Und er tut das, schon alleine wegen des unbestreitbaren Symbolwerts des Bauwerks als Verbindung von Russland und der Halbinsel Krim, der noch wesentlich höher ist, als deren Wert als Nachschubweg für die eigene Armee.
Dass die Bereitschaft zur Eskalation besteht, zeigten deutlich die heftigen Raketenangriffe auf ukrainische Städte und Infrastruktur, die am Montagmorgen umfassende Verwüstungen anrichteten und ihrerseits elf Todesopfer forderten. Das russische Verteidigungsministerium bezeichnete sie als "massiven Schlag" auf "Kommando- und Kontrollsysteme, Kommunikation und Energie".
Ebenso wie deutsche Kommentatoren die LKW-Sprengung auf der Krim-Brücke mit Häme, wenn nicht sogar Begeisterung begleiteten, lobten russische Propagandisten wie Margarita Simonjan den Gegenschlag schlicht als "Antwort" nach Überschreitung einer "roten Linie". Die Eskalation wird von den Scharfmachern beider Seiten beklatscht. Wer von ihnen mehr im Recht sein mag, spielt für die weitere Eskalation keine Rolle.
Der "Mann ohne Gefühle" übernimmt das Kommando
Sie ist vorprogrammiert, auch wenn das für viele geschundene Zivilisten vor Ort kaum noch möglich erscheint. Unmittelbar nach der Explosion auf der Brücke ernannte das russische Verteidigungsministerium einen neuen Kommandeur für die Invasionstruppen in der Ukraine: General Sergej Surowikin, von regierungsnaher russischer Presse auch "General Armageddon" genannt. Diesen Namen trägt er nicht von ungefähr.
Wie die russische Tageszeitung Kommersant berichtet, war er schon 1991 als Offizier am russischen Augustputsch beteiligt, als er mit seiner Einheit versuchte, Moskauer Barrikaden der Demokraten zu durchbrechen, wobei drei Zivilisten starben.
Dafür erhielt Surowikin sieben Monate Gefängnis, was jedoch seiner militärischen Karriere keinen Abbruch tat. 2004 musste er sich als Divisionskommandeur für mehrere Kriegsgräuel in Tschetschenien entschuldigen, zu denen die recht schlagzeilenträchtige "Säuberung" des Dorfes Borodinowskaja gehörte.
Dennoch übernahm er im Zuge der Ukraine-Invasion die Leitung der Südgruppe der Invasionstruppen. Die lettische Onlinezeitung Meduza zitiert eine Quelle aus dem Kreml-Umfeld, die Surowikin als "Mann ohne Gefühle" bezeichnet.
Gemäß der exilrussischen Zeitung Media.zona tötete "russisches Militär unter seinem Kommando systematisch Zivilisten und zerstörte zivile Infrastruktur". Surowikin gilt als Befürworter solcher Angriffe und auch generell als Hardliner innerhalb der Militärs - weshalb die Personalie ebenso wie die Raketenangriffe als russische Antworten auf die Krim-Brücke gesehen werden sollten. Eine langfristige Antwort für eine (noch) härtere Kriegsführung und ein kurzfristiger Sofortschlag als unmittelbare Antwort.
Beobachter werten die Ernennung ebenso wie den massiven Raketenangriff als Zeichen des Anwachsens des Einflusses der "Falken" auf den Kreml. So beklatschte Söldnerführer und Trollfabrikchef Jewgenij Prigoschin die Ernennung von Surowikin als "kompetentesten Kommandeur der Armee".
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine von Russland als Eskalation aufgefasst werden würde – mit entsprechender Antwort. Nicht umsonst versuchen die Befürworter solcher Nachschublieferungen in Deutschland russische Drohungen als "Theaterdonner" abzutun, wenn nicht lächerlich zu machen.
Theaterwaffen sind jedoch nicht das, was dem Kreml zur weiteren Kriegführung noch zur Verfügung steht – und die Wirkung der realen Antwort wird niemanden zum Lachen bringen.
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