Ukraine-Krieg, Nato und Russland: Perverses Spiel mit der nuklearen Gefahr

Seite 3: Für das ZDF muss Putin Atombomben abwerfen

Doch die nukleare Option der Russen wird im Westen offenbar nicht ernst genommen. So hieß es etwa im ZDF noch in Oktober: "Seit Kriegsbeginn hat Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Passiert ist bislang nichts". Folgt man dieser Argumentation, müsste Putin, um das ZDF zu beeindrucken, irgendwo ein paar Atombomben abwerfen.

Die Gelassenheit der deutschen Medien gegenüber der Atomkriegsgefahr kommt nicht von ungefähr. Ganz in dieser Logik – die Russen bluffen nur! – agiert seit Kriegsbeginn die Biden-Regierung, wie die Washington Post Anfang Juni unter Berufung auf Regierungsquellen berichtete. Der Artikel war übertitelt mit "Biden zeigt wachsende Lust, Putins rote Linien zu überschreiten".

Die "Lust" nehme zu, weil der russische Präsident Wladimir Putin seinen Drohungen keine Taten folgen lasse, so die Zeitung. Diese Einschätzung habe Außenminister Antony Blinken dazu veranlasst, auf eine weitere und stärkere Unterstützung der Ukraine zu drängen.

Russlands Zurückhaltung bei Vergeltungsmaßnahmen habe das Risikokalkül von Außenminister Antony Blinken beeinflusst, hieß es aus Kreisen des Außenministeriums. Als enger Vertrauter von US-Präsident Joe Biden habe er die Regierung und die Verbündeten der USA dazu ermutigt, die Ukraine stärker zu unterstützen.

Wie nervös die Biden-Regierung aber tatsächlich werden kann, wenn die Gefahr eines russischen Atomwaffeneinsatzes nach der jetzt geltenden Doktrin auch nur theoretisch steigen sollte, zeigte die eintägige Wagner-Meuterei, angeführt vom ehemaligen "Koch Putins", Jewgeni Prigoschin.

Mit Nachdruck betonte man in Washington, mit dem Putsch nichts zu tun zu haben. Denn bei einem drohenden Machtwechsel in Moskau könnte dann der Tatbestand der "Gefährdung der staatlichen Existenz Russlands" greifen, was Angriffe auf mutmaßliche Urheber des Putschversuchs – auch im Ausland – einschließen könnte.

Auch die Möglichkeit, dass die Putschisten nach einem Machtwechsel nebenbei die Kontrolle über den roten Knopf erhalten könnten, wurde in westlichen Zeitungen eifrig diskutiert. Ein berechenbarer Putin, der seit 23 Jahren in Russland an der Macht ist, erscheint aus dieser Perspektive fast wie eine rettende Option.

Das verhindert aber nicht Schlagzeilen wie: "Ukrainische Atomwaffen - warum eigentlich nicht?", hier in der Welt vom 21. Juni. Wir sehen, dass allein in den letzten Wochen weitere rhetorische Tabus in Bezug auf den Einsatz von Atomwaffen gebrochen wurden.

Wie konnte es so weit kommen? Die russische Führung ist ja nicht vom Mond gefallen: Putin, Medwedew und Lawrow gab es schon vor fünf, zehn und fünfzehn Jahren. Sie wussten, wie man mit dem Westen friedlich koexistiert, bauten gemeinsame Energieinfrastrukturen auf, luden Unternehmer ein und investierten selbst.

Noch vor wenigen Jahren gab es einen echten Kulturaustausch, vor vier Jahren haben wir hier in Deutschland das russische Kulturjahr gefeiert, 2015 war die deutsche Kultur in Russland zu Gast. Beide Ereignisse wurden vom selben Außenministerium unter Sergej Lawrow begleitet.

Das waren noch Zeiten, als Sigmar Gabriel – wo ist er jetzt? – als gerade scheidender Außenminister sagen konnte, Deutschland dürfe sich "nicht in einen Krieg gegen Russland hineinziehen lassen".

Erinnert sich noch jemand an den November 2018, als ein Durchbruch ukrainischer Kriegsschiffe durch die Straße von Kertsch von Russland mit militärischer Gewalt gestoppt wurde?

Damals lief auch der Minsker Friedensprozess, bei dem Deutschland und Russland mit am Tisch saßen. Gabriel setzte sich damals für einen Blauhelmeinsatz in der Ostukraine ein. "Endlich einen Waffenstillstand erreichen, den Rückzug der schweren Waffen auf beiden Seiten durchsetzen und dann auch einen ersten Schritt zum Abbau der Sanktionen machen: Das ist der einzige Weg aus diesem völlig verfahrenen Konflikt", sagte er.

Trotz dieser mäßigenden Stimmen konnte das Abgleiten in einen ausgewachsenen Krieg nicht aufgehalten werden. Auch die gegenwärtigen Regierungen in Washington, Berlin, Rom und Paris kennen nur die Konfrontation und den Weg der Eskalation.

Statt Kompromisse zu suchen, wird russisches Roulette gespielt, indem gegenüber Russland "rote Linien" verschoben werden, während im Land endlos über ein Heizungsgesetz diskutiert wird. Ob es in dem Konflikt, in die wir jetzt alle schlafwandelnd hineingleiten, noch eine Rolle spielen wird, ob Energie umweltfreundlich ist oder nicht, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Im schlimmsten Fall wird keine schützenswerte Umwelt mehr geben.

Nötig wäre nun ein partei- und länderübergreifender Krisenstab zur Beseitigung der nuklearen Gefahr unter Einbeziehung der Uno, Russlands und der Ukraine. Niemand eine nukleare Eskalation wollen, weder in Russland noch in Europa. Allein auf dieser Basis kann und muss ein Kompromiss gefunden werden.

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