Ukraine-Krieg: Verhandlungen nur hinter verschlossener Tür

Friedensbemühungen werden in Medien desavouiert. Nato-Staaten sollen der Ukraine im Gegenzug für einen möglichen Beitritt indes ein Ultimatum gestellt haben. Vorschlag sehe vor, die Ostukraine und Krim notfalls aufzugeben.

Der Sieg der Ukraine ist nicht verhandelbar. Hinter dieser Überzeugung formiert sich bis heute die westliche Allianz gegen Russlands völkerrechtswidrige Invasion. Nun erreichte jedoch ein Medienbericht die Öffentlichkeit, wonach Nato-Vertreter bezweifeln, ob die Ukraine ihre seit 2014 verlorenen Gebiete im Osten jemals wieder für sich reklamieren kann – und nicht im Notfall auf Verhandlungen mit Moskau zurückgreifen muss.

In den deutschen Medien werden Appelle für einen Waffenstillstand oder Verhandlungen derweil oft als fehlgeleitete Naivität gedeutet, manchmal auch mit der Unterwerfung unter das Kreml-Regime gleichgesetzt. Vormalige Verhandlungsbemühungen werden dabei ebenso in Abrede gestellt wie künftige.

Voreiliges Einschreiten gegen "Falschmeldungen"

Louis Klamroth, Moderator des ARD-Sendung "Hart aber fair", nimmt seinen Job sehr ernst, sagt er. Als Sahra Wagenknecht (Die Linke) in der Sendung am Montagabend darauf hinwies, dass Kriegsverbrechen wie die Vergewaltigungen im Ukraine-Krieg erfahrungsgemäß von beiden Parteien begangen werden, schritt Klamroth ein (siehe dazu auf Telepolis: "Ukraine-Krieg: Hat Wagenknecht Vergewaltigungen relativiert? Seltsame Mediendebatte über Krieg und Gewalt").

"Das kann ich so nicht stehen lassen", sagte der 33-Jährige in der Gesprächsrunde mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Katrin Göring-Eckart (Grüne), dem Politologen Herfried Münkler und dem Journalisten Heribert Prantl.

Berichten der Vereinten Nationen zufolge lägen mehr Meldungen zu Vergewaltigungen durch russische Militärs vor, Belege für Vergewaltigungen durch ukrainische Soldaten lägen "der UN demnach nicht vor", heißt es in dem Einspieler, Minute 1:00: 40), zur Gesprächsrunde.

Derlei "Falschinformationen" wie von Frau Wagenknecht richtigzustellen, sei seine "Verantwortung als Moderator" dieser Sendung, so Moderator Klamroth.

Allerdings lag nicht Wagenknecht, sondern die ARD mit ihrer Darstellung falsch. Im Bericht des hohen Kommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) vom September 2022 findet sich dazu eine entsprechende Passage:

Dreißig Fälle wurden von russischen Streitkräften oder Strafverfolgungsbehörden begangen, 2 Fälle wurden von ukrainischen Streitkräften oder Strafverfolgungsbehörden begangen und 11 Fälle wurden von Zivilisten oder Mitgliedern der territorialen Verteidigungseinheiten begangen. Alle Formen sexueller Gewalt sind Menschenrechtsverletzungen, und einige vom OHCHR dokumentierte Fälle können auch Kriegsverbrechen darstellen.

OHCHR, September 2022

Davon abgesehen, dass der Krieg im Osten der Ukraine bereits seit 2014 tobt und in den damaligen UN-Berichten auch Anschuldigungen gegen den ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU vorgebracht wurden, wäre es überdies falsch, den Bericht der UN mit der Situation vor Ort gleichzusetzen.

Das betont auch die Unabhängige Internationale UN-Untersuchungskommission zur Ukraine in ihrem Bericht vom Oktober 2022: Aufgrund der desaströsen Lage vor Ort oder befürchteter Repressionen ist davon auszugehen, dass einige Fälle gar nicht erst gemeldet werden.

So demonstrativ wie Klamroth sein Verantwortungsbewusstsein beim Talking Point Kriegsverbrechen zur Schau stellte, so wenig schien er sich an anderer Stelle darum zu scheren: Und zwar als Wagenknecht zum x-ten Mal auf die diplomatischen Bemühungen im Nachgang der russischen Invasion hinwies:

"Es gab im Frühjahr den Rahmen eines ausgehandelten Abkommens" (Minute 13:32).

Der Satz war noch nicht zu Ende gesprochen, schon stießen Strack-Zimmermann und Göring-Eckardt ungefragt das Dementi hervor: "Sie wissen, dass das nicht stimmt, das wird doch auch durch Wiederholung nicht besser", so Göring-Eckardt.

Konsequenterweise hätte Klamroth auch hier schon einschreiten müssen. Denn es gab diese Bemühungen und diesen Rahmen, nachweislich.

Strack-Zimmermann und Göring-Eckart: Falschinformationen

Am 16. März 2022 hatte die Financial Times über einen Entwurf zu einem 15-Punkte-Plan berichtet: "Die Ukraine und Russland haben bedeutende Fortschritte bei einem vorläufigen Friedensplan gemacht".

Der Plan sah unter anderem vor, dass Kiew bei einem vollständigen Rückzug russischer Truppen auf seine Nato-Beitritts-Ambitionen verzichtet und verspricht, im Gegenzug für den Schutz durch Verbündete wie die USA, Großbritannien und die Türkei keine ausländischen Militärstützpunkte oder Waffen im Land vorzuhalten. Die Rolle des Mediators übernahm dabei der ehemalige israelische Premierminister Naftali Bennett.

Nicht nur Bennetts Aussagen bezeugen, dass die Sondierungsgespräche von der angelsächsischen Allianz USA-UK und der Nato mindestens stark beeinflusst wurden (Telepolis berichtete). Auch ein Bericht der – russischer Propaganda eher unverdächtigen – Online-Zeitung Ukrainska Pravda sowie ein weiterer der Washington Post legen das nahe.

Um nicht die Behauptung, sondern das Bestreiten solcher Bemühungen inklusive Rahmenentwurf als "Falschmeldung" zu korrigieren, reicht Stand 13. Februar 2023 sogar ein einfacher Blick in die Wikipedia. Den hat anscheinend aber auch Klamroth-Kollege Markus Lanz nicht geworfen.

Sonst hätte jener Wagenknecht in der Sendung vom 21. Februar wohl nicht der vermeintlichen Lüge beschuldigt, von "blockieren" sei nie eine Rede gewesen. Doch, war es – selbst wenn Bennett später zurückgerudert ist.

Das deckt sich im Übrigen auch mit dem Bericht der ukrainischen Pravda, wonach der damalige britische Premier Boris Johnson der Ukraine im April "empfohlen" habe, nicht zu unterschreiben: "Auch wenn die Ukraine bereit ist, einige Vereinbarungen über Garantien mit Putin zu unterzeichnen, ist sie es nicht", soll Johnson demzufolge gesagt haben.

Doch die Zeiten haben sich geändert – seit Rishi Sunak und nicht mehr Boris Johnson im Amt ist.

Nato-Unterstützung für Russland-Verhandlung

Der amtierende Premier Sunak schlug bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) am 18. Februar angeblich vor, dass die Nato-Verbündeten bei ihrem nächsten Jahrestreffen am 11. und 12. Juli im litauischen Vilnius eine "Sicherheitsgarantie" für die Ukraine beschließen, wie Bloomberg berichtet.

Sein Vorstoß, der Kiew einen besseren Zugang zu moderner militärischer Ausrüstung, Waffen und Munition liefern soll, wurde demnach auch von US-Außenminister Antony Blinken begrüßt.

Sunak zeigte sich außerdem gegenüber einem Beitritt der Ukraine in das Verteidigungsbündnis aufgeschlossen. Am Dienstag dieser Woche bekräftigte auch Generalsekretär Stoltenberg, dass die Nato-Staaten die Ukraine "langfristig" als Bündnismitglied sehen. Die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine stellt für den russischen Präsidenten Wladimir Putin bekanntlich eine rote Linie dar.

Am vergangenen Freitag erschien ein in Deutschland viel beachteter Bericht des Wall Street Journal (WSJ), wonach Deutschland, Frankreich und Großbritannien jenen Nato-Verteidigungspakt als Druckmittel einsetzten, um Kiew noch in diesem Jahr zur Aufnahme von Friedensgesprächen mit Russland zu bewegen.

Dazu hätten sich die Regierungschefs Olaf Scholz (SPD), Emmanuel Macron und Rishi Sunak am 8. Februar in Paris geeinigt, so das WSJ.

Die öffentlichen Bekundungen der offiziellen Vertreter, dass es der Ukraine überlassen bleibe, die Voraussetzungen und Bedingungen für solche Gespräche zu schaffen, steht laut der US-Zeitung im Gegensatz "zu privaten Zweifeln", die jene gegenüber der Tageszeitung äußerten. So zitiert das WSJ einen "hohen französischen Beamten" mit den folgenden Worten:

Wir wiederholen immer wieder, dass Russland nicht gewinnen darf, aber was heißt das schon? Wenn der Krieg lange genug mit dieser Intensität andauert, werden die Verluste der Ukraine unerträglich werden. Und niemand glaubt, dass sie in der Lage sein werden, die Krim zurückzuerobern

Das wiederum steht in krassem Gegensatz zu den Verlautbarungen des ukrainischen Präsidenten, der erst kürzlich den Rückgewinn der Krim als "Schlüssel für den Frieden" bezeichnete – und dafür Medienberichten zufolge Rückendeckung von den Vereinigten Staaten und Tschechien bekam.

Der Widerspruch gilt auch für die von Nato, EU und G7 unterstützte Krim-Plattform, die den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine fordert. Offenbar besteht hier ganz erheblicher Abstimmungsbedarf.

Dafür spricht auch, dass die Bundesregierung von einem "Kriegsultimatum" an Selenskyj, wie es die Bild-Zeitung berichtet, anscheinend nichts wissen will.

Die Bild hatte unter Berufung auf deutsche und US-Regierungskreise berichtet, dass der Verhandlungs-Druck auf Selenskyj steigen werde, falls seine sogenannte Frühjahrsoffensive scheitert. Gegenüber t-Online gibt die Bundesregierung hingegen an, dass Sicherheitsgarantien bei dem Treffen von Macron, Scholz und Sunak in Paris "überhaupt keine Rolle" gespielt hätten.

Der ukrainische Präsident, der sich im Unterschied zu den Nato-Staaten dem chinesischen Zwölf-Punkte-Plan gegenüber zumindest nicht abgeneigt zeigte, wirbt indes weiter für seinen Zehn-Punkte-Friedensplan, der neben Sicherheitsgarantien um Energie- und Lebensmittelversorgung auch den Abzug aller russischen Truppen und die Wiederherstellung der "territorialen Integrität" der Ukraine fordert.

Noch am 16. Februar hatte der ukrainische Präsident im Gespräch mit der britischen BBC territoriale Zugeständnisse an Russland ausgeschlossen und betont, dass ein Friedensplan mit Putin nicht in Frage komme.

"Es gibt kein Vertrauen", so Selenskyj. Dieses Zitat wurde auch in der eingangs genannten "Hart aber fair"-Sendung aufgegriffen und vor dem Hintergrund eines möglichen Waffenstillstands im Gespräch mit Sahra Wagenknecht kontrovers diskutiert.