Ukraine-Krieg: Was die Menschen in den Nato-Staaten wirklich wollen

Seite 2: Stimmungslage insbesondere in Osteuropa angespannt

In Deutschland sind die Werte bezüglich Diplomatie noch klarer. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa Ende August sagten 77 Prozent der Bundesbürger:innen, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs anstoßen sollte. Nur 17 Prozent finden das nicht.

Auch sollten die westlichen Staaten weiter mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin reden. Insgesamt halten das 87 Prozent der Befragten für richtig gegenüber 11 Prozent, die dem nicht zustimmten. Auch schwere Waffenlieferungen kommen bei den Deutschen nicht an. 62 Prozent sind dagegen, nur 32 Prozent dafür.

In Osteuropa ist die Stimmungslage in Hinsicht auf Russland besonders angespannt. In Prag gingen erneut Zehntausende auf die Straße – eine Mischung aus rechten, nationalistischen und linken Kräften –, um gegen die Russland-Sanktionen im Zuge des Ukraine-Kriegs zu demonstrieren. Die Veranstalter sprachen sich für eine militärische Neutralität aus, obwohl Tschechien Nato-Mitglied ist. Bereits vor drei Wochen protestierten 70.000 Tschechen in der Hauptstadt gegen die Politik ihrer Regierung, die sich eng an Nato und EU orientiert sowie klar gegen Russland positioniert hat.

Tschechien ist besonders hart getroffen vom Ausfall der russischen Energielieferungen. 90 Prozent des Gases und 50 Prozent des Öls stammten zuvor aus Russland und müssen nun teuer über Deutschland importiert werden. Die Kaufkraft brach im Zuge der fossilen Energiekrise im zweiten Quartal dieses Jahres um fast zehn Prozent ein, während Armut und Insolvenzen sich ausbreiten.

Auch in anderen osteuropäischen Ländern ist das Stimmungsbild ähnlich. Eine Umfrage der Slovak Academy of Scienes fand zum Beispiel heraus, dass mehr als die Hälfte der Slowaken einen militärischen Sieg Russlands in der Ukraine begrüßen würde.

Etwa ein Fünftel der Befragten wünscht sich einen klaren Sieg Russlands, während mehr als die Hälfte der Befragten angab, dass sie zu einem russischen Sieg neigen. Nur ein Drittel der Befragten gab an, zur Ukraine zu tendieren. Die Slowakei ist seit langem eines der Russland freundlichsten Länder in der EU, neben Bulgarien.

Eine Befragung im letzten Jahr ergab zum Beispiel, dass 55 Prozent der Slowaken eine positive Meinung vom russischen Präsidenten Wladimir Putin haben. Unter den mittel- und osteuropäischen Ländern hatten nur die Bulgaren eine bessere Meinung von Putin (75 Prozent). Kurz vor der russischen Invasion im Februar 2022 gaben zudem 44 Prozent der befragten Slowaken der Nato und den USA die Schuld an den Spannungen an den ukrainischen Grenzen, während nur 33 Prozent Russland verantwortlich machten.

Wer sich die öffentliche Meinung in den USA und Europa anschaut, der kommt nicht umhin, die Potenziale für Deeskalation und diplomatische Verhandlungen aufseiten der Nato-Staaten zu sehen. Die Regierungen dort müssten allerdings beginnen, den Ansichten ihrer Bürger:innen zuzuhören und dem zu folgen, was viele renommierte Analysten vor dem Hintergrund der nuklearen Gefahren und der Aussicht auf einen Zermürbungskrieg mit vielen Opfern seit langem fordern: ernsthaft geführte Gespräche, die auf Kompromiss statt moralischen Absolutismus ausgerichtet sind.

Ja, es stimmt: Ein Deal mit Putin wird letztlich schmutzig sein. Die Frage ist: Was ist die Alternative?