Ukraine-Krieg: Wie die Russen an der Heimatfront "ihre Jungs" unterstützen

Seite 2: Warum sich die Russen zusammentun

Diese Kampagnen werden in der Regel von Menschen aus der Mittelschicht durchgeführt – oft von Frauen, die keine familiären Verbindungen zur Front haben. Ich habe von Menschen in Russland gehört, dass es besser sei, diejenigen zu unterstützen, die bereits kämpfen, und sicherzustellen, dass sie das erhalten, was sie benötigen. Andernfalls könnten ihre eigenen Söhne an die Front geschickt werden.

Wohlhabende Oligarchen fallen durch ihre Nichtbeteiligung auf – vielleicht aus Sorge, ihre Brücken zum Westen abzubrechen, wo viele noch Geld und Besitz haben.

Meine Nachforschungen haben gezeigt, dass die Motivation der Teilnehmenden sehr unterschiedlich ist – sie alle in eine Schublade mit Kriegsbefürwortern zu stecken, wäre irreführend.

Vielen geht es um die Sicherheit und den Komfort ihrer Männer an der Front: Die Bereitstellung tragbarer Heizgeräte oder das Stricken von Tarnnetzen trägt zur Sicherheit der Männer bei und verbessert ihre Situation.

Für andere ist es eine Form der Solidarität und Teilhabe, die ihrem Leben einen gesellschaftlich relevanten Sinn gibt, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem größeren Netzwerk und Verbindungen zu Gemeinschaften im ganzen Land.

Es gibt auch religiöse Eiferer, die durch den Segen der russisch-orthodoxen Kirche für den Krieg inspiriert werden. Und es gibt diejenigen, die das Gefühl haben, dass sie in dieser entscheidenden Zeit in Russland nicht passiv sein sollten.

Wie in Westeuropa für die vor der Gewalt fliehenden Ukrainer gibt es auch in den an die Ukraine grenzenden Gemeinden Mitgefühl für die mehr als 2,85 Millionen vertriebenen Ukrainer. Die Zahl der Menschen, die Geld für ukrainische Flüchtlinge und Migranten spenden, was Berichten zufolge lange nicht geschah, nachdem Russland 2014 die Kämpfe in der Ukraine begonnen hatte, verdreifachte sich 2022, als der Krieg in vollem Umfang startete.

Viele militärische Kommandeure empfinden es als peinlich, dass sie Freiwillige um Hilfe für die Grundversorgung bitten müssen, um Seife, Socken und Unterwäsche zu erhalten. Eine typische Nachricht eines Soldaten an der Front lautet: "Ihr seid Goldwert, ohne euch wären wir dem Untergang geweiht".

Totaler Krieg

Der Krieg hat Russland verändert – ebenso wie die Ukraine, wo die Zivilgesellschaft die Funktion eines Sicherheitsnetzes übernommen hat. Er hat das zivile Engagement beflügelt und zeigt, dass eine Zivilgesellschaft entstanden ist, wenn auch eine andere als die, die der Westen – der auf Widerstand aus dem Volk gegen den Krieg hoffte – anstrebte.

Bislang ist sie unpolitisch, kritisiert das Versagen der Regierung beim Nachschub und hofft auf eine Art Sieg oder zumindest eine Lösung, damit der Krieg beendet werden kann – was die meisten Menschen wirklich wollen.

Aber die jüngsten Angriffe auf russisches Territorium haben die Idee eines "Verteidigungskriegs" bei vielen Normalbürgern verstärkt. Sie haben ein Maß an latentem Patriotismus zutage gefördert, das bei denjenigen, die Zweifel am Einmarsch in die Ukraine hatten, vielleicht noch nicht zu erkennen war.

Es zeigt, dass der Krieg die gesellschaftlichen Kräfte in Russland aktiviert hat – auch wenn noch nicht klar ist, wohin das führen wird.

Die russische Gesellschaft wird nach ihrer anfänglichen Ambivalenz zunehmend zustimmend. Der Prozess, einen unpopulären Feldzug in einen "Volkskrieg" zu verwandeln, scheint begonnen zu haben.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit The Conversation. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Anna Matveeva ist seit 2022 als Senior Visiting Research Fellow am Russland-Institut des King's College London tätig. Sie hat sich auf Konflikt- und Friedensstudien, Friedenskonsolidierung und die Verwicklung postsowjetischer Bürger in gewalttätigen Extremismus im In- und Ausland spezialisiert. Matveeva hat für die Vereinten Nationen gearbeitet und in ihrer Funktion als UNDP-Regionalberaterin für Frieden und Entwicklung in Zentralasien gelebt. Im Jahr 2010 leitete Matveeva das Forschungssekretariat der internationalen Untersuchungskommission für Kirgisistan. Zurzeit ist sie als Beraterin für internationale Organisationen wie die UN, die EU und bilaterale Geber sowie für internationale Nichtregierungsorganisationen tätig. Zuvor war sie Forschungsstipendiatin am Chatham House, arbeitete an der London School of Economics und leitete Programme bei International Alert und Saferworld. Sie ist außerdem Vorstandsmitglied von Nonviolent Peaceforce, einer internationalen NRO mit Sitz in Genf.