Ukraine-Krieg und Zeitenwende: Kriegstüchtig bis 2029 – was heißt das konkret?
Verteidigungsminister setzt auf freiwilligen Wehrdienst – wenn sich genug Freiwillige melden. Ähnlich sieht es die größte Oppositionsfraktion.
Für den Fall einer militärischen Konfrontation mit Russland will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erhöhen. "Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein«, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch bei der Regierungsbefragung im Bundestag.
Russland sei nicht nur für die Ukraine eine Bedrohung, sondern auch für Georgien, Moldau und letztendlich für die Nato, betonte Pistorius. "Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt."
Vorerst soll aber niemand gegen seinen Willen zum Wehrdienst eingezogen werden – das könnte sich ändern, wenn sich die Zahl der Freiwilligen in Grenzen hält. Die allgemeine Wehrpflicht für junge Männer ist seit 2011 ausgesetzt, aber nicht abgeschafft.
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Pistorius: Wehrdienst freiwillig, wenn es genug Freiwillige gibt
Pistorius hatte vergangene Woche im Gespräch mit Zeit Online einen neuartigen Musterungsfragebogen für junge Männer und Frauen angekündigt, dessen Beantwortung für Männer verpflichtend sein soll. Sie sollen darin Auskunft über Fitness, Gesundheitszustand und grundsätzliche Bereitschaft zum Wehrdienst geben.
Der Minister will die Bundeswehr zunächst mit Freiwilligen stärken, betonte aber auch: "Sollten sich nicht genügend Freiwillige melden, werden wir auch junge Menschen zum Dienst verpflichten müssen."
Wehrpflicht als Notmaßnahme: Diktion des CDU-Hardliners
Ähnlich sieht das ein profilierter Wehrpolitiker der größten Oppositionsfraktion im Bundestag. Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hatte im April eine "generelle Wehr- und Dienstbereitschaft" gefordert. Das bedeute aber nicht, dass alle jungen Menschen zu einem Dienst verpflichtet würden. Die Wehrpflicht sei nur eine Notmaßnahme, wenn die Existenz der Bundeswehr auf dem Spiel stehe, sagte Kiesewetter im Gespräch mit dem RBB.
Kiesewetter ist derjenige, der im Zusammenhang mit deutschen Militärhilfen für die Ukraine zuerst gefordert hat, "den Krieg nach Russland zu tragen" - als Bundeskanzler Olaf Scholz Bedenken hatte, Deutschland könne vom Kreml als Kriegspartei wahrgenommen werden, wenn es den Kiewer Truppen bunkerbrechende Marschflugkörper mit entsprechender Reichweite liefere.
Inzwischen hat die Bundesregierung Kiew ausdrücklich erlaubt, aus Deutschland gelieferte Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen.
Strack-Zimmermann will 900.000 Reservisten aktivieren
Eine weitere Hardlinerin, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) gibt demnächst ihr Amt an einen Nachfolger ab – ihr Einzug ins EU-Parlament gilt als sicher, weil sie die Spitzenkandidatin ihrer in Umfragen abgerutschten Partei ist und bei dieser Wahl keine Prozenthürde gilt.
Im Wahlkampf tritt sie als "Eurofighterin" auf - und ließ es sich vor wenigen Tagen nicht nehmen, die Aktivierung von 900.000 Reservisten der Bundeswehr zu fordern.
Gemeint sind frühere Bundeswehr-Soldaten im Alter von bis zu 65 Jahren. Schließlich trimme auch der russische Präsident Wladimir Putin "sein Volk auf Krieg", sagte Strack-Zimmermann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Die Bundeswehr habe aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene Soldatinnen und Soldaten über Jahrzehnte nicht mehr erfasst, kritisierte sie und verlangte zunächst deren Registrierung. "Wenn wir nur die Hälfte davon mit ihrer entsprechenden Expertise als Reservisten gewinnen könnten, wäre das ein unglaubliches Pfund", betonte sie.
Bundeswehr-Verband sieht praktische und rechtliche Probleme
Allerdings gibt es für die sogenannte allgemeine Reserve derzeit keine Unterkünfte und Trainingskapazitäten. Der Bundeswehr-Verband verweist auf Probleme der praktischen Umsetzung. Zudem können Mannschaftsdienstgrade außerhalb des Spannungs- und Verteidigungsfalls nur bis zum 45. Lebensjahr herangezogen werden, was Strack-Zimmermanns Vorschlag unberücksichtigt lässt.
"Wer vorgibt, 900.000 Reservisten zweckdienlich mobilisieren zu können, betreibt Augenwischerei und lenkt vom heutigen Bedarf aufwuchsfähiger Streitkräfte ab", sagte Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, der Welt.
"Auch das Verbreiten von Ideen für unsere – mittlerweile leider auch überalterte – Reserve wie beispielsweise das Digitalisieren alter, nicht gepflegter Akten ehemaliger Soldaten, die der Dienstleistungsüberwachung unterliegen, und die Aufforderung, sich zu melden, sind zwar nachvollziehbar, greifen aber zu kurz und sind schlicht planlos."
Aktuell zählt die Bundeswehr rund 180.000 aktive Soldaten, angestrebt werden etwas mehr als 200.000 – während des Kalten Krieges vor 1990 waren es knapp 500.000. Damals wäre die Truppe durch Mobilmachung von 800.000 Reservisten auf rund 1,3 Millionen Soldaten angewachsen.