Ukraine: Wer will den Krieg?
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Glaubt man der Berichterstattung der deutschen Presse, ist klar: Russland! Warum aber macht Putin dann Angebote zur Entspannung?
Die Nato und die deutsche Außenministerin betonen ihre Gesprächsbereitschaft und erhöhen gleichzeitig die Alarmbereitschaft ihrer Truppen an Russlands Grenzen, so hieß es in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung am 23. Dezember. Ehemalige Generäle der Bundeswehr und hochrangige Diplomaten im Ruhestand warnen – ungehört – vor einer Eskalation und fordern die eigene Regierung zur Deeskalation auf.
Die FAZ (27.12.21) wiederum "warnt vor geopolitischem Revisionismus" Russlands – als ob die Nato bloß am Staus quo interessierte wäre; außerdem lässt das Blatt einen ukrainischen Autor zu Wort kommen, der weiß: "Appeasement ist der falsche Weg". Ist Putin also der neue Hitler, dem wir Antifaschisten Einhalt gebieten müssen? Was ist da los?
Die Fronten
In Fernsehen und Presse werden Bilder von Militärlagern gezeigt sowie eine deutsche Verteidigungsministerin, die vor einem Panzer posiert. Bilder sprechen für sich, heißt es im Volksmund, doch er irrt. Auf den Bildern, die durch die Medien gehen, ist nicht zu erkennen, was da für ein Heerlager oder Panzerparkplatz abgebildet worden ist und wo sie aufgenommen wurden. Auch das Foto mit der Ministerin kann ebenso in Hammelburg gemacht worden sein wie in Litauen.
Dennoch sollen allein schon die Bilder – bevor sie von Bellingcat oder sonstigen Geheimdienstspezis kommentiert werden – einiges demonstrieren. Die deutsche Ministerin spricht ganz ohne weitere Begründung von dem "Aggressor Russland" (Bild am Sonntag, 19.12.21). Eine Redeweise, die von den Medien ungefiltert übernommen wird.
Ganz anders soll hingegen der Panzeraufmarsch der Nato in Litauen bewertet werden, dem die Ministerin ihre Aufwartung macht. Es soll sich dabei um eine reine Verteidigungsmaßnahme handeln, in deren Rahmen sich deutsche Truppen an die Grenze zu Russland bewegen. Eine Sprachregelung, die ebenfalls von vielen Medien übernommen wird.
Verantwortliche Journalisten geben eben ganz neutral die Äußerungen wieder, die allein deswegen bedeutsam sind, weil sie von – unseren! – Regierenden kommen. So betätigen sie sich als Sprachrohr derer, die an der Macht sind. Eine ungefilterte Wiedergabe von Putins Äußerungen hingegen war in der letzten Zeit gar nicht so einfach in den hiesigen Medien zu finden.
Betrachtet man die Lage einmal sachlich, dann demonstriert Russland genauso wie die Nato, dass es über einiges an Gewaltmitteln verfügt und in Stellung bringen kann. Beide Mächte bedrohen sich gegenseitig und zeigen die Bereitschaft, ihre Gewaltmittel auch einzusetzen. Dass sie dazu bereit sind, kann man ihnen getrost abnehmen, haben es doch beide Seiten in einer ganzen Reihe von Kriegen bewiesen.
Auch Deutschland kann ja mittlerweile auf eine ganze Liste von Kriegseinsätzen seit dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken. Erinnert sei nur an den Balkankrieg, an die Einsätze in Afghanistan, Syrien und Mali. Und in weiteren Konfliktherden ist die Bundeswehr – mal beratend, mal zur Ausbildung, mal zu wer weiß was – präsent.
Auch die Beteuerung beider Seiten ist ernst zu nehmen, dass sie einen Krieg möglichst vermeiden wollen. Dazu nennen beide ihre Bedingungen, die der andere jeweils erfüllen soll, wenn er denn eine kriegerische Auseinandersetzung wirklich vermeiden möchte.
Insofern entpuppen sich beide Seiten als bedingte Kriegs- wie Friedensfreunde. Zur Klärung der gegenwärtigen Konfliktlage kommt es also umso mehr darauf an, welche Bedingungen für Friedfertigkeit die beiden formulieren.
Putins Vertragsangebote
Im Gespräch zwischen dem russischen Präsidenten Putin und dem US-Präsidenten Biden hat die russische Seite zwei Verträge ins Gespräch gebracht, einen mit den Vereinigten Staaten und einen mit der Nato. Das russische Fernsehen fasst die beiden Vertragsangebote wie folgt zusammen:
Amerika wird aufgefordert, das Territorium anderer Staaten nicht zur Vorbereitung eines Angriffs auf Russland zu nutzen. Moskau übernimmt seinerseits die gleichen Verpflichtungen. Gleichzeitig garantiert uns Amerika, dass es keine Länder in die Nato aufnehmen wird, die früher Teil der UdSSR waren. Es wird außerdem vorgeschlagen, die Annäherung von Atomwaffen an die Grenzen unserer Länder gegenseitig zu begrenzen.
Was die schriftlichen Vorschläge Russlands an die Nato betrifft, so lauten sie wie folgt: Die Nato soll ihre Sicherheit konzeptionell nicht auf Kosten der Sicherheit Russlands stärken. Es versteht sich von selbst, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Moskau schlägt der Nato außerdem vor, sich gegenseitig nicht mehr als Gegner zu betrachten. In der Praxis bedeutet das, dass Mittelstreckenraketen in Gebieten aufgegeben werden, von denen aus sie Ziele das Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien erreichen können.
Der wichtigste Punkt ist die Verweigerung der Aufnahme der Ukraine in die Nato und die Verweigerung jeglicher militärischer Aktivitäten in der Ukraine sowie in den anderen Ländern Osteuropas, des Kaukasus und Zentralasiens.
Russland sieht sich demnach von der Nato eingekreist, die zunehmend Staaten der früheren UdSSR die Aufnahme in ihr Bündnis in Aussicht stellt, Waffen und Militärs in Richtung der russischen Grenzen verlagert sowie mit einer Kette von Manövern in Osteuropa präsent ist. Putin führte dazu in seiner Fernsehansprache aus:
Wenn irgendeine Art von Angriffssystem auf ukrainischem Territorium auftaucht, wird die Flugzeit nach Moskau sieben bis zehn Minuten betragen, und im Falle des Einsatzes von Hyperschallwaffen fünf Minuten. Stellen Sie sich das vor! Und was sollen wir tun? Dann müssen wir so etwas in Bezug auf diejenigen, die uns bedrohen, schaffen, können Sie sich das vorstellen?
Aber wir können das jetzt schon tun, denn wir haben sie bereits erfolgreich getestet und werden ab Anfang des Jahres eine neue seegestützte Rakete mit Hyperschallgeschwindigkeit von Mach neun im Einsatz haben. Die Flugzeit für diejenigen, die den Befehl geben, beträgt ebenfalls fünf Minuten. Wohin gehen wir? Warum tun wir das alles?
Die Fragen, die Putin stellt, kann er sicher selbst rasch beantworten. Ihm geht es bei seinen Forderungen an die Adresse der Nato und deren Führungsmacht um die Anerkennung Russlands als gleichwertiger Weltmacht, die ihre Interessen in der Welt berücksichtigt sehen will. Und die dafür auch bereit ist – wie bei Weltmächten üblich –, Krieg zu führen.
Mit seinem militärischen Aufmarsch und seinen Vertragsangeboten signalisiert der Kreml, dass er den augenblicklichen Zustand an seinen Grenzen für nicht mehr hinnehmbar hält. Zwar ist die Ukraine kein Mitglied der Nato, aber sie wird zunehmend von der Nato ausgerüstet und die Nato-Staaten treten als ihre Schutzmacht auf.