Ukraine-Wiederaufbau: EZB-Chefin Lagarde warnt vor Enteignung russischer Vermögenswerte

EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei einer Tagung des Wirtschaftsausschusses des EU-Parlaments.

(Bild: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com)

Streit zwischen USA und Europa über eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank. Enteignen oder abschöpfen? Warum sich Europäer gegen US-Vorschlag sträuben.

Für ihren Wiederaufbau benötigt die Ukraine viel Geld. Schätzungen gehen davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren mehr als 450 Milliarden Euro aufgewendet werden müssten. Mit jedem Tag, den der Krieg anhält, wird die Summe größer – und aus eigener Kraft wird das Land nicht wieder auf die Beine kommen.

Die Regierungen westlicher Staaten sind sich einig: Russland soll den angerichteten Schaden kompensieren. Und zu diesem Zweck soll das eingefrorene Vermögen der russischen Zentralbank herangezogen werden. Doch wie man die Gelder mobilisieren kann, ohne das eigene Finanzsystem zu schädigen, darüber wird noch diskutiert.

Wie sollten eingefrorene russische Gelder genutzt werden?

In dieser Frage gehen die Ansichten in Washington und in den europäischen Hauptstädten auseinander. Mit dem jüngsten Unterstützungspaket für die Ukraine beschloss das US-Repräsentantenhaus auch, dass die eingefrorenen russischen Gelder konfisziert werden können.

US-Pläne zur Konfiszierung russischer Gelder stoßen auf Widerstand

Gegen einen solchen Schritt sprechen sich die Europäer noch aus. Die unterschiedlichen Meinungen traten letzte Woche zutage, als der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank tagten.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte hier ihre Bedenken gegenüber den US-Plänen geäußert. Sie warnte laut Financial Times (FT), dass diese Pläne gegen internationales Recht verstoßen könnten. Mit ihnen könnte die internationale Ordnung gebrochen werden, von der man aber möchte, dass Russland sie respektiert.

Europas Sorge: Risiken für das eigene Finanzsystem

In der Washington Post (WP) heißt es, dass europäische Beamte zunehmend verärgert sind über die US-Position, die als riskant eingeschätzt wird. Der Grund: Der Hauptteil der eingefrorenen russischen Vermögen lagert in Europa. Damit würde auch das europäische Finanzsystem in erster Linie getroffen werden, wenn Russland Gegenmaßnahmen einleiten sollte.

Im September beliefen sich die eingefrorenen russischen Guthaben auf rund 280 Milliarden US-Dollar. Etwa 210 Milliarden US-Dollar lagern bei der belgischen Clearingstelle Euroclear. Dagegen sollen sich nur etwa fünf Milliarden US-Dollar in den USA befinden.

EU-Länder diskutieren: Wie können eingefrorene Werte mobilisiert werden?

Die EU-Länder haben in den vergangenen Monaten verschiedene Ideen diskutiert, wie man die eingefrorenen Werte mobilisieren kann. Sie favorisieren die Idee, nicht die Gesamtheit der Gelder zu konfiszieren, sondern nur deren Erträge der Ukraine zu übertragen.

Unterstützt werden die USA dagegen von Großbritannien. Der britische Finanzminister Jeremy Hunt bezeichnete die US-Pläne als "wirklich interessante Idee". Er betonte, dass alle Vorschläge zur Nutzung der eingefrorenen Guthaben unvoreingenommen geprüft werden sollten.

Litauischer Finanzminister: Änderung internationaler Regeln als Lösung?

Als Hardliner innerhalb der EU brachte sich der litauische Finanzminister Gintarė Skaistė in Position. Er erklärte, die internationalen Regeln könnten auch verändert werden, um die Mobilisierung der russischen Vermögenswerte zu ermöglichen. Laut FT sagte er:

Das Rechtssystem wurde geschaffen - es ist nicht etwas, das von Gott kommt - also können wir rechtlich einwandfreie Wege finden, um zu einem Ergebnis zu kommen, das für demokratische Länder [und] die Gesellschaft vorteilhaft wäre, und nicht zu Regeln, die dem Aggressor helfen.

Gintarė Skaistė

Warnung des IWF: Beschlagnahmung könnte Kapitalflucht auslösen

IWF-Beamte sprachen sich allerdings auch gegen eine solche Maximalposition aus. Sie warnten laut WP davor, dass die Beschlagnahmung der russischen Zentralbankguthaben eine globale Kapitalflucht aus dem Kontinent auslösen könnte.

Mit einer endgültigen Entscheidung, wie mit den russischen Vermögenswerten umgegangen werden soll, wird für Juni gerechnet. Dann treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten und beraten zu diesem Thema.

Russlands Reaktion: Vorgehen der westlichen Staaten als Diebstahl betrachtet

Die russische Seite hat jetzt erneut deutlich gemacht, wie sie dieses Vorgehen sieht: als Diebstahl. Es ist davon auszugehen, dass der Kreml entsprechend reagieren wird.