Umfrage in der Ukraine: 94 Prozent glauben an einen Sieg
Begeisterung für die Nato lässt nach, der Wunsch der EU beizutreten wird dagegen stärker – Ergebnisse einer Umfrage unter Kriegsbedingungen
Die ukrainische Rating Sociological Group hat am 30. und 31. März eine "landesweite" und repräsentative Umfrage durchgeführt. Befragt wurden 1.500 Ukrainer in allen Oblasten, Ausnahmen sind die "vorübergehend besetzten Gebiete Krim und Donbass". Danach glauben 94 Prozent der Befragten, die Ukraine könne den russischen Angriff abwehren, 69 Prozent sind sich sicher.
Die Telefon-Umfrage wurde als Computer Assisted Telephone Interview (CATI) durchgeführt. Dabei werden die Fragen vom Interviewer vom Bildschirm abgelesen, die Antworten werden direkt auf dem Computer des Interviewers eingegeben. Problematisch an der Umfrage ist, dass Ende März größere Gebiete in der Ost- und Südukraine schon russisch besetzt waren. Ob auch überall eine telefonische Verbindung bestand, ist fraglich. Zu den möglichen, eher wahrscheinlichen Einschränkungen äußert sich die Rating Sociological Group jedoch nicht.
Gleichwohl sind die Ergebnisse für Kiew nicht nur erfreulich. Auch wenn fast alle glauben, die Ukraine könne dem russischen Angriff standhalten und die Werte seit Beginn des Krieges deutlich gestiegen sind, so glauben nur noch 36 Prozent, dass ein Sieg in den nächsten Wochen erzielt werden könne.
Am Anfang des Kriegs glaubten dies 47 Prozent. Nicht an einen Sieg zu glauben, traute sich nur ein Prozent zu sagen; 14 Prozent gaben an, das sei schwer zu beantworten. Große Unterschiede in den Regionen gab es laut der Umfrage nicht.
Eine überwältigende Mehrheit von 91 Prozent wünscht den Beitritt zur EU, das waren 2021 so um die 60 Prozent. Aber die Zahl derjenigen, die einen Beitritt zur Nato unterstützen, ist nach einer Rekordhöhe im Januar 2022 von 76 Prozent mit dem Krieg auf 68 Prozent zurückgegangen, die Jahre zuvor pendelte die Rate um die 50 Prozent.
Möglicherweise wurde den Menschen klar, dass sie nicht mit einer schnellen Aufnahme des Landes in die Nato rechnen können, was auch Selenskyj zum Ausdruck brachte, oder sie sehen, dass sie dies in einen Krieg hineingezogen hat, in dem sie zwar angeblich die freie Welt verteidigen, aber letztlich einen Stellvertreterkrieg führen. Hier ist der Graben zwischen dem Westen und der Mitte, wo über 70 Prozent dafür sind, sowie dem Osten und dem Süden weiterhin groß, wo es 51 bzw. 59 Prozent sind.
Auffällig ist, dass die Menschen durch den Krieg deutlich stärker hinter der Regierung stehen. Sagten 2021 zwischen 60 und 70 Prozent, dass die Ukraine sich in eine falsche Richtung entwickelt, sagten das Anfang März nur mehr 15 und jetzt 11 Prozent, während Anfang März plötzlich 76 und jetzt 79 Prozent sagen, das Land entwickle sich in der richtigen Richtung, wobei offen bleibt, was sie darunter verstehen.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat, um auf die Frage nach dem Sieg zurückzukommen, gerade den Sieg so definiert, dass die Russen sich an die vor dem Krieg bestehenden Grenzen zurückziehen. Man spreche nicht einmal über die Gebiete, die die russische Armee jetzt besetzt hat. Ein Krieg um den Donbass würde ein Stalingrad werden, das würde die Ukraine 40.000 - 50.000 Soldaten, wenn nicht Hunderttausende kosten.
Selenskyj sieht Möglichkeiten, mit der Krim zu einem Kompromiss zu kommen, schwierig sei es mit dem Donbass, da gehe es darum, dass die Separatistengebiete doch irgendwie ukrainisch bleiben.
Dieser Kompromiss wäre vermutlich früher ohne Krieg möglich gewesen, wenn Kiew die Krim abgeschrieben und den Sonderstatus für Donezk und Lugansk umgesetzt hätte. Da waren die Widerstände im rechtsnationalistischen Lager zu stark.
Der Artikel erschien zuerst auf Krass & Konkret.