Umsturz im Tschad?

Ein Bündnis aus Tubu, Arabern und abtrünnigen Zaghawa macht Idriss Déby die Macht streitig

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Der Tschad ist ein guter Staat für Umstürze. Das liegt unter anderem daran, dass die Hauptstadt mit ein paar tausend Bewaffneten und einigen hundert Fahrzeugen einzunehmen ist. Besonders interessiert an der Staatsmacht zeigten sich in den letzten drei Jahrzehnten die Eliten der Tubu und der Zaghawa (vgl. Die Rückkehr der Waffen). Sie stellen alles andere als die Mehrheit in der ehemaligen französischen Kolonie, sahen sich aber durch den zunehmenden Wegfall des Karawanenhandels, von dem sie in früheren Zeiten auf die eine oder andere Weise profitierten, vor das Problem gestellt, über andere Wege an Ressourcen zu gelangen. Der von der Kolonialmacht Frankreich aufgebaute Staatsapparat eignete sich hervorragend dafür.

Auch diesmal sind es wieder nur einige tausend Bewaffnete, die in der Hauptstadt N'djamena die Regierungstruppen herausforderten. Der französische Militärsprecher Oberst Thierry Burkhard sprach von 1000 bis 1500, österreichische Medien dagegen von 4000 Rebellen, die in die Hauptstadt einmarschiert sein sollen.

Dadurch, dass kein Telefonkontakt nach N'djamena möglich war, sind die Informationen über das aktuelle Geschehen entsprechend vage und unzuverlässig. Samstag Mittag hatte die Nachrichtenagentur AFP (möglicherweise etwas verfrüht) gemeldet, dass die Rebellen die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Auch die Allianz selbst sprach von einer Eroberung der Hauptstadt. Cherif Mahamat Zene, der Botschafter des Tschad in Äthiopien, behauptete dagegen, er hätte durch ein Telefonat mit dem Verteidigungsminister erfahren, das Déby weiterhin wohlauf und die Hauptstadt nicht gefallen sei. Nachdem sich die Lage am Samstag Nachmittag zu beruhigen schien flammten die Kämpfe am Sonntag Morgen nach Berichten von al-Dschasira erneut auf.

Die Rebellenkoalition

Bei den drei Rebellengruppen handelt es sich nach Informationen der BBC um die "Union des Forces pour la Démocratie et le Dévelopement" (UFDD) des Tubu Mahamat Nouri, die "Rassemblement des Forces pour le Changement“ (RFC) des Bidayat-Zaghawa Timan Erdimi und um die "UFDD-Fondamentale" (UFDD-F) unter Führung von Abdelwahid Aboud Mackaye. Wer in dem Bündnis was zu sagen hat ist allerdings nicht ganz klar.

Die UFDD wird von Mahamat Nouri angeführt. Der 1947 geborene Teda-Tubu gilt als eine Art Joseph Fouché des Tschad und nahm sowohl unter den Tubu Goukouni Oueddei und Hissène Habré als auch unter dem Bidayat-Zaghawa Idriss Déby wichtige militärische und politische Posten ein. 2006 kündigte er Idriss Déby die Gefolgschaft und gründete im Sudan die UFPD, die "Union des Forces pour le Progrès et la Démocratie". Mit Unterstützung des von ethnischen Arabern dominierten CDR, des "Conseil Démocratique Révolutionnaire" von Acheikh ibn Oumar, einer Fraktion der "Forces Unies pour le Changement" (FUC) um Abdelwahid Aboud, der "Résistance Armée contre les Forces Anti-Democratiques" (RAFAD), der "Rassemblement National Démocratique" (RND) und der von Abakar Tolli geführten Zaghawa-Gruppe "Rassemblement Populaire pour la Justice" (RPJ) formte er daraus die UFDD mit ihm als Nummer 1 und dem Araber Acheickh ibn Oumar als Nummer 2. 2007 spaltete sich die so genannte UFDD-F unter Führung von Abdelwahid Aboud und Acheickh ibn Oumar von der UFDD ab. Auslöser war, dass Oumar eine stärkere Rolle forderte und daraufhin von Nouri durch den Ouaddaï-Araber Adoum Hassab Allah ersetzt wurde.

Déby nutzte Nouris enge Kontakte nach Saudi-Arabien, wo er Botschafter war, um seine Rebellengruppe als eine Art Taliban darzustellen. Sein Minister Hourmadji Mousa Doumgor beschuldigte am 27. November den Sudan und Saudi-Arabien, hinter der UFDD zu stecken. Seinen Angaben zufolge waren 60% von Nouris Streitkräften Kindersoldaten, die in den Koranschulen von Riad, Mekka und Dschidda ausgebildet worden waren. Insofern könnte eine Explosion in der saudischen Botschaft in N'djamena, von der am Samstag berichtet wurde, ein Racheakt der Regierung an der Wahabitenvertretung gewesen sein. Auch der alte Widersacher Débys, Habré, wurde als Hintermann Nouris vermutet.

Während die UFDD von Teda-Tubu dominiert wird gehören die meisten Mitglieder der RFC Débys eigener Volksgruppe an, den Bidayat-Zaghawa. Geführt wird die Gruppe von Timan Erdimi, einem Neffen Débys und seinem Zwillingsbruder Tom, früher Direktor der staatlichen Erdölfirma. Angeblich fürchteten die beiden um ihre Pfründe, als Déby begann, seinen (mittlerweile unter dubiosen Umständen verstorbenen) Sohn Brahim als Nachfolger aufzubauen.

Frankreich und die EU

Die über 2000 französischen Soldaten, die traditionell ein wichtiges Wörtchen im Tschad mitreden, griffen bisher nicht ein. RFC und UFDD hatten Frankreich bis vor kurzem nicht nur der politischen, sondern auch der militärischen Parteinahme für Déby beschuldigt. Die UFDD hatte im Dezember 2007 mitgeteilt, sie befinde sich ob der Aufklärungsflüge „im Kriegszustand“ mit Frankreich. Timan Erdimi hatte angekündigt, dass seine Leute alle französischen Flugzeuge beschießen würden.

Da auch die in sich extrem fragmentierten Rebellengruppen wenig mehr verbindet, als der Wille, Déby zu stürzen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Kampf um die Pfründe nach seinem Sturz erst richtig beginnen würde. Auch, inwieweit die zahlenmäßig starken Völker im Süden des Tschad, wo sich die auf eine Milliarde Barrel geschätzten Erdölvorkommen befinden, einen gelungenen Umsturz nutzen könnten, um zu versuchen, das Joch der Nomaden des Nordens, die seit 30 Jahren den Staatsapparat beherrschen, mit Gewalt abzuschütteln, ist offen. Deshalb nahmen viele Beobachter lange Zeit an, dass die Franzosen, die Déby im April 2006 vor einem Umsturz bewahrten, den Diktator als kleineres Übel an der Macht halten wollten. Wenn sich bestätigt, dass dieses Mal, anders als in vorangegangenen Fällen, eine Weitergabe der durch Luftaufklärung gewonnenen Informationen an Déby unterblieb, wäre das ein Indiz dafür, dass sich diese Position Chiracs unter Sarkozy und dem Interventionisten Kouchner geändert haben könnte.

Laut Dan Harvey vom militärischen Hauptquartier der EU in Paris verzögern die Ereignisse die geplante Truppenstationierung im Tschad und in der zentralafrikanischen Republik. Geplant war, dass in den nächsten Wochen bis zu 3700 Soldaten aus EU-Mitgliedsstaaten im Grenzgebiet zur sudanesischen Region Darfur stationiert werden. Bereits im Land befindliche österreichische EUFOR-Soldaten flüchteten sich am Samstag in das mit einen Bunker ausgestattete Kempinski-Hotel und sahen von dort aus zu, wie das gegenüberliegende Parlament geplündert wurde und abbrannte.