Unmaßgeblicher Versuch über die Abschweifung

Seite 3: Das Imperium schlägt zurück

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Citizen Kane ist also ein Film der Abschweifungen und des angeblich Nebensächlichen. Das ist die mit ästhetischen Mitteln vorgetragene Kritik an den beiden Medienzaren, aus denen Charles Foster Kane mehrheitlich zusammengesetzt ist: an William Randolph Hearst, der Zeitungen mit großen Schlagzeilen verkaufte und an Henry Luce, dessen Wochenschau The March of Time von ebensolchen Schlagzeilen machenden Ereignissen dominiert wurde. Über die Wirklichkeit, sagt Citizen Kane, erfährt man auf diese Weise wenig.

Jetzt ist es passiert. Der Name Hearst ist gefallen. Das war unvermeidlich. Welles wusste zunächst nicht, wer das Vorbild für die Hauptfigur sein sollte. Zuerst dachte er ganz allgemein an einen Wirtschaftsboss, dann an eine zentrale Figur der Bewusstseinsindustrie. William Randolph Hearst war der Rupert Murdoch von damals, nur (vermutlich) noch schlimmer. Er war auf vielfältige Weise mit Hollywood verbunden und hatte die geballte Meinungsmacht seiner Revolverblätter im Rücken. Das Projekt war somit äußerst heikel und wurde unter bestmöglicher Geheimhaltung vorangetrieben. In Hollywood muss das nicht viel heißen, aber es gelang doch irgendwie, Hearsts Namen aus den meisten Presseberichten herauszuhalten. Als die Zeitschrift The Stage im Dezember 1940 den Abschluss der Dreharbeiten vermeldete, stand da zu lesen, Welles habe die Faust-Legende verfilmt (ganz falsch ist das nicht). Es dürfte einer der letzten Artikel über Citizen Kane gewesen sein, in dem Hearst nicht erwähnt wird.

William Randolph Hearst (ca. 1905)

Was Welles genau beabsichtigte, ist ungewiss. Vielleicht war er durch die von dem Film losgetretene Lawine tatsächlich so überrascht, wie er später tat. Vielleicht spekulierte er auf die Werbewirksamkeit eines Skandals, der dann nicht mehr zu kontrollieren war. Jedenfalls war er weder der erste noch der letzte, der dachte, sich zum eigenen Vorteil mit einer Art von Presse einlassen zu müssen, die davon lebt, Leute hoch- oder niederzuschreiben. Die beiden mächtigsten Klatschtanten der Filmmetropole waren Hedda Hopper und ihre Rivalin Louella Parsons, die Hearsts Medienimperium mit Tratsch versorgte. Beide berichteten seit seiner Ankunft in Hollywood durchaus wohlwollend über Welles und seine Pläne, und Hopper nahm ihm das Versprechen ab, Citizen Kane als erste sehen zu dürfen. Als sie von einer für den 3. Januar 1941 angesetzten Pressevorführung erfuhr, konnte Welles nicht anders, als sie auch einzuladen. Hopper sah "einen bösartigen und unverantwortlichen Angriff auf einen großen Mann", und um Parsons eins auszuwischen, rief sie offenbar noch am selben Abend bei Hearst an und teilte ihm mit, dass dieser große Mann er sei.

Einige Tage später brachte der Hollywood Reporter eine Vorabmeldung über einen in der nächsten, bereits gedruckten Ausgabe der Zeitschrift Friday (17.1.1941) erscheinenden Artikel, der die Gemeinsamkeiten zwischen Hearst und Kane auflistete und einen sich über die positive Berichterstattung durch Louella Parsons wundernden Orson Welles mit diesen Worten zitierte: "Warten Sie nur, bis die Frau herausfindet, dass der Film von ihrem Boss handelt." Welles dementierte, das je gesagt oder einen Film über William Randolph Hearst gedreht zu haben, aber das nützte ihm nichts mehr. Parsons forderte eine eigene Vorführung und brachte ein paar von Hearsts Anwälten mit (sowie ihren Chauffeur, dem der Film gefallen haben soll). Tags darauf, am 10. Januar, machte das Branchenblatt Variety mit der Schlagzeile auf, dass die Hearst-Medien ab sofort alle RKO-Produktionen totschweigen würden. Louella Parsons startete einen telefonischen Einschüchterungs-Marathon, drohte dem RKO-Chef George Schaefer mit Prozessen und der gesamten Filmindustrie mit Enthüllungen über das Sündenbabel Hollywood, die sich zur Not frei erfinden ließen.

Die angekündigten Klagen reichten die Anwälte nie ein, weil das kontraproduktiv hätte sein können. Der Bann über die RKO wurde nach zwei Wochen wieder aufgehoben. Nur Citizen Kane wurde in der Hearst-Presse erst gar nicht und dann in Verbindung mit Berichten über Organisationen wie die American Legion erwähnt, deren PR-Chef Welles unamerikanisches und subversives Verhalten vorwarf und praktischerweise für Hearst als Reporter arbeitete. Werbeanzeigen für den Film wurden nicht angenommen. Am wirkungsvollsten war die Ankündigung einer Schmutzkampagne, die bald um xenophobe und antisemitische Elemente bereichert wurde. Am 13. Januar brachte der Hollywood Reporter auf der Titelseite einen wohl vom Hearst-Lager lancierten Bericht, der sich auf "zuverlässige Quellen" stützte und eine demnächst beginnende Serie von Leitartikeln darüber ankündigte, dass Hollywood dauernd Jobs an Ausländer und Flüchtlinge vergab, obwohl genug qualifizierte Amerikaner zur Verfügung standen. Damit, so der Reporter weiter, sollten die anderen Studios dazu gebracht werden, Druck auf die RKO auszuüben und diese zu zwingen, Citizen Kane im Archiv verschwinden zu lassen.

Das konnte man als eine Aufforderung verstehen, jetzt zu handeln, und die Botschaft kam an. Louis B. Mayer und andere Studiobosse versprachen Schaefer, ihm den größten Teil der angefallenen Kosten zu ersetzen, wenn er das Negativ und alle Kopien von Citizen Kane vernichten würde. Schaefer lehnte ab, musste aber den geplanten Kinostart mehrfach verschieben und fand sich landesweit als Bösewicht auf den Titelseiten von Hearsts Skandalblättern wieder: die an sich unbedeutende, von einem Autor gegen die RKO eingebrachte Klage wegen Vertragsbruchs wurde zu einer großen Geschichte über skrupellose Hollywood-Kapitalisten aufgebauscht, die verdächtig oft jüdischer Herkunft waren und unschuldige Amerikaner ausbeuteten.

Mit der Einschüchterung von Entscheidungsträgern kannten sich Hearst und seine Leute aus. Den meisten Schaden richtete nicht das an, was sie taten, sondern das, wovon viele dachten, dass sie es tun würden, wenn man ihren Wünschen nicht nachkam. Die Premiere von Citizen Kane sollte am 19. Februar in der den Rockefellers gehörenden Radio City Music Hall in New York stattfinden. Als das Management von dieser Vereinbarung plötzlich nichts mehr wissen wollte, waren schnell Gerüchte darüber im Umlauf, dass Louella Parsons Nelson Rockefeller gegenüber angedeutet habe, dass die American Weekly, eine von Hearsts Wochenzeitungen, einen Enthüllungsbericht über seinen Großvater plane. Da nun sogar die mächtigen Rockefellers einzuknicken schienen, verließ auch andere Kinobesitzer der Mut.

Citizen Hearst

Uraufgeführt wurde Citizen Kane schließlich am 1. Mai 1941 im RKO Palace am Broadway in New York. Trotz seines Namens war dieses Kino eher klein und auf Premieren nicht eingerichtet, weshalb es notdürftig umgebaut werden musste. In Chicago und Los Angeles war es nicht besser. Eine Kette mit mehr als 500 Kinos, die Citizen Kane im Paket mit anderen Filmen gekauft hatte, weigerte sich, ihn zu zeigen, um Hearst nicht zu verärgern. Die RKO traf so ein Boykott härter als andere Studios, weil sie im Gegensatz zu den großen Vier kaum über eigene Kinos verfügte. Citizen Kane lief deshalb in unabhängigen Lichtspieltheatern oder gar nicht. Der finanzielle Misserfolg war damit garantiert. Das begründete Welles’ Ruf, Filme zu machen, die niemand sehen wollte.

Den von Hearsts Leuten angedrohten Prozess strengte ein paar Jahre später einer von dessen erbittertsten Gegnern an. Der investigative Journalist Ferdinand Lundberg hatte in seiner 1936 erschienenen und mehrfach neu aufgelegten Biographie Imperial Hearst viele unschöne Details über sein Studienobjekt zutage gefördert und reichte eine Klage ein, weil das Drehbuch zu Citizen Kane seiner Meinung nach ein Plagiat war. Das Gerichtsverfahren blieb ergebnislos, weil sich die Juroren nicht einigen konnten, festigte jedoch im allgemeinen Bewusstsein die Verbindung zwischen Hearst und Kane. Citizen Kane lässt sich aber nicht auf eine Abrechnung mit Hearst reduzieren. Die von ihm übernommenen und in die Filmfigur Charles Foster Kane eingegangenen Eigenschaften sind der Ausgangspunkt für weiterführende, politische und gesellschaftliche Überlegungen.

Teil 2: Rosebud ohne Klitoris: Citizen Kane und das amerikanische Jahrhundert

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