Urlaub mit dem Besatzer

Besatzerkind John, 6, (rechts) mit besetztem bayerischen Kind Nicolas, 6, in Tracht (links). Bild: A. Dill

Eine kleine Sommergeschichte

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Sie sprechen kein Deutsch. Sie wissen nicht, warum sie hier sind. Aber im Sommer drängt es die in Deutschland stationierten US-Soldaten in die Nähe einer ihrer letzten Bergfestungen. "Your Garmisch Housing Team" logiert sie dann in komfortablen Apartments ein und erklärt ihnen die Abfahrtzeiten der Zugspitzbahn - eine kleine Sommergeschichte von Besatzern und Besetzten.

Dort treffen sie auf bajuwarische Ureinwohner, die teilweise in Tracht auf Germany's Summit Number One pilgern. Doch in der Zahnradbahn, die Garmisch mit dem 2600 Meter hoch gelegenen Gletscher verbindet, sind wir Alpenbewohner nur eine kleine Minderheit unter Westfalen, Sachsen und Rheinländern, vor allem aber unter Chinesen, Japanern, Koreanern und Amerikanern. Security Issues? Fehlanzeige. Oberbayern ist eine der ganz wenigen Gegenden der Erde, wo die amerikanischen Besatzer völlig gefahrlos unter den Besetzten weilen, dank deren christsozial-kommunistischem Sozialstaat es auch keinerlei Kriminalität gibt.

Wie gut, dass sie selbst - das teilen sie übrigens mit den Besetzten - gar nicht wissen, dass sie Besatzer sind. Ihre Regierung erklärt ihnen die Stationierung einfach damit, dass Deutschland ein Verbündeter sei.

Gary hat sich mit seiner Frau und seinen drei Kindern zu uns gesetzt. Ein Breze aus unserem Rucksack schafft schnell Freundschaft. Die drei US-Gören balgen sich um die Brezenteile, also ob sie an einem Brotzeit-Teilen-Workshop bei Mandy im Görenladen in Wedding teilgenommen hätten. Während Klein-John mit seinen Nikes unablässig gegen meine Schienbeine hämmert, dabei auf Papas iPhone mit einem Höllenlärm Monster killt, erklärt mir Vater Gary, dass John unter Migräne leide."Sorry", bemerke ich. Migräne mit sechs ist nicht lustig. Aber bei diesen Spielen auch nicht auszuschließen.

Als Little-Luke, der bisher vor allem dadurch auffiel, dass er mit den Fingern die Knuttel aus seiner Windel ans Tageslicht zu bringen suchte, seinem Bruder das iPhone entreißen wollte, nahm es Gary. Davon entstand ein schönes Foto:

Kampf um die Zugangsrechte zum iPhone. Bild: A. Dill

Gary war nicht vom Stamme Rambo-Terminator, als den wir uns Angehörige der größten terroristischen Vereinigung der Erde oft vorstellen, sondern eher ein blass-rationaler Logistiker. Sein Job war es vermutlich, die Supply-Chain in der Ramstein Air base nicht abbrechen zu lassen. Da ging es um Schedules und Agendas, Slots und Risk Assessment.

Das in Deutschland fast völlig unbekannte Aufenthaltsrecht für amerikanische, britische und französische Soldaten wurde 1951 mit einem sogenannten "Deutschlandvertrag" beschlossen und 1954 erneuert.

Für Kenner: 1953 erließen die Gläubigerländer Deutschland 14 der 28 Milliarden Mark Schulden. Man könnte den Vertrag deshalb auch als eine unbare Leistung für den Haircut ansehen. In Artikel 4 wird sie als "Verteidigung der freien Welt" bezeichnet.

Allerdings sollte das im August 2012 auf dem Weg zur Zugspitze keine Rolle spielen: Hier, im friedlichen Bergparadies, wo sich Wohlstand und Frieden seit 60 Jahren die Hand geben, vergessen wir gerne die Geschichte unserer Begegnung.

Um Gary ein bisschen aufzumuntern, erzählte ich ihm, dass mein ältester Sohn einer der letzten Gebirgsjäger-Rekruten vor Abschaffung der Wehrpflicht war. Aber Gary fehlte der Sportsgeist der britischen Männer, um dem etwas abzugewinnen. Auch der Hinweis, mein Rekrutensohn sei in der legendären Strub bei Berchtesgaden stationiert gewesen, wo der Führer zuletzt das OKW (Oberkommando der Wehrmacht) angesiedelt hatte, zeigte keine Reaktion. Gary, der etwa 37 sein musste, wusste schlichtweg weder was Gebirgsjäger waren, noch kannte er das OKW.

Ich wiederum lernte, dass ein iPhone in der US-Armee einen Preis hat, den er nicht nennen darf. Die angebliche Künstlerfirma Apple zählt die US-Armee zu ihren bevorzugten Hauptkunden und hat ihr deshalb einen eigenen Shop eingerichtet. Immerhin ist das iPhone das einzige US-Produkt, das sich normalerweise noch außer der DVD der köstlichen Mafia-Psychiater-Komödie "Reine Nervensache" in einem deutschen Haushalt findet.

Gary schlägt vor, uns mit seinem militärisch verbilligten Gerät zu fotografieren, was wir gerne geschehen lassen:

Bajuwarischer Telepolis-Autor mit Sohn in der Zugspitzbahn, fotografiert mit Besatzer-Technologie.

Oben auf der Zugspitze gehen wir zusammen essen. Ich bestelle erst einmal eine Halbe - Gary ein Spezi. Was sind das für Armeen, in denen nicht einmal mehr in der Freizeit Bier getrunken wird? Der Blick auf seine Frau mit den streng zurückgelegten Haaren lässt in mir eine Vermutung aufkommen: Sie stammt aus einer protestantischen Sekte und bewahrt Gary vor den teuflischen Versuchungen des Bieres. Währenddessen gießen zarte Chinesinnen am Nachbartisch zwei Halbe Franziskaner rein. Ozapft is! Gary erwähnt, dass wir Bayern doch einen eigenen Dialekt hätten und nicht eins, zwei, drei sagten, sondern was anderes. "Wir sagen nur oans, zwoa", erkläre ich ihm, weil wir bei "drei" schon die Halbe gesoffen haben. Oder hatten, denn es ist ja auch bei uns inzwischen meistens verboten. Wie rauchen, Koran lesen und CSU wählen.

Die Tochter der Besatzer mit dem nach deren Auffassung altdeutschen Namen "Adelaide" bricht unvermutet in Tränen auf. Sie legt sich weinend auf Migräne-John. Beide Eltern gehen sehr gelassen, ja, entspannt mit ihren Kindern um. Es ist angenehm, mit ihnen zusammen zu sein.

Als wir aufstehen, streichelt Gary kurz über meinen Arm - auch amerikanische Soldaten sind liebesfähige Wesen. Trotzdem sollten wir sie beizeiten in ihre natürliche Umwelt zurücksenden.