Grund zum Klagen
Mit einer Flut von juristischen Eingaben versuchen die Gegner der israelischen Sperranlagen in den Palästinensischen Gebieten den Verlauf zu verzögern und zu beeinflussen
Hier kommen Bauern nicht zu ihren Feldern, dort wird ein Naturschutzgebiet durchschnitten und zwischendrin ist die Mauer einfach nur zu hässlich - der Kreativität der Gegner der israelischen Sperranlagen in den Palästinensischen Gebieten sind kaum Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, den Verlauf der Mauern und Zäune zu verändern und zu verzögern. Kilometer um Kilometer prüfen ihre Anwälte die Anlagen auf Klagegründe und decken dann den Obersten Gerichtshof in Jerusalem mit einer Flut von Petitionen, der israelischen Form der Klage, ein und scheuen auch nicht davor zurück , jene Siedler einzubinden, die die Sperranlagen ablehnen, weil sie darin den Verlauf der künftigen Grenze sehen. Die Strategie hat einigen Erfolg: Mehrmals mussten Vertreter der Regierung bereits einräumen, dass bei den Planungen der Route nicht allein Sicherheitserwägungen berücksichtigt wurden, und dass es Alternativen zu physischen Absperrungen gibt. So ordnet das Gericht immer wieder Änderungen an.
Man könnte glauben, man sei irgendwo in New Mexico oder Texas gelandet: Der Wind weht Ballen getrockneten Reisigs über die Straße; am Rand lädt eine vergilbte Werbung vor einem herunter gekommenen Rasthof zum Eis am Stil ein, das von einer verlebten Bedienung serviert wird, die aussieht, als habe sie in dem gleichnamigen Film mitgespielt, der übrigens die erfolgreichste israelische Produktion aller Zeiten war. Im Hinterzimmer spielen Trucker Billard und erzählen schmutzige Witze.
Willkommen im israelischen Süden, jener Gegend, um die sich die meiste Zeit des Jahres niemand kümmert – denn außer Wüste, jenem Rasthof und ein paar winzigen Dörfern, einige davon Siedlungen im palästinensischen Westjordanland, gibt es hier nur eines: Tiere. Nicht besonders viele davon, aber genug, um dafür vor Gericht zu ziehen, denn demnächst will das Verteidigungsministerium ein paar Kilometer weiter nördlich damit beginnen, einen Zaun, gesäumt von 50 Meter breiten Straßen, Stacheldrahtballen und Gräben, durch die Landschaft ziehen (Der Sicherheitszaun aus der Perspektive von Umweltschutz und Ästhetik).
Die Kläger sind mehrere Naturschutzverbände und einige Anwohner; aber bei der Klage, die zur Zeit vor dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem liegt, geht es nicht vor allem darum, die Natur zu schützen – sie ist Teil der Strategie der israelischen Gegner mit einer Reihe von Menschenrechtsorganisationen als hartem Kern, dieses an die 550 Kilometer lange Bauwerk aus Mauern und Zäunen in und um das palästinensische Westjordanland herum zu verhindern, von dem die israelische Regierung sagt, dass es Terrorismus verhindert, und die palästinensische Seite erklärt, dass eine politische Grenze gezogen wird.
Die Anwälte der Gegner, die in den meisten Fällen die selben sind, grasen jeden einzelnen Kilometer ab, prüfen ihn auf Klagegründe und ziehen dann vor den Obersten Gerichtshof, wenn das Verteidigungsministerium nicht zuvor selbst einlenkt. Das Ziel: verändern, verzögern, die Regierung dazu bringen, sich in ihren eigenen Äußerungen zu verstricken. Grund zum Klagen kann dabei alles sein: Ein paar Bauern, die für den Weg ihrer nur wenige Dutzend Meter entfernten Feldern Kilometer weite Umwege in Kauf nehmen müssen, Tiere, ja, selbst die Tatsache, dass die an die acht Meter hohe Betonmauer unterirdisch hässlich ist. 2005 klagten die Gegner, die man als einen losen, aber ziemlich gut organisierten Verbund von Organisationen, einige davon nur als Mittel zum Zweck gegründet, und Privatpersonen sehen muss, im Auftrag mehrerer Siedler in der Umgebung von Jerusalem, weil der Ausblick auf die Mauer den Wert ihrer Häuser und die Lebensqualität ihrer Bewohner senke. In diesem Fall einigte man sich darauf, die Mauer anzustreichen; in anderen Fällen erreichte man eine Verlegung.
Natürlich sei es schon zynisch, mit Siedlern gemeinsame Sache zu machen, sagt ein Führungsmitglied einer der beteiligten Organisationen, das nicht namentlich genannt werden möchte: „Aber letzten Ende geht es darum, die Mauer zu bekämpfen, und die Siedler sind ja genauso dagegen wie wir.“ Das sind sie allerdings aus anderen Gründen. Viele der Siedler, wie auch die Palästinenser, sehen in der Sperranlage die Festlegung der künftigen Grenze, oder, im Umkehrschluss, die Aufgabe von Land, dass in ihrer Lesart zu Israel gehört.
Wir schauen uns natürlich schon sehr genau an, in welcher Sache wir klagen, und in welcher nicht. Wenn durch eine Petition eine Verlegung der Mauer weiter in das Westjordanland hinein erreicht werden könnte, was ja durchaus möglich ist, halten wir uns raus.
Alles in allem geht die Klagestrategie auf, auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer danach aussieht: Im Sumpf zwischen Politik und Sicherheit bleibt die Regierung, stets vertreten durch Generalstaatsanwalt Menachem Masus oder seine Mitarbeiter, immer wieder mal stecken – so wie im Sommer 2005 in der Sache A-Ram (Neues vom Mauer-Fall), einem einst zwangseingemeindeten Vorort von Ost-Jerusalem, der eine urbane Einheit mit der Stadt bildete, bis Arbeiter begannen, die Mauer hochzuziehen und den Ort damit von Jerusalem abschnitten.
Warum denn die Sperranlage genau dort verlaufen müsse, fragten die Richter die Regierung, ließen durchblicken, dass man da jetzt irgendwie kein Plus für die nationale Sicherheit erkennen könne und bekamen eine Antwort, die die Kläger frohlocken ließ: Aus politischen Gründen werde die Mauer dort und nicht woanders gebaut, erwiderten die Anwälte der Regierung - eigentlich ein klarer Verstoß gegen eine Vorgabe der Höchstrichter, derzufolge die Sperranlagen nur außerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949 gebaut werden dürfen, wenn sie temporär sind und der Sicherheit dienen. Allerdings: 1980 wurde Ost-Jerusalem, und damit auch A-Ram einseitig durch Israel annektiert; nach israelischem Recht gilt der Ort also als israelisches Staatsgebiet - und auf ihrem eigenen Territorium dürfe Israels Regierung tun, was sie will, also auch Mauern bauen, wies der Oberste Gerichtshof die Petitionen gegen die Mauer zurück.
Trotzdem: Die Freude der Kläger blieb. „Wir haben die Regierung dazu gebracht, zum ersten Mal einzugestehen, dass der Mauerverlauf in der Tat politisch motiviert ist“, hatte Noah Goldfarb von der Menschenrechtsgruppe BeTselem damals gesagt. Und dass machte man sich von da an zu nutze, wo man nur konnte: In Ariel und Gusch Etzion, zwei Siedlungsblöcken, die Israels Regierung gerne nach einem Friedensabkommen mit den Palästinensern annektieren würde, ordnete das Verteidigungsministerium bereits vorsorglich eine Umplanung an.
Auch die Naturschutzsache wäre dem zur Zeit mit mehr als 800 Petitionen (insgesamt wurden bereits 5.000 Petitionen eingereicht) eingedeckten Obersten Gericht fast erspart geblieben. Im Januar hatte das Verteidigungsministerium auf Anordnung von Verteidigungsminister Amir Peretz zunächst einmal den Baubeginn in der betroffenen Gegend verschoben und versprochen, man werde gemeinsam mit den Naturschützern und den wenigen Anwohnern, die meisten davon Siedler, nach technischen Alternativen suchen, also zum Beispiel statt Zäunen nur Sensoren und Überwachungskameras zu installieren.
Vor drei Wochen kam dann allerdings die überraschende Wende. Es gebe keine Alternative zum Zaun, teilte das Verteidigungsministerium mit. Man werde die Anlage bauen müssen, die dann allerdings nur 30 statt 50 Meter breit sein und außerdem mehrere Durchlässe für Tiere aufweisen werde – nicht genug für die Gegner, die sich daraufhin mit einem Eilantrag an den Obersten Gerichtshof wandten. Dieser hielt eine schnelle Abhörung ab und gab dem Verteidigungsministerium wie üblich 30 Tage Zeit, um zu erklären, warum dort überhaupt Sperranlagen gebaut werden müssen.
Die Erfolgsaussichten sind gut: Der Verlauf der Anhörung schein darauf hinzudeuten, dass die meisten der Richter kein Verständnis für die Kehrtwende zu haben scheinen. So wollte der sonst eher staatstragende Richter Michael Cheschin unter anderem wissen, ob auf diese Weise auch die Generalstabsentscheidungen im Kriegsfall getroffen werden – eine Anspielung auf den Libanon-Krieg.
Das Verteidigungsministerium habe sich selbst ins Aus manövriert, als es schon früh versprach, nach Alternativen zu suchen, sagt Menschenrechtler Goldfarb, der nicht an der Naturschutzklage beteiligt ist, sie aber nach eigenem Bekunden „mit großem Interesse verfolgt:
Wenn man dort Sensoren und Kameras nutzen kann, dann könnte man dies auch anderswo tun. Die Kosten dafür wären jedoch sehr hoch, was vermutlich der Grund für den Rückzieher ist. Allerdings ist es auch teuer, die Mauer zu bauen und sie dann wieder verlegen zu müssen, wenn man vor Gericht verliert.
Ob den illustren Gästen des Rasthofes im israelischen Süden auch künftig der Anblick auf einen Zaun inmitten der kargen, steinigen Wüstenlandschaft erspart bleiben wird, ist fraglich:
Der Zaun wird wohl schon gebaut werden. Aber es wäre ein Erfolg, wenn sich das Verteidigungsministerium dazu bereit erklären würde, ihn auf israelisches Geiet zu verlegen. Denn irgendwie hat der Oberste Gerichtshof damals in der A-Ram-Sache schon Recht gehabt: Auf israelischem Gebiet kann die Regierung machen, was sie will.
Noah Goldfarb