Usbekistan: Dramatischer Angriff auf die Zivilgesellschaft

Trotz neuer EU-Resolution wird in usbekischen Gefängnissen weiterhin gefoltert

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Andrea Berg, Leiterin des Büros von Human Rights Watch in Usbekistan, sieht keine wesentliche Verbesserung der Menschenrechtslage. Sie plädiert dafür, die Sanktionen aufrecht zu erhalten, bis ein wirkliches Einlenken Usbekistans zu beobachten ist.

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wurden auf explizites Einwirken der Bundesregierung die Sanktionen gegenüber Usbekistan gelockert. Der Grund war das Versprechen eines Entgegenkommens der Regierung Islam Karimovs, die Menschenrechtslage im Land zu verbessern. Können Regimegegner, Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten nun aufatmen?

Andrea Berg: Zum einen hat sich die Menschenrechtslage in Usbekistan nicht verbessert. Zum anderen kann man auch nicht absolut sagen, dass die Europäische Union bei der Erklärung vom 15. Mai die Sanktionen gegen Usbekistan gelockert hat. Die Sanktionen wurden erstmals im November 2005 verhängt, ein halbes Jahr nach dem Andischan-Massaker. Dieses Massaker war auch der Grund für das Verhängen der Sanktionen. Die Sanktionen beinhalteten drei Komponenten: 1. ein Waffenembargo, 2. Einreiseverbote in die Europäische Union für 12 Regierungsbeamte aus Usbekistan und 3. ein einjähriges Einfrieren des Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit Usbekistan. Nach einem Jahr, am 13. November 2006, hat die EU die Sanktionen überprüft und entschieden, das Waffenembargo um ein weiteres Jahr und das Einreiseverbote um weitere sechs Monate zu verlängern. Die Zusammenarbeit im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens wurde wieder aufgenommen.

Im Mai 2007 wurden die Sanktionen erneut überprüft. Die EU entschied, das Einreiseverbot von zwölf auf acht Personen zu reduzieren und das Waffenembargo weiterhin aufrecht zu erhalten. Das könnte man natürlich als ein Aufweichen der Sanktionen beschreiben. Auf der anderen Seite ist es so, dass im Gegensatz zur Resolution, die die EU im Oktober 2006 verabschiedet hatte, die Resolution vom Mai 2007 ausdrücklich eine Freilassung inhaftierter Menschenrechtsaktivisten zur Bedingung für jede weitere Diskussion über die vollständige Aufhebung der Sanktionen macht. Diese Formulierung darf als Besonderheit in einem EU-Dokument gewertet werden. Auch soll die Menschenrechtslage im Allgemeinen verbessert werden.

Innerhalb der EU gab es unterschiedliche Meinungen, ob die Sanktionen aufgehoben werden sollen oder nicht. Die EU besteht aus 27 verschiedenen Ländern und Deutschland hat sich stärker dafür eingesetzt, die Sanktionen aufzuheben mit der Begründung, Sanktionen brächten nichts, man müsste den Dialog suchen. Jedoch gibt es andere Länder und auch wir von Human Rights Watch argumentieren, dass Sanktionen einen Dialog nicht ausschließen, aber der Dialog ganz klar an bestimme Etappenziele geknüpft werden muss.

Ist die EU auch daran interessiert, die Täter von Andischan aufzudecken und wurde diese Frage in der EU-Resolution im Mai mit berücksichtigt?

Andrea Berg: Die usbekische Regierung verbittet sich jede Einmischung in die Untersuchung des Massakers von Andischan, mit dem Hinweis darauf, dass es sich um eine interne Angelegenheit handelt. Usbekistan sei ein souveräner Staat, der seine Probleme selber lösen kann.

Als die EU-Sanktionen im Oktober 2005 verhängt wurden, gab es vier Kriterien. Eines davon war das Einsetzen einer internationalen, unabhängigen Untersuchungskommission zur Untersuchung des Andischan-Massakers. Das lehnt die usbekische Regierung bis heute rigoros ab. Sie hat der EU einzig zugestanden, zwei Runde Tische in Usbekistan durchzuführen. Der eine war im Dezember 2006, also eineinhalb Jahre nach den Ereignissen. Der andere fand im April 2007 statt, bei dem jeweils eine Delegation der EU anreiste, eine Hand voll Polizisten und Juristen und der Rest Diplomaten. Das Abhalten dieser Runden Tische wurde als Erfolg gewertet, aber de facto ist es so, dass im Rahmen dieser Runden Tische überhaupt nichts rausgekommen ist. Die Mitglieder der Delegation waren auch nur für jeweils zwei oder drei Tage in Usbekistan. Sie können sich selber vorstellen, dass sie nur die Möglichkeit hatten, mit ein paar Gefangenen und Anwälten zu sprechen. Das Andischan-Prozessmaterial hat aber mehrere tausend Seiten. Das kann man in der Zeit nicht durcharbeiten. Und damit ist das Thema für die Usbeken abgehakt.

Die usbekische Regierung hat nach unserem Wissen rund 350 Personen in etwa 22 Strafprozessen verurteilt. Nur einer von diesen Prozessen war zugänglich für die Öffentlichkeit. Er ist als richtiger Schauprozess in Taschkent abgehalten worden, mit Medien, Diplomaten und internationalen Organisationen. All die anderen Prozesse sind in der Provinz abgehalten worden, ohne Anwälte oder Verwandte zu informieren oder unabhängige Beobachter zu laden. Wenn man sich die Anklageschriften und die Urteile durchliest - in einigen Fällen war es uns möglich, diese zu bekommen -, kann man sehen, dass sich alle Prozesse damit beschäftigen, was in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai passiert ist, wobei detailliert jedes benutzte Handy, jedes Auto aufgezählt wird. Und was am 13. Mai zwischen 10 Uhr morgens und acht Uhr abends auf dem Babour Platz passiert ist, darüber wird kein Ton verloren. Es gibt nur einen sehr kurzen Absatz, der besagt, dass Terroristen das Feuer eröffnet hätten.

In einem der 22 Prozesse waren auch Soldaten und Beamte des Strafvollzugs in Andischan angeklagt, denn in der Nacht vor dem Massaker hat es einen Überfall auf ein Gefängnis gegeben, wo mehrere hundert Gefangene befreit wurden. Interessanterweise sind die Beamten in den Prozessen nicht für das Massaker zur Verantwortung gezogen worden. Es ging nur darum, dass sie ihre Waffen nicht ordentlich gelagert haben. Es ist bisher niemand für das Massaker zur Verantwortung gezogen worden.

Sehen Sie die Annäherung der EU an Usbekistan als strategischen Zug, wobei vor allem Rohstoffinteressen verfolgt werden?

Andrea Berg: Manches in den Beziehungen zwischen der EU und Usbekistan ist schwer zu verstehen. Die EU sagt selbst immer wieder, dass sie keine Zugeständnisse im Bereich Menschenrechte im Austausch für Energie und Rohstofflieferungen macht, dass es ihr [der EU] in dem Zentralasien-Strategie-Papier um beides geht. Gleichzeitig ist es so, dass wir als Human Rights Watch die EU dazu drängen, dass die EU in Usbekistan viel stärker ihre Möglichkeiten einsetzt. Es ist schon so, dass die USA als moralische Instanz in Zentralasien, besonders in Usbekistan, an Ansehen eingebüßt hat, aufgrund von Foltervorwürfen in den amerikanischen Gefängnissen wie in Guantanamo. Aber die EU hat noch so was wie eine moralische Autorität und kann sich deshalb viel stärker einsetzen. Ich kann jetzt nicht einfach sagen, dass es nur um Rohstoffinteressen geht, aber man fragt sich schon, was die EU dort eigentlich will, und warum sie sich so ziert, stärker auf die Umsetzung von Menschenrechten zu pochen.

Hat sich die Situation von Human Rights Watch in Usbekistan mit der EU-Resolution vom Mai 2007 verbessert?

Andrea Berg: Es ist immer schlimmer geworden. In den zwei Jahren meines Aufenthaltes in Usbekistan sind zahlreiche internationale Organisationen geschlossen worden. Im selben Zeitraum sind 15 Menschenrechtsaktivisten zu teilweise langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Zahlreiche lokale Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten mussten außer Landes fliehen, und leben inzwischen in Norwegen, in der Schweiz oder Kanada.

Es ist ein dramatischer Angriff auf die Zivilgesellschaft zu beobachten. Es sind nicht nur Menschenrechtsgruppen sondern auch Frauenorganisationen, Informationszentren und viele andere Organisationen betroffen. Alles, was an zivilgesellschaftlichen Organisationen 2002-2003 hinzukam, ist wieder geschlossen worden, und die Leute sind unter ständiger Beobachtung. Die Regierung versucht dabei, jedweden Einfluss von außen auf Usbekistan einzudämmen, seien es studentische Austauschprogramme, seien es Bibliotheken. Alles wurde geschlossen. Webseiten sind blockiert. Im Moment ist es schwierig, in Usbekistan zu arbeiten. Auch internationale Medien wie beispielsweise die BBC und Radio Freies Europa mussten aufgrund des Drucks ihre Büros schließen. Die Korrespondenten der Deutschen Welle haben ebenfalls Probleme. Eine von ihnen musste unlängst aus Usbekistan fliehen.

Von Demokratieförderung kann man in Usbekistan derzeit überhaupt nicht sprechen. Das Einzige, was sicher wichtig ist, ist, solange wie möglich mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Nicht aus dem Land rauszugehen und die Menschen dem Regime zu überlassen, sondern die Bürotür für die Menschen offen zu halten, die Unterstützung suchen oder Rat suchen und im Gespräch bleiben. Gleichzeitig sollten wir auf der politischen Ebene immer wieder klar machen, dass man mit so einem Regime nicht zusammenarbeiten kann. Usbekistan muss ganz klar die internationalen Verpflichtungen erfüllen, die es mit seiner Unterschrift unter diverse Konventionen eingegangen ist.

Wie sieht ihre Tätigkeit vor Ort aus? Werden Sie von der Regierung und der Bevölkerung unterstützt?

Andrea Berg: Human Rights Watch ist keine politische Organisation. Wir beobachten die Menschenrechte in Usbekistan, das heißt wir haben mit einer breiten Palette von Personen, sei es aus der Regierung oder aus der Bevölkerung, zu tun. Wir haben keine exklusiven Kontakte mit Regimegegnern. Wenn es so ist, dass Regimegegner verhaftet werden oder vor Gericht stehen, bemühen wir uns, die Einhaltung von Menschenrechtsstandards zu dokumentieren und zu beobachten. Wir fördern keine Art von Parteien oder politischen Gruppen. Es geht uns nicht um Politik, sondern um Menschenrechte. Wir machen beispielsweise Prozessbeobachtung. Wir sprechen mit Anwälten und mit Angehörigen von Verhafteten. Unsere Hauptaufgabe ist die Dokumentation von Menschrechtsverletzungen auf der einen Seite und die Veröffentlichung dieser Verletzungen auf der anderen Seite. Nur wenn die Öffentlichkeit informiert ist, kann man effektive gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen.

Gibt es in den usbekischen Gefängnissen noch Folter?

Andrea Berg: Ja, natürlich wird in den usbekischen Gefängnisse gefoltert. Im November jährt sich zum fünften Mal der Besuch des Spezialbeauftragten der Vereinten Nationen zum Thema Folter in Usbekistan. Er war im November 2002 in Usbekistan und hat damals einen Bericht über Folter und Misshandlungen in Gefängnissen verfasst sowie zahlreiche Empfehlungen zum Beheben dieser Missstände abgegeben. Sein Nachfolger Manfred Nowak hat im März 2006 noch einmal unterstrichen, dass Folter in Usbekistan systematisch weiter betrieben wird.

Aus unserer Perspektive kann ich das nur bestätigen. Zu uns ins Büro kommen Angehörige von Personen, die darüber berichten, dass sowohl in Untersuchungshaft, als auch im Gefängnis gefoltert wird. Und Angeklagte in Prozessen berichten ebenso über Folter. Das Problem ist eben, dass die Leute keine Anlaufstelle haben, die juristisch dagegen vorgeht und diejenigen, die foltern, zur Verantwortung zieht. Ich bin selbst im Gericht gewesen, wenn Angeklagte über Folter ausgesagt haben, was ja schon schwer genug ist. Der Richter antwortet auf solch einen Vorwurf lapidar: „Das sagen Sie nur, damit Sie eine geringere Strafe bekommen.“ Obwohl er durch die Strafprozessordnung dazu verpflichtet ist, Foltervorwürfen nachzugehen und Aussagen, die unter Folter erzwungen wurden nicht vor Gericht zugelassen sind, macht er dann so eine Bemerkung.

Welche Gründe für Gefängnisstrafen gibt es in Usbekistan?

Andrea Berg: Das ist unterschiedlich. Es gibt natürlich die ganz normalen Verbrechen aller Art. Seit vielen Jahren gibt es in Usbekistan eine Kampagne gegen unabhängige Muslime, denen vorgeworfen wird, sie seien Extremisten, Fundamentalisten, Terroristen. Die werden in Bausch und Bogen verurteilt. Meistens beruht die Anklage nicht auf Beweismaterial, sondern lediglich darauf, dass irgendein Nachbar eine Beschwerde geschrieben hat. Für eine Denunziation reichen Beschwerden und Aussagen aus. Und sie wird auch genutzt, um andere Leute einzuschüchtern.

Da die Landwirtschaft in Usbekistan unter staatlicher Kontrolle steht, werden die Bauern, die es nicht schaffen, genug Weizen zu ernten oder irgendetwas abzugeben, zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, indem behauptet wird, man hätte bei ihnen zu Hause politische Flugblätter gegen das Regime gefunden.