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Seite 3: Forderung nach existenzsichernden Löhnen im Globalen Süden

"Ein existenzsichernder Lohn müsste in den Vororten Dhakas bei umgerechnet 177 US-Dollar monatlich liegen, im Zentrum bei 214 US-Dollar. Die tatsächlichen Löhne der Beschäftigten lägen dagegen, abhängig von der Qualifikation, zwischen 69 und 83 US-Dollar. Zur Erreichung eines existenzsichernden Einkommens müssten die Löhne also mehr als verdoppelt werden", rechnet Friedel Hütz-Adams vom Think-Tank Südwind-Institut vor

Alle Beteiligten der Wertschöpfungskette – von Unternehmen über Gewerkschaften bis zu Behörden – sollten Netzwerke bilden, um dieses Ziel zu erreichen. Für produzierende Unternehmen und den Einzelhandel fordert der Autor, sie sollen:

  • "ihre Beschaffungsketten so gestalten, dass sie die Herkunft der von ihnen eingekauften Produkte kennen";
  • bei den Preisvorgaben für ihre Lieferanten berücksichtigen, dass in der gesamten Lieferkette die Zahlung existenzsichernder Löhne ermöglicht wird.
  • Banken und Investoren sollten nach Ansicht von Hütz-Adams nur den Unternehmen Geld zur Verfügung stellen, die nachprüfbare Auskünfte über ihre soziale, menschenrechtliche und ökologische Situation geben.

Der Unternehmensberater Georgios Zervas und der Zukunftsforscher Peter Spiegel fordern als bestechend einfache Lösung zur Bekämpfung von extremer Armut einen "globalen Mindestlohn von einem Dollar pro Stunde" netto. Das könne "die schlimmsten Formen ausbeuterischer Entlohnungen mit einem Schritt weltweit beseitigen".9

Für Näherinnen in äthiopischen Sweatshop, die jetzt 15 Cents Stundenlohn erhalten, wäre das eine riesige Verbesserung. Wenn ihr Lohnanteil an Textilien ein Prozent beträgt, würde diese Versiebenfachung des Näherlohns den Textilienpreis nur um sechs Prozent verteuern.

Spitzenverbände und Altmeier dagegen, manche Firmen dafür

Arbeitgeberpräsident Dulger warnt vor Belastungen für die heimischen Unternehmen und fordern ein "Belastungsmoratorium" – für Unternehmen, nicht für Arbeitnehmer*innen oder die Umwelt. Durch ein Lieferkettengesetz "würden hiesige Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteiligt", warnten BDA, BDI, DIHK und ZDH. Globale Lieferketten, "die oftmals über 100 Zulieferstufen enthalten", seien aus Deutschland heraus überhaupt nicht zu kontrollieren.

Unterhalb der Spitzenverbandsebene sehen Unternehmen das differenzierter.

Wenn wir als Unternehmen darauf abzielen, dass es Menschen in der Lieferkette gut geht, haben wir die Sicherheit, auch morgen noch Rohstoffe zu erhalten.

Schokoladenhersteller "Ritter Sport"

Manche "Unternehmen verlangen nach einem verbindlichen Rechtsrahmen" für Lieferketten, denn der "könnte Rechtsklarheit, Rechtssicherheit, Transparenz und Wettbewerbsgleichheit für alle Unternehmen schaffen".10

Die großen Kakaoverarbeiter Mondelez, Mars und Nestlé verlangen mittlerweile eine verbindliche Regulierung für menschenrechtliche und umweltspezifische Sorgfaltspflichten, um Rechtssicherheit und ein "Level playing field" zu erlangen und um den Zugang zu ihrem wichtigsten Rohstoff langfristig zu sichern – ohne Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit.

Außerdem können "ethische Risikoanalysen (...) zum Wettbewerbsvorteil werden", da "die Nachfrage bei Investments mit nachhaltiger Ausrichtung steigt."11

Ein Vertreter der Henkel-AG, Uwe Bergmann, wies in einer Videokonferenz am 27. Januar 2021 mit den Grünen Düsseldorf auf Umsetzungsschwierigkeiten eines Lieferkettengesetzes hin:

  • Man dürfe Arbeitskräften nicht im Zeichen der Menschenrechte das Recht nehmen, auch mehr als 60 Wochenstunden zu arbeiten, wenn sie das wollen, wie in den USA üblich.
  • Seine zehn größten Lieferanten setzen über eine Milliarde Dollar um; doch da er bei denen nur einen Umsatz-Anteil von 0,1 Prozent hat, habe er kaum Einfluss auf ihr Verhalten.
  • Das viel kritisierte Palmöl importiert er nicht direkt, sondern nur indirekt als Tenside.

Eine Vertreterin der Metro-AG, Illa Brockmeyer, betonte, dass der Konzern viele Selbstverpflichtungen eingegangen sei, Lieferketten-Audits durchführe und sich engagiere, um "Zwangsarbeit zu eliminieren".

Zum Lieferkettengesetz forderte sie, dass es:

  • Unternehmen "als Hilfe, nicht als Bürde" dienen;
  • "keine zivilrechtliche Haftung" enthalten, die nur Angst verbreiten würde, sondern lieber positive Anreize setzen, und
  • eine "Anerkennung etablierter Branchenstandards" ausdrücken solle.

Solche Vorstellungen eines Gesetzes "'als Hilfe', nicht als Bürde" können sich auf die UN-Leitprinzipien12 berufen, denn dort steht:

Staaten sollten ...
• Wirtschaftsunternehmen wirksame Handlungsanleitungen zur Achtung der Menschenrechte in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit bereitstellen;
• Wirtschaftsunternehmen dazu anhalten und es ihnen gegebenenfalls zur Auflage machen, zu kommunizieren, wie sie ihren menschenrechtlichen Auswirkungen begegnen.

Bundesentwicklungsminister Müller lehnt solche Vorstellungen eines Gesetzes ohne Haftung ab13:

Die Lobbyvertreter der Wirtschaftsverbände wollen ein Gesetz - gut! Aber sie wollen ein Gesetz ohne Folgen, ohne Haftung und ohne Wirkung - und das geht nicht. Glauben Sie, dass sich im Zeitalter von Blockchain ein Unternehmen in Deutschland, das am Markt bestehen will, Kinderarbeit in seiner Lieferkette nachweisen lassen und damit seine Reputation gefährden will? Nein. Eine entsprechende Zertifizierung muss Standard werden, Herr Lambsdorff, auch für die wenigen schwarzen Schafe am Markt, die diese Standards bisher nicht einhalten.

Bei der Modernisierung des Lieferkettenkapitalismus steht China wie ein weißer Elefant im Raum. Wenn Deutschland und die EU Waren, die unter Zwangsarbeit hergestellt werden, nicht mehr in den Binnenmarkt hereinlassen wollen, könnte dies als handelspolitische "Menschenrechtswaffe" besonders die Importe aus China treffen. Doch kann Deutschland von China die Beachtung seiner Standards verlangen, ohne aus dem chinesischen Markt herauszufliegen?

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