Verantwortung wird nicht mitgeliefert

Trotz hehrer Initiativen ist es bislang nicht gelungen, die Achtung von Menschenrechten in Lieferketten effektiv durchzusetzen

Vom Handy bis zum Elektroauto, von T-Shirts bis zu Nahrungsmitteln – kaum ein Produkt durchläuft heute keine internationale Lieferkette. Seit den 1980er Jahren organisieren transnationale Konzerne den Welthandel zunehmend über globale Herstellungs- und Lieferprozesse.

Von transnationalen Unternehmen gesteuerte globale Wertschöpfungsketten machen heute 80 Prozent des Welthandels aus.

Unctad WORLD INVESTMENT REPORT 2013

In diesem "Lieferkettenkapitalismus " (Dan Danielsen) konzentrieren sich PKW-, Möbel-, Bekleidungs- und Elektronikkonzerne auf ihr Kerngeschäft und die Markenpflege. Sie lagern ihre Produktion und auch telefonische Kundenbetreuung in über den Globus verstreute formal selbständige Zuliefererfirmen aus und sichern sich so auf Dauer höhere Profitraten.

Mit ihren Patenten, Industriestandards und ihrer Kapitalmacht spielen die Betreiber dieser Lieferketten ihre Zulieferer samt Sub-Sub-Unternehmen und deren Staaten, was Arbeits- und Umweltschutz sowie Steuern angeht, gegeneinander aus. "Sie entsprechen damit dem von Joseph Stiglitz beschriebenen 'Rent-Seeking' (Rentenökonomie) von Unternehmen, die in den USA seit 40 Jahren wachsenden Reichtum für das eine Prozent sichern und Stagnation für die Bevölkerung provozieren", betont Klaus Berger von der Bremer Gruppe des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.

Ganz unten in dieser Hierarchie stehen die Arbeiter*innen. Ihr Lohnanteil z.B. am Verkaufspreis einer Jeans beträgt gerade mal ein Prozent.

Positiv kann man das so formulieren: "Globale Wertschöpfungsketten ... sind Existenzgrundlage1 für über 450 Millionen Menschen."

Und die Erfolge deutscher Unternehmen mit ihren Lieferketten kann man als Abhängigkeit formulieren: "Keine zweite große Industrienation ist so intensiv in internationale Lieferketten eingebunden wie Deutschland. (...) Besonders abhängig von importierten Vorleistungen2 sind in Deutschland die Textilindustrie (63 Prozent ausländischer Wertschöpfung), Elektronik (45 Prozent), chemische und pharmazeutische Industrie (39 Prozent), Lebensmittelindustrie (37 Prozent), Automobilindustrie (29 Prozent) und Maschinenbau (28 Prozent)."

Skandale, Verantwortungslosigkeit, Menschenrechte

Augenfällig wird die Skrupellosigkeit der Lieferketten-Unternehmen durch die regelmäßig bekannt werdenden großen Skandalen; hier eine kleine Auswahl:

  • In Südafrika wurden 2012 34 Menschen erschossen, die für bessere Arbeitsbedingungen in einer Platin-Mine nahe dem Ort Marikana demonstriert hatten. BASF bezieht bis heute Platin aus der Mine, ohne sich für eine Aufarbeitung des Massakers oder für Entschädigungen der Opfer einzusetzen.

  • Beim Brand in der Tazreen-Kleiderfabrik/Bangladesch am 24. November 2012 wurden mindestens 117 Menschen getötet und Tausende verletzt.

  • Beim Einsturz des Gebäudes "Rana Plaza" in Bangladesch, dem schwersten Fabrikunfall des Landes, starben am 24. April 2013 1.135 Menschen, meist Textilarbeiterinnen, 2.438 wurden verletzt. Als Konsequenz wurde im Oktober 2014 das "Bündnis für Nachhaltige Textilien" initiiert.

  • Am 25. Januar 2019 brach der Rückhaltedamm einer Eisenerzmine des brasilianischen Konzerns Vale S.A. im Bundesstaat Minas Gerais/Brasilien; ein Tsunami aus Schlamm und Bergbauabfällen begrub 272 Menschen unter sich. Deutschland bezieht die Hälfte seines Erzes aus Brasilien; eine brasilianische Tochter des TÜV Süd hatte vier Monate zuvor trotz Bedenken den Damm für stabil erklärt. Anfang 2021 gab Vale S.A. eine Entschädigungssumme von umgerechnet rund 5,8 Milliarden Euro frei.

  • Estland, Lettland und Litauen "haben zwar alle acht Kernarbeitsnormen der ILO ratifiziert, lassen sie aber gezielt verletzen". Da die Mindestlöhne nur 3,72 Euro, 3,48 Euro bzw. 2,54 Euro betragen und nur zwei bis acht Prozent der Löhne kollektiv verhandelt wurden, siedeln sich im Baltikum Digitalkonzerne, Lkw-Speditionen sowie deutsche und schweizerische Autozulieferer an. Ca. 89.000 LKW-Fahrer wurden aus der Ukraine, aus Weißrussland, Polen und Kasachstan nach Litauen gelockt. Von den vereinbarten Löhnen werden ihnen Fantasiebeträge abgezogen; sie hausen in Baracken und "dürfen teilweise drei bis vier Monate nicht nach Hause – das wissen sie zu Beginn aber nicht – die Ausbeutungsfantasie darf sich unter dem Schutz der EU frei entfalten."3

  • Es kommt ferner zu Morden in den Kohleabbauregionen Kolumbiens, Brandrodung von indonesischem Regenwald, Kinderarbeit bei der Kakaoernte in westafrikanischen Ländern, Arbeit unter Kriegsbedingungen in Coltanminen im Kongo, Vertreibung der indigenen Bevölkerung bei großen Bergbauprojekten.

Warum dürfen "unsere" Unternehmen es zulassen, dass sich ihre weltweiten Zulieferer heute so menschenverachtend aufführen, wie sie es hierzulande im 19. Jahrhundert selbst taten? Der Grund liegt im Zustand der Menschenrechte: "Gegenwärtig verpflichten Menschenrechte die Staaten grundsätzlich nicht, die extraterritorialen Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet ansässiger und/oder ihrer Jurisdiktion unterstehender Unternehmen zu regulieren", stellte der UN-Menschenrechtsrat nüchtern fest.4

Das soll jetzt anders werden, denn

Die Bundesregierung setzt sich auf allen Ebenen - international, europäisch und national - für eine globale nachhaltige Entwicklung in der Welt ein.

Deutsche Bundesregierung, 6. Mai 2019

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften in die Pflicht nehmen. Er fordert "Mehr Fairness in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten"5 :

Mehr als 70 Millionen Kinder arbeiten unter diesen ausbeuterischen, gefährlichen Bedingungen. Wir hierzulande profitieren davon, dass Menschen weltweit unter solch verheerenden Bedingungen arbeiten. Niemand von uns wäre auch nur einen Tag bereit, die Jobs des globalen Südens zu übernehmen.
Wir müssen menschenwürdige Arbeit und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen weltweit durchsetzen: Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts!

Von "Ausbeutung" ist in Deutschland, wo die Benutzung der Arbeitskräfte gesetzlich und tarifvertraglich geregelt ist, außer manchmal in Schlachtbetrieben, nicht mehr die Rede — im Globalen Süden ist sie augenfällig.

Internationale soziale Menschenrechte

Agenda 2030

Am 25. September 2015 verabschiedete die UN-Generalversammlung die "Sustainable Development Goals 2030 " (SDGs) als Resolution. Die Agenda 2030 ist zwar keine völkerrechtlich verbindliche Willenserklärung, kann aber als "Soft Law" die internationale Entwicklung prägen helfen. Unter den "17 Zielen für nachhaltige Entwicklung" findet sich als achtes Ziel die Forderung:

Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle - dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern.

UN-Sozialpakt

Mit der "Agenda 2030" appellieren die Staaten an sich selbst, die SDGs zu erfüllen und das ihnen zugrundeliegende Völkerrecht einzuhalten. Das betrifft insbesondere den UN-Sozialpakt (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, IPWSKR), der "soziale Menschenrechte" völkerrechtlich verbindlich beschreibt, die ein menschenwürdiges Leben für alle absichern sollen. Der Vertrag von 1966 trat 1976 in Kraft, zeitgleich in der Bundesrepublik auch als formelles Bundesgesetz.

Laut Artikel 7 dieses IPWSKR gibt es ein "Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen". Das beinhaltet einen "angemessenen Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit ohne Unterschied", "sichere und gesunde Arbeitsbedingungen" und "Arbeitspausen, Freizeit, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit, regelmäßigen bezahlten Urlaub".

Doch "trotz ihrer Rechtsverbindlichkeit werden die sozialen Menschenrechte in Deutschland wie in vielen anderen Ländern überwiegend als bloße politische Programmsätze entwertet."

UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten

Schon 2011 definierte der UN-Menschenrechtsrat staatliche Schutzpflicht und unternehmerische Verantwortung, damit in globalen Lieferketten die Menschenrechte geachtet werden6:

Zur Wahrnehmung ihrer Schutzpflicht sollten Staaten:(a) Rechtsvorschriften durchsetzen, deren Ziel oder Wirkung darin besteht, von Wirtschaftsunternehmen die Achtung der Menschenrechte einzufordern".
"Die Staaten sollten ... Wirtschaftsunternehmen, ... die ... von ... öffentlichen Investitionsversicherungs­ oder Garantieagenturen erhebliche Unterstützung ... erhalten, ... gegebenenfalls die Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte zur Auflage machen.

Binding Treaty

Da die UN-Leitprinzipien eher Empfehlungen als rechtliche Verbindlichkeit ausdrücken, wurde 2014 im UN-Menschenrechtsrat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung Ecuadors eingesetzt mit dem Auftrag, ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen über transnationale Unternehmen und Menschenrechte zu erstellen. Deutschland und andere EU- und Industriestaaten bremsen diesen Prozess und lehnen direkte Verpflichtungen für Unternehmen und Sanktionsmöglichkeiten entschieden ab.

Ein verbindliches Abkommen könnte die blumige Absicht der Agenda 2030 mit Ziel 8, "menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern", konkret werden lassen.

Deutsches Lieferkettengesetz

Die Bundesregierung hat vor gut vier Jahren einen "Nationalen Aktionsplan" (NAP) verkündet, um die UN-Leitprinzipien umzusetzen. Für diese "Achtung von Menschenrechten entlang globaler Wertschöpfungsketten" beschreibt eine Studie von adelphi consult und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young die "Risiken und Chancen für Branchen der deutschen Wirtschaft."

Doch die mit dem NAP aufgelegte Latte, nach der mindestens 50 Prozent aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten die Anforderungen an menschenrechtliche Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse umzusetzen sollten, wurde gerissen. Nur jedes siebte befragte Unternehmen antwortete überhaupt, und davon erfüllte nur knapp jedes fünfte Unternehmen die Anforderungen, jedes zehnte befand sich "auf gutem Weg".

Da Freiwilligkeit also scheiterte, haben die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Gerd Müller, CSU) und für Arbeit und Soziales (Hubertus Heil, SPD) Vorschläge für ein "faires" Lieferkettengesetz erarbeitet. Das Gesetz soll:

  • definieren, welche Pflichten Unternehmen beim Schutz von Menschenrechten haben und wie Unternehmen diesen in ihren Lieferketten nachkommen können;
  • Unternehmen dazu verpflichten, über ihre Anstrengungen Bericht zu erstatten;
  • die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern vor Gericht stärken und [betroffenen ausländischen Arbeitskräften] einen Weg eröffnen, Schadensersatzansprüche in Deutschland geltend zu machen7 und
  • Kinderarbeit verbieten.8

Apropos Kinderarbeit: Ein Beispiele für humane Kinderarbeit sind Schuhputzerjungs in Mali in Westafrika, die zusammen mit der Nichtregierungsorganisation Enda ihre Rechte gegenüber der Polizei und eine geregelte Bezahlung erstritten haben – und abends zur Schule gehen können:

Das Wirtschaftsministerium (Peter Altmeier, CDU) und das Kanzleramt blockieren die deutsche Umsetzung des Lieferkettengesetzes. Strittig ist:

  • die Haftungstiefe: Wie weit in die Lieferkette hinein sollen Unternehmen haftbar sein?
  • Ab welcher Unternehmensgröße sollen die Sorgfaltspflichten gelten?

Die drei Fachminister konnten sich auch am 5. Februar dieses Jahres im Kanzleramt nicht einigen. Aber es geht voran: Altmaier und Wirtschaftsverbände sowie der Wirtschaftsrat der CDU haben durchgesetzt,

  • dass Unternehmer für Menschenrechtsverstöße in ihrer Zuliefererkette nicht zivilrechtlich haftbar zu machen sind. Stattdessen sollen Bußgelder und evtl. Ausschlüsse von öffentlichen Aufträgen möglich sein.
  • dass eine Verantwortung nur für das erste Glied der Lieferkette, also für direkte Zulieferer und Vertragspartner, bestehen sollen. So "müsste sich ein Konzerne wie Daimler oder VW nur mit den Zuständen im Zulieferer-Werk in Duisburg beschäftigen, nicht aber mit den katastrophalen Auswirkungen des Eisenerzabbaus in Brasilien".
  • dass ein Lieferkettengesetz in der Anfangsphase nur für größere Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter greifen und dann schrittweise ausgeweitet werden soll. Damit kämen weniger als 400 Großunternehmen ins Visier.

Das EU-Lieferkettengesetz

Einerseits betreiben Industriestaaten, sofern es ihnen nützt, einen Abbau von Handelshemmnissen. Die EU trägt mit ihrer Handelspolitik

zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen sowie zum Abbau der Zollschranken und anderer Schranken bei.

Vertrag von Lissabon, Artikel 206 Titel II Gemeinsame Handelspolitik

Andererseits soll sich nun das Europaparlament gegen unbegrenzte Freiheit einsetzen und im März 2021 die EU-Kommission auffordern, einen Gesetzesvorschlag für ein Lieferkettengesetz zu erarbeiten. Schon im April 2020 hatte EU-Justizkommissar Didier Reynders die Notwendigkeit gesetzlicher Auflagen betont:

Freiwillige Regelungen reichen nicht aus, um die Wahrung von Menschenrechten und Umweltstandards in internationalen Lieferketten sicherzustellen.

Reynders bezog sich auf das französische "Vigilance-Gesetz" von 2017, das weitreichendste Gesetz zur Unternehmensverantwortung innerhalb der EU. Es gilt zwar nur für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern, sieht aber eine zivilrechtliche Haftung für Schäden vor, die durch eine Sorgfaltspflicht hätten verhindert werden können.

Am 27. Januar dieses Jahres beschloss nun der federführende Rechtsausschuss fast einstimmig mit 21 Stimmen bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung, dass Unternehmen künftig per Gesetz zu verpflichten sein sollen, die Menschenrechte, die Umwelt und eine gute Unternehmensführung in ihren Aktivitäten zu respektieren. Mit diesem "legislativen Initiativbericht" nimmt das Europaparlament seine (kaum bekannte) Möglichkeit wahr, von der EU-Kommission Gesetzesvorschläge einzufordern.

Im März soll dieser Vorstoß vom Plenum des Europaparlaments diskutiert und bestätigt werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich verpflichtet, bei "legislativen Initiativberichten" stets zu liefern.

Damit ihre Verpflichtungen kontrolliert werden können, sollen Unternehmen ihre negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt bewerten und veröffentlichen müssen. Wo eine "Ausbeutung von Mensch oder Umwelt" festgestellt wird, müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, diese zu unterbinden. Diese Regeln sollen für alle großen Unternehmen und alle börsennotierten oder risikoreichen kleinen und mittleren Unternehmen gelten.

Damit die neuen Regeln auch von allen Unternehmen korrekt umgesetzt werden, ist die zivilrechtliche Haftung ein wesentlicher Bestandteil der vorgeschlagenen Richtlinie. Der Rechtsausschuss verlangt, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Unternehmen haftbar gemacht werden können und Entschädigung für Schäden leisten müssen, die unter ihrer Kontrolle verursacht wurden. Wenn sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkämen, würden ihnen Geldbußen oder der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge drohen. Mit in der Pflicht seien auch Tochterunternehmen europäischer Konzernen, die ausschließlich in Drittstaaten tätig sind.

Das EU-Lieferkettengesetz könnte gegenüber den never ending stories eines deutschen Lieferkettengesetzes und eines "binding treaty" auf UN-Ebene zum Vorreiter werden.

Dagegen fordert Entwicklungshilfeminister Müller "deutschen Pragmatismus":

Deutschland sollte jetzt die Standards setzen mit diesem Gesetz, denn ansonsten bekommen wir eine europäische Vorlage, die viel viel weiter geht und sich nicht an pragmatischen Standards, wie wir das in Deutschland machen würden, orientiert.

Forderung nach existenzsichernden Löhnen im Globalen Süden

"Ein existenzsichernder Lohn müsste in den Vororten Dhakas bei umgerechnet 177 US-Dollar monatlich liegen, im Zentrum bei 214 US-Dollar. Die tatsächlichen Löhne der Beschäftigten lägen dagegen, abhängig von der Qualifikation, zwischen 69 und 83 US-Dollar. Zur Erreichung eines existenzsichernden Einkommens müssten die Löhne also mehr als verdoppelt werden", rechnet Friedel Hütz-Adams vom Think-Tank Südwind-Institut vor

Alle Beteiligten der Wertschöpfungskette – von Unternehmen über Gewerkschaften bis zu Behörden – sollten Netzwerke bilden, um dieses Ziel zu erreichen. Für produzierende Unternehmen und den Einzelhandel fordert der Autor, sie sollen:

  • "ihre Beschaffungsketten so gestalten, dass sie die Herkunft der von ihnen eingekauften Produkte kennen";
  • bei den Preisvorgaben für ihre Lieferanten berücksichtigen, dass in der gesamten Lieferkette die Zahlung existenzsichernder Löhne ermöglicht wird.
  • Banken und Investoren sollten nach Ansicht von Hütz-Adams nur den Unternehmen Geld zur Verfügung stellen, die nachprüfbare Auskünfte über ihre soziale, menschenrechtliche und ökologische Situation geben.

Der Unternehmensberater Georgios Zervas und der Zukunftsforscher Peter Spiegel fordern als bestechend einfache Lösung zur Bekämpfung von extremer Armut einen "globalen Mindestlohn von einem Dollar pro Stunde" netto. Das könne "die schlimmsten Formen ausbeuterischer Entlohnungen mit einem Schritt weltweit beseitigen".9

Für Näherinnen in äthiopischen Sweatshop, die jetzt 15 Cents Stundenlohn erhalten, wäre das eine riesige Verbesserung. Wenn ihr Lohnanteil an Textilien ein Prozent beträgt, würde diese Versiebenfachung des Näherlohns den Textilienpreis nur um sechs Prozent verteuern.

Spitzenverbände und Altmeier dagegen, manche Firmen dafür

Arbeitgeberpräsident Dulger warnt vor Belastungen für die heimischen Unternehmen und fordern ein "Belastungsmoratorium" – für Unternehmen, nicht für Arbeitnehmer*innen oder die Umwelt. Durch ein Lieferkettengesetz "würden hiesige Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteiligt", warnten BDA, BDI, DIHK und ZDH. Globale Lieferketten, "die oftmals über 100 Zulieferstufen enthalten", seien aus Deutschland heraus überhaupt nicht zu kontrollieren.

Unterhalb der Spitzenverbandsebene sehen Unternehmen das differenzierter.

Wenn wir als Unternehmen darauf abzielen, dass es Menschen in der Lieferkette gut geht, haben wir die Sicherheit, auch morgen noch Rohstoffe zu erhalten.

Schokoladenhersteller "Ritter Sport"

Manche "Unternehmen verlangen nach einem verbindlichen Rechtsrahmen" für Lieferketten, denn der "könnte Rechtsklarheit, Rechtssicherheit, Transparenz und Wettbewerbsgleichheit für alle Unternehmen schaffen".10

Die großen Kakaoverarbeiter Mondelez, Mars und Nestlé verlangen mittlerweile eine verbindliche Regulierung für menschenrechtliche und umweltspezifische Sorgfaltspflichten, um Rechtssicherheit und ein "Level playing field" zu erlangen und um den Zugang zu ihrem wichtigsten Rohstoff langfristig zu sichern – ohne Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit.

Außerdem können "ethische Risikoanalysen (...) zum Wettbewerbsvorteil werden", da "die Nachfrage bei Investments mit nachhaltiger Ausrichtung steigt."11

Ein Vertreter der Henkel-AG, Uwe Bergmann, wies in einer Videokonferenz am 27. Januar 2021 mit den Grünen Düsseldorf auf Umsetzungsschwierigkeiten eines Lieferkettengesetzes hin:

  • Man dürfe Arbeitskräften nicht im Zeichen der Menschenrechte das Recht nehmen, auch mehr als 60 Wochenstunden zu arbeiten, wenn sie das wollen, wie in den USA üblich.
  • Seine zehn größten Lieferanten setzen über eine Milliarde Dollar um; doch da er bei denen nur einen Umsatz-Anteil von 0,1 Prozent hat, habe er kaum Einfluss auf ihr Verhalten.
  • Das viel kritisierte Palmöl importiert er nicht direkt, sondern nur indirekt als Tenside.

Eine Vertreterin der Metro-AG, Illa Brockmeyer, betonte, dass der Konzern viele Selbstverpflichtungen eingegangen sei, Lieferketten-Audits durchführe und sich engagiere, um "Zwangsarbeit zu eliminieren".

Zum Lieferkettengesetz forderte sie, dass es:

  • Unternehmen "als Hilfe, nicht als Bürde" dienen;
  • "keine zivilrechtliche Haftung" enthalten, die nur Angst verbreiten würde, sondern lieber positive Anreize setzen, und
  • eine "Anerkennung etablierter Branchenstandards" ausdrücken solle.

Solche Vorstellungen eines Gesetzes "'als Hilfe', nicht als Bürde" können sich auf die UN-Leitprinzipien12 berufen, denn dort steht:

Staaten sollten ...
• Wirtschaftsunternehmen wirksame Handlungsanleitungen zur Achtung der Menschenrechte in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit bereitstellen;
• Wirtschaftsunternehmen dazu anhalten und es ihnen gegebenenfalls zur Auflage machen, zu kommunizieren, wie sie ihren menschenrechtlichen Auswirkungen begegnen.

Bundesentwicklungsminister Müller lehnt solche Vorstellungen eines Gesetzes ohne Haftung ab13:

Die Lobbyvertreter der Wirtschaftsverbände wollen ein Gesetz - gut! Aber sie wollen ein Gesetz ohne Folgen, ohne Haftung und ohne Wirkung - und das geht nicht. Glauben Sie, dass sich im Zeitalter von Blockchain ein Unternehmen in Deutschland, das am Markt bestehen will, Kinderarbeit in seiner Lieferkette nachweisen lassen und damit seine Reputation gefährden will? Nein. Eine entsprechende Zertifizierung muss Standard werden, Herr Lambsdorff, auch für die wenigen schwarzen Schafe am Markt, die diese Standards bisher nicht einhalten.

Bei der Modernisierung des Lieferkettenkapitalismus steht China wie ein weißer Elefant im Raum. Wenn Deutschland und die EU Waren, die unter Zwangsarbeit hergestellt werden, nicht mehr in den Binnenmarkt hereinlassen wollen, könnte dies als handelspolitische "Menschenrechtswaffe" besonders die Importe aus China treffen. Doch kann Deutschland von China die Beachtung seiner Standards verlangen, ohne aus dem chinesischen Markt herauszufliegen?

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