Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist Folter. Die Rechte der Schwächeren müssen gestärkt, Präventions- und Hilfsmaßnahmen ausgebaut und die Täter konsequenter bestraft werden
Der Bundestag hat es Ende März beschlossen, der Bundesrat muss dem Gesetzespaket noch zustimmen: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll in Zukunft grundsätzlich als Verbrechen eingestuft und dementsprechend härter bestraft werden.
Einen Anstieg erheblichen Anstieg der Fallzahlen hatte die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts (BKA) für das Jahr 2019 verzeichnet - entsprechende Zahlen für das "Corona-Jahr" 2020 liegen noch nicht vor.
13.670 Fälle sind zuletzt im Bereich "Sexueller Missbrauch von Kindern" aufgelistet worden - hier gab es einen Anstieg von 10,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 12.262 Fälle wurden im Bereich "Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften" registriert - ein Anstieg von 64,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Sexualisierte Gewalt gegen Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren ist hier nicht mitgezählt - von ihnen wurden mehr als 2.000 laut PKS 2019 Opfer von Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und sexuellen Übergriffen gemäß der §§ 177 und 178 - insgesamt waren die 8.525 registrierten Opfer vollendeter Taten dieser Deliktgruppe zu 93,9 Prozent weiblich, der Anteil der Jugendlichen betrug 23,5 Prozent.
Fachleute gehen jedoch von einer sehr hohen Dunkelziffer aus: So ergab die "Mikado-Studie", dass etwa jede zwölfte heute erwachsene Person als Kind oder Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt wurde. Im Durchschnitt sitzen in jeder Schulklasse ein bis zwei betroffene Kinder - so die Einschätzung des Unabhängigen Beauftragen der Bundesregierung für "Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs". Die Täter - und auch Täterinnen - kommen aus allen sozialen Schichten, häufig aus dem nahen Umfeld der Betroffenen. Möglich werden diese Taten durch gesamtgesellschaftliches Versagen, wie das Beispiel der Taten zeigt, die jahrelang auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde stattgefunden haben.
Pädokriminelle sind international vernetzt
In die Kategorie "Sexualisierte Gewalt" fallen sowohl Anzüglichkeiten, Masturbation vor Kindern oder Jugendlichen, sexuelle Handlungen an den Betroffenen bis hin zu Vergewaltigung, Vermittlung von Kindern und Jugendlichen in die Prostitution, unter anderem Cybersex, oder Kinderpornographie. 25.911 Kinder und Jugendliche wurden laut PKS 2019 Opfer, davon 20.189 Mädchen und 5.722 Jungen. 15.701 der Betroffenen waren zur Tatzeit jünger als 14 Jahre. Gelistet sind die zur Anzeige gebrachten Fälle. Das sagt nichts darüber aus, ob die ermittelten Tatverdächtigen als schuldig vor Gericht verurteilt wurden, nicht einmal, ob es überhaupt zu einer Verhandlung kam.
Und es sagt nichts aus über das tatsächliche Ausmaß.Vor allem das Internet und die damit verbundene weltweite Vernetzung bietet pädokriminellen Netzwerken eine breite Palette von Möglichkeiten - und Anonymität. Doch selbst, wenn - wie in Lügde - die Taten vor den Augen der Nachbarschaft stattfinden, mehrere Hinweise bei Behörden und Polizei eingehen, passiert über Jahre - nichts. Weil nicht genau hingesehen wird, Hinweise nicht ernst genommen, Akten manipuliert oder einfach geschlossen und Beweise schlampig ermittelt werden oder gar auf Polizeidienststellen abhandenkommen.
Nach Angaben der Organisation "Innocence in Danger" war sogar jede oder jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland in der Kindheit oder Jugend Opfer sexualisierter Gewalt. 75 Prozent der Fälle finden im engsten Familien- oder Bekanntenkreis der Betroffenen statt; in 82 Prozent der Fälle sind Eltern oder nahe Angehörige Tatbeteiligte.
Laut der Mikado-Studie (Missbrauch von Kindern, Aetiologie, Dunkelfeld, Opfer) liegt die Rate der Betroffenen bei durchschnittlich 8,5 Prozent - 11,6 Prozent bei Frauen und 5,1 Prozent bei Männern. Das durchschnittliche Alter, in dem zum ersten Mal sexualisierte Gewalt erfahren wurde, lag bei 9,5 Jahren. An der Studie, in deren Rahmen 28.000 Erwachsene und mehr als 2.000 Kinder und Jugendliche teilnahmen, waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der Technischen Universität Dresden, des Universitätsklinikum Ulm und der Åbo Akademi-Universität aus Turku/ Finnland sowie verschiedene Opferschutzvereine beteiligt.
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