Verdachtskündigung: Mit Nazi-Recht gegen moderne Arbeitnehmer

Wütender Chef kündigt einer weiblichen Angestellten.

(Bild: Dragana Gordic / Shutterstock.com )

Unternehmen behindern häufig die Arbeit von Betriebsräten. Dabei nutzen sie ein dunkles Erbe: Die Verdachtskündigung entstand in der Nazi-Zeit.

Der Autokonzern Tesla hat nach Angaben der IG Metall einem Betriebsrat fristlos gekündigt und weitere Mitglieder mit Kündigungsdrohungen unter Druck gesetzt. Die Kündigung sei "ein neuer Höhepunkt im aggressiven Vorgehen der Werkleitung gegen alle im Werk, die sich gemeinsam für humane und gerechte Arbeitsbedingungen in unserer Gigafactory einsetzen", so die Reaktion der Gewerkschaft, meldet die Wirtschaftswoche.

Viele Beobachter sehen sich in der Kritik am Selbstverständnis von Elon Musk bestätigt, der skrupellos Unternehmensziele durchzusetzen scheint. Übersehen wird dabei, dass die Behinderung von Betriebsratsarbeit hierzulande bei vielen Firmeneignern zum guten Ton gehört.

Eine Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung liefert Hinweise darauf, dass Unternehmen mehr als jede fünfte Neugründung von Betriebsräten behindern, obwohl das ein Straftatbestand ist. Das Management schüchtert Kandidaten ein, droht mit Kündigung oder verhindert die Bestellung eines Wahlvorstands. Besonders verbreitet ist Druck gegen Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen.

Besonders inhabergeführte Unternehmen fallen dabei auf. Die WSI-Forscher schreiben:

Offenkundig trifft die betriebliche Mitbestimmung gerade in jenen Bereichen auf verminderte Akzeptanz, wo Eigentümer ihr Geschäft persönlich führen und nur eine geringe Bereitschaft zeigen, die Macht im Betrieb mit einer weiteren Instanz zu teilen. Unterstrichen wird dieser Zusammenhang durch den Befund, dass in den Fällen, in denen Inhaber*innen gegen eine Betriebsratswahl vorgehen, es überdurchschnittlich häufig nicht zur Bildung eines Betriebsrates kommt.

Ideen haben die Manager viele, um gegen Betriebsräte vorzugehen. Anwaltskanzleien haben sich auf dieses Geschäftsfeld spezialisiert, Richter ermöglichen vieles. Das Bundesarbeitsgericht lässt die Überwachung durch einen Detektiv zu, wenn etwa das Vortäuschen einer Krankheit oder Diebstahl unterstellt wird.

"Das Gericht entschied über den Fall einer Sekretärin aus Münster, die nach einer Krankschreibung im Auftrag ihres Chefs mehrere Tage lang von einem Detektiv überwacht worden war", erläutert haufe.de die Möglichkeiten von Personalabteilungen anhand eines Beispielfalls.

Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und die neue EU-KI-Verordnung (EU KI-VO) schließen den Einsatz der Überwachung von Beschäftigten nicht aus. Vielmehr gibt es nach EU KI-VO besondere Dokumentationspflichten der Unternehmen, wenn diese Technik zur Kontrolle genutzt wird. Die Vernetzung der IT-Systeme ermöglicht den Unternehmen eine dauernde Überwachung der Arbeitsleistung.

Das besondere Instrument: die Verdachtskündigung

Ein besonderes Instrument, um unliebsame Beschäftigte loszuwerden, ist die rechtliche Konstruktion der "Verdachtskündigung". Wenn vermeintliches Fehlverhalten nicht eindeutig beweisbar ist, sondern nur ein dringender Verdacht besteht, können Unternehmen eine Verdachtskündigung aussprechen.

"Im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung, wonach die Gerichte Angeklagte ohne ausreichende Beweise nicht schuldig sprechen dürfen ("Im Zweifel für den Angeklagten" – oder "in dubio pro reo"). Dieser Grundsatz findet im Arbeitsrecht bei einer Verdachtskündigung allerdings keine Berücksichtigung", sagt die Kündigungsschutzkanzlei Fink & Partner.

Zwar müssen die Betroffenen von der Personalleitung angehört werden. Aber schon der bloße Verdacht einer Pflichtverletzung – etwa Diebstahl – kann für den Ausspruch der Kündigung ausreichen. Unternehmen stützen sich auf Verdachtsmomente, etwa wenn behauptet wird, Geld ist abhandengekommen.

So war der "Emmely-Fall" eine Verdachtskündigung. Der Kassiererin einer Supermarktkette sollte wegen des Verdachts auf Diebstahl zweier Pfandbons, welche ein Kunde verloren hatte, gekündigt werden. Die Betroffene wehrte sich und gewann nach jahrelangen Auseinandersetzungen vor dem Bundesarbeitsgericht.

Will der Arbeitgeber fristlos kündigen, steht er unter Zeitdruck. Die Kündigung darf nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

"Die Unschuldsvermutung wird im Arbeitsrecht insofern vom sog. "Prognoseprinzip" überlagert, dass schon durch den Verdacht das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zerstört ist bzw. sein kann. Daher geht die Rechtsprechung davon aus, dass es dem Arbeitgeber in der Folge nicht mehr zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzuführen", so die Kündigungsschutzkanzlei Fink & Partner.

"Die sogenannte Verdachtskündigung wurde vom Bundesarbeitsgericht schon im Jahr 1964 anerkannt und bis heute in ständiger Rechtsprechung bestätigt", betont die Kanzlei "Dr. Schreiner + Partner Rechtsanwälte".

Mit dem Mittel der "Verdachtskündigung" gehen Unternehmensleitungen auch gegen engagierte Betriebsräte vor. Ein prominentes Beispiel ist der Angriff gegen den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden im Unternehmen von Rainer Dulger, dem Präsidenten der "Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände". "Als Anlass für die Kündigung des langjährigen Betriebsrats diente ein konstruierter Vorwand", kritisierte das Komitee "Solidarität gegen BR-Mobbing!" bereits 2022.

Richterrecht aus der Nazi-Zeit

Das Absurde daran: Unternehmen nutzen so Kündigungsmöglichkeiten, die im faschistischen Deutschland eingeführt wurden. Der DGB-Rechtsschutz erklärt dazu:

Das Gesetz kennt den Begriff der Verdachtskündigung nicht. Sie ist vielmehr eine Entwicklung des unseligen Richterrechts aus den 30er Jahren. Erstmals anerkannt wurde die Verdachtskündigung durch das Reichsarbeitsgericht (RAG) mit Urteil vom 23.06.1934. Betroffen hiervon war ein Verkäufer, dem fristlos gekündigt wurde, weil der Verdacht bestand, dass er Kundengelder unterschlagen habe.

Das "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" wurde im Januar 1934 erlassen. Mit dessen Inkrafttreten wurde im Betrieb das Führerprinzip eingeführt, wonach der Vorgesetzte als Betriebsführer die absolute Befehlsgewalt hat und die Belegschaft zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet war.

Einen wohlwollenden Kommentar zu diesem Gesetz verfasste Hans Carl Nipperdey in den 1930er Jahren. Er wurde später Vorsitzender des Bundesarbeitsgerichts. Ulrich Preis, Professor an der Universität Köln, sagt dazu:

Nipperdey hat das deutsche Arbeitsrecht vor 1949 wie danach als Wissenschaftler, Funktionär und Richter durch außerordentliche juristische Kompetenz und geschickte Einflussnahme bis heute geprägt wie sonst wohl kein anderer Arbeitsrechtler.