Verdichten sich die Beweise für einen Abschuss durch Separatisten?

Der ukrainische Geheimdienst legt "Beweise" vor, aber der Informationsnebel ist weiterhin dicht und die Interessen massiv

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Schon spät am Samstag hatte der ukrainische Geheimdienst SBU den "zwingenden" Beweis veröffentlicht, dass ein Buk-Raketensystem die Boeing 777 abgeschossen hat. Der Beweis ist ein Foto, das den Kondensstreifen einer Rakete zeigen soll, die kurz vor dem Absturz des Flugzeugs in der Nähe des angeblich von Separatisten kontrollierten Dorfes Snizhne bei Torez abgefeuert wurde. Der ukrainische Präsident Poroschenko hatte gestern gesagt, man habe Satellitenbilder, Foto und Videos, die belegen, dass Separatisten die Rakete abgeschossen hätten. Gegenüber dem französischen Präsidenten Hollande verglich er den Abschuss der Passagiermaschine mit den Anschlägen von 9/11. Er fordert vom UN-Sicherheitsrat, die Separatisten als Terrororganisationen einzustufen, und er lehnt nun wieder definitiv ab, was er nur widerwillig auf Druck europäischer Regierungen gemacht hatte, Verhandlungen mit Separatisten führen zu wollen.

Vom SBU veröffentlichtes Bild, das den Kondensstreifen der angeblich von Separatisten abgeschossenen Buk-Rakete zeigen soll.

Vitalii Naida vom SBU erklärte dies bei einem Auftritt im Crisis Media Center, einem vom Ausland finanzierten Mediumzentrum (Ukraine: Propaganda trifft auf Propaganda), das eine einseitige Linie verfolgt und als eine halboffizielle Plattform der Regierung benutzt wird. Von außen lässt sich nicht beurteilen, ob es sich um eine Buk-Rakete handelt, ob der Ort, wo der Kondensstreifen in die Höhe geht, bei Snizhne liegt und ob dort eine Stellung von Separatisten war. Snizhne war zwei Tage zuvor von einem ukrainischen Kampfflugzeug angegriffen worden. Angeblich soll es 11 Tote gegeben haben.

Das Foto aus einem Video reiht sich für Naida jedenfalls in weitere Beweisstücke ein, die bereits veröffentlicht wurden. Da sind die abgehörten Gespräche zwischen Separatisten, von denen russische Medien wiederum behaupten, sie seien manipuliert worden, und ein Gespräch zwischen Separatisten, bei dem es anscheinend darum geht, Funde wie Flugschreiber sicherzustellen, damit sie nicht in andere Hände gelangen. Und da sind Aufnahmen von einem Lastwagen in der Stadt Torez, also in der Nähe der Abschussstelle, der ein Buk-Raketensystem transportieren soll. Es soll eine von vier Raketen fehlen. Naida behauptete, die "russische Seite" habe die "Terroristen" angewiesen, die Buk-Systeme aus der Ukraine nach Russland zu schaffen. Am 18. Juli seien um 2 Uhr in der Nacht zwei Lastwagen mit jeweils einem Buk-Raketensystem über die Grenze gefahren, zwei Stunden später weitere drei Lastwagen, einer leer, einer mit einem Buk-Raketensystem und einer mit einer Steuereinheit. Wann die Fotos von den Lastwagen gemacht wurden, ist ebenso wenig gesichert wie die Frage, ob sie auf dem Weg nach Russland waren.

Das russische Militär will allerdings Beweise dafür haben, dass mehrere ukrainische Buk-Systeme in dem Gebiet waren und dass eines in der Nähe der Absturzstelle aktiv gewesen sein soll. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit, dafür der Öffentlichkeit die Beweise zu übermitteln, um glaubwürdig zu sein.

Angeblich seien diese Systeme mit einer russischen Mannschaft in die Ukraine gebracht worden, wofür er aber keine Belege lieferte. Auch für die Anwesenheit von russischen Soldaten gibt es keine Belege. Experten sagen, dass die Bedienung kompliziert sei, weswegen sie von Separatisten ohne Hilfe nicht benutzt werden könnten. Naida erklärte, Russland, nicht die Separatisten alleine würden versuchen, Beweise für die Verwicklung in den Abschuss zu zerstören. Dabei ist immer wieder die Rede von dem Flugschreiber. Offensichtlich haben Separatisten diesen oder Teile gefunden, aber wollen diese nicht der Ukraine, sondern nur einem internationalen Aufklärungsteam übergeben. Aus dem Flugschreiber ließe sich aber nur ersehen, ob es sich um eine Panne handelte, die den Absturz verursacht haben könnte, Aufklärung über die Verantwortlichen eines Abschusses kann man daraus nicht gewinnen. Zeugen sollen russischen Medien berichtet haben, dass ein Kampfflugzeug die Passagiermaschine abgeschossen habe.

Schon gleich nach dem Abschuss war sich US-Vizepräsident Biden sicher, dass es sich um ein Buk-System gehandelt habe, das von Separatisten bedient wurde. Die Interessenlage der US-Regierung scheint klar zu sein. Gestern wiederholte, so die tagesschau, auch US-Außenminister Kerry distanzlos die Anschuldigungen: "Es ist ziemlich klar, dass dieses System von Russland in die Hände der Separatisten gelangte. Wir haben Bilder vom Raketenabschuss, wir wissen über die Flugbahn Bescheid." Die US-Botschaft in Kiew hat sich auch aufgrund der Beweise der ukrainischen Regierung hinter die Behauptung gestellt, dass die Rakete von Separatisten abgeschossen worden ist. Kerry sagt, die USA hätten Bilder, von wo aus die Rakete abgeschossen wurde. Warum aber veröffentlicht man diese nicht?

Russia - there are - I mean, some of the separatist leaders, George, are Russian. Russia has armed the separatists. Russia has supported the separatists. Russia has trained the separatists. Russia continues to refuse to call publicly for the separatists to engage in behavior that would lend itself to a resolution of this issue. And the fact is that only a few weeks ago, a convoy of 150 vehicles of artillery, armored personnel carriers, multiple rocket launchers, tanks crossed over from Russia into this area, and these items were all turned over to the separatists. We track - we, ourselves, tracked the imagery of the launch of this surface-to-air missile, of the disappearance of the aircraft from the radar at that time.

US-Außenminister Kerry im ABC-Interview gestern.

Das Misstrauen ist auf allen Seiten hoch, die Schuldzuweisungen sind schnell bei der Hand, die jeweiligen Interessen liegen auf der Hand. Für Poroschenko ist nun klar, dass Verhandlungen mit den Separatisten nicht mehr stattfinden können, weil sie verantwortlich für den Abschuss seien. Stattdessen setzt er auf hartes militärisches Vorgehen und behauptet, es seien 23 Kämpfer gefangen genommen worden, die alle Russen, darunter auch Tschetschenen, seien.

Rätselraten gibt es auch darüber, warum die Separatisten Leichen und Leichenteile in Eisenbahn-Kühlwägen in Torez gebracht haben. Dort sollen sich nun 247 der 298 Leichen befinden. Die Separatisten wollen sie internationalen Experten übergeben. Sie sagen, was vernünftig klingt, sie hätten die Leichen eingesammelt und gekühlt, weil dies niemand anders gemacht habe. Für Poroschenko ist klar, dass das amoralisch ist und dass Spuren verwischt werden sollen, was allerdings eine etwas absurde Unterstellung ist, weil die Leichen nicht verraten können, warum die Maschine abgestürzt ist. Nach vielen Berichten wird die Untersuchung am Unfallort aber von schwer bewaffneten Separatisten behindert oder eingeschränkt. Je nach berichtender Seite gibt es darüber aber unterschiedliche Bewertungen. Klar dürfte sein, dass in den ersten Tagen Chaos geherrscht hat, es ist schließlich Kriegsgebiet.

Pososchenko betonte auch, dass die Separatisten weiterhin schwere Waffen aus Russland erhielten. Das sagte gestern auch Lysenko vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat wiederum beim Crisis Media Center. Panzer, Mehrfachraketenwerfer und andere Waffen seien in das Gebiet von Lugansk gebracht worden. Er erklärte auch, russische Artillerie würde über die Grenze in die Ukraine feuern.