Verdienstkreuz für Angela Merkel: Was soll diese Auszeichnung?
Seite 2: Angebliche Grenzöffnung und Geburt einer Legende
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Offen rassistische Parteien dankten es ihnen nicht: Sie sahen ihre Stunde gekommen, als Merkel sich großzügig gerierte und in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 die Grenzen nicht schließen wollte, während in Teilen der Gesellschaft die Entsolidarisierung bereits fortgeschritten war. Im Schengen-Raum waren die Grenzen seit Jahren nicht mehr geschlossen, trotzdem hielt sich hartnäckig das Gerücht, Merkel habe die deutsche Grenze geöffnet.
Das nahmen ihr die Rechten mindestens so übel wie den 2011 angesichts der Reaktorkatastrophe von Fukushima verkündeten deutschen Atomausstieg, der sich real noch bis Mitte April dieses Jahres hinzog – nur die letzten dreieinhalb Monate waren das Werk ihrer Nachfolgeregierung.
Von der AfD, der Pegida-Bewegung und klassischen Neonazis wurde Merkel für die Aufnahme der Geflüchteten so scharf angegriffen, dass sie von Teilen der Linken unerwartete Sympathien bekam – trotz baldiger Asylrechtsverschärfungen danach; und trotz ihrer Performance als "eiserne Kanzlerin" im EU-Schuldenstreit mit Griechenland, der wenige Monate zuvor für rassistische Ausfälle in deutschen Medien und an Stammtischen gesorgt hatte.
Linke, die Merkel den fortgesetzten Sozialabbau in Deutschland und die Erpressung Griechenlands nicht verzeihen konnten, wurden in den eigenen Reihen gebeten, sie nicht zu scharf zu kritisieren, während sie bei Pegida-Aufmärschen wegen der vermeintlichen Grenzöffnung an den Galgen gewünscht wurde.
Als das Bundesverfassungsgericht Ende 2019 die Hartz-IV-Sanktionen teilweise für rechtswidrig erklärte, regierte Merkel schon längst wieder mit der SPD als Koalitionspartner – und niemand auf der Regierungsbank empfand Eile, als es darum ging, das Gesetz verfassungskonform neu zu regeln.
Staatstragendes Schwurbeln statt Klimaschutz
Den Kredit bei Teilen der Linken hatte Merkel erst wieder verspielt, als es der Fridays-for-Future-Bewegung gelang, das Agenda-Setting der Ultrarechten zu durchbrechen. In der Klimapolitik hatte sich Merkel – wider besseres Wissen als Naturwissenschaftlerin – auch nicht mit Ruhm bekleckert. Zwar machte sie sich beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und später als EU-Ratspräsidentin in Brüssel für ambitionierte Klimaziele stark, hatte es aber im eigenen Land nicht eilig mit deren Umsetzung.
Dann waren da plötzlich all diese Kinder und Jugendlichen auf der Straße, die auch noch eine Zukunft wollten – und bevor sich Merkel für die Umarmungstaktik entschied, verbreitete sie erst einmal absurde Gerüchte über den Ursprung dieser jungen Bewegung, die freitags für effektiven Klimaschutz auf die Straße ging.
Anfang 2019 brachte die Kanzlerin das neue Phänomen allen Ernstes mit russischen Manipulationsversuchen in Verbindung: "Diese hybride Kriegsführung im Internet ist sehr schwer zu erkennen, weil Sie plötzlich Bewegungen haben, bei denen Sie gedacht haben, dass die nie auftreten", schwurbelte Merkel seinerzeit. Dies muss sie relativ schnell selbst als Unsinn erkannt haben, zumal russische Medien eher schlecht auf die neue Bewegung zu sprechen waren.
In der Praxis blieb Merkel aber auch weitgehend untätig in Sachen Klimaschutz, als sie sich für ein netteres Auftreten gegenüber der Protestbewegung entschied und den Klimawandel als "Menschheitsherausforderung" bezeichnete. Zum Schluss gab sie das auch selbst zu: Gemessen an dem Ziel, die emissionsbedingte Erderwärmung auf höchsten zwei Grad zu begrenzen, sei während ihrer Kanzlerschaft "nicht ausreichend viel passiert", setzte sie bei ihrer letzten Sommerpressekonferenz 2021 das Versäumnis ins Passiv.
Stramme deutsche Transatlantikerin
Alles in allem keine "hervorragenden Leistungen für das Gemeinwesen", hat sie doch eher den Job der fossilen Konzerne gemacht. Vermutlich wäre Merkel auch der Rüstungssparte nicht weniger gerecht geworden als Olaf Scholz, wenn sie 2022 an seiner Stelle gewesen wäre und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die "Zeitenwende" hätte verkünden dürfen.
Wäre sie 2003 an der Stelle von Gerhard Schröder gewesen, hätte sich Deutschland gemäß ihrer Forderung sogar direkt am Irak-Krieg beteiligt, statt nur Überflugsrechte zu gewähren und die US-Armee bei der Bewachung ihrer Kasernen im Bundesgebiet zu entlasten. Der offizielle Kriegsgrund – die angebliche Hortung von Massenvernichtungswaffen im Irak – hatte sich weniger später als Lüge der damaligen US-Regierung entpuppt. Rein völkerrechtlich waren in diesem Fall die USA der Aggressor, was Merkel nicht weiter störte.
So gesehen hätte Merkel die reale russische Ukraine-Invasion wohl erst recht zum Anlass für massive Aufrüstung Deutschlands, für harte Nato-Rhetorik und Waffenlieferungen genommen. Nicht, weil sie immer auf der Seite der Angegriffenen steht, sondern weil sie eine stramme deutsche Transatlantikerin ist.
In diesem Spektrum wurde ihr im Nachhinein vorgeworfen, zu diplomatisch gewesen zu sein. Sie selbst betonte in diesem Zusammenhang, das Minsker Abkommen 2014 habe der Ukraine nur Zeit verschaffen sollen, stärker zu werden. Als Kreml-Propaganda gilt nun allerdings die Lesart, die Ukraine sei von westliche Staaten auf einen Krieg vorbereitet worden. Merkel jedenfalls dürfte in ihrer Bemerkung keinen problematischen Geheimnisverrat sehen. Einen Orden bekommt sie ja trotzdem.