Vergesellschaftet Twitter!
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Soziale Netzwerke sind wichtig. Die Plattform-Unternehmen drücken Kosten. Darunter leidet die Qualität. Arbeitsverhältnisse der Moderatoren sind bedrückend. Das muss nicht so sein.
Digitale Plattformen prägen unser Leben und die Öffentlichkeit. Um trotz der einsetzenden Wirtschaftskrise profitabel zu bleiben, entlassen sie Mitarbeiter und verknappen und verteuern ihre Leistungen. Aber was schuldet die Bevölkerung eigentlich den digitalen Grundherren?
Ohne freie Rede keine freiheitliche Gesellschaft, ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie – wer würde dem widersprechen? Auch der Milliardär Elon Musk nennt sich einen "Meinungsfreiheitsfanatiker".
Um der Redefreiheit wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, kaufte er letztes Jahr Twitter, für schlappe 44 Milliarden US-Dollar. Denn der Kurznachrichten-Dienst hatte Falschaussagen von Donald Trump mit Warnhinweisen versehen und ihn nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2020 schließlich ganz verbannt. Andererseits unterdrückte die Plattform einen Bericht, der der Demokratischen Partei im Wahlkampf hätte schaden können.
Seit Herbst 2022 gehört Twitter also einem der reichsten Menschen der Welt. Als erstes ließ Musk darüber abstimmen, ob Trump sich wieder über die Plattform äußern darf. Knapp 52 Prozent sagten ja, der Ex-Präsident bekam seinen Account zurück. "Vox populi vox dei", kommentierte Musk, die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes.
Die Stimme Gottes wird kostenpflichtig
Die Pointe der Geschichte: im März 2023 entschied der neue Twitter-Chef, dass nur noch zahlende Abonnenten abstimmen dürfen. Wer keine sieben US-Dollar im Monat übrig hat, dessen Votum ist nicht gefragt. Die Stimme Gottes wird kostenpflichtig.
So steht es um die Struktur der Öffentlichkeit. In seinem digitalen Reich agiert Elon Musk wie ein Fürst. 133 Millionen Menschen haben seine Kurznachrichten abonniert, eine beachtliche Gefolgschaft. Worüber das Volk abstimmen darf, entscheidet der Souverän. Fällt das Ergebnis unangenehm aus, fühlt er sich nicht daran gebunden.
Zu den ersten Entscheidungen gehörte, einen Kanal zu schließen, der seine unzähligen Privatflüge dokumentierte. Als ihm US-Reporter mit ihrer kritischen Berichterstattung auf die Nerven fielen, wurden sie kurzerhand gesperrt.
Das Problem
Prominente Antisemiten und Rassisten bekommen ihr digitales Megaphon zurück, während Twitter im Auftrag von Regierungen missliebige Nachrichten unterdrückt. So ist in Indien eine BBC-Fernsehdokumentation nicht mehr erreichbar, weil sie den hindunationalistischen Machthabern nicht gefällt.
Natürlich sind diese Zustände älter als Musks Twitter-Übernahme, und sie beschränken sich auch nicht auf diese Plattform. Alle weltweit tätigen Suchmaschinen, Soziale Medien und Nachrichtenapps kooperieren mit den Machthabern vor Ort.
Sie schließen Oppositionelle aus – zum Beispiel Facebook auf Anfrage der türkischen Regierung die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG –, zensieren Nachrichtenkanäle – zum Beispiel Snapchat, den Sender Al Jazeera auf Anfrage der saudi-arabischen Regierungen –, stellen der politischen Polizei Informationen über Regierungskritiker zur Verfügung.
Bürgerversammlungen in privatisierten Veranstaltungsräumen
Der Begriff "Plattform" hat sich eingebürgert, aber er hat etwas Ideologisches. Die Unternehmen bieten digitale Dienste an: Suchen, Vernetzen, Kommunizieren … Sie stellen sich gerne als neutrale Vermittler dar, die sich freundlicherweise nicht näher bestimmten Gemeinschaften zur Verfügung stellen ("Community!").
Aber die Plattformen ermöglichen nicht nur einen Austausch, sie bestimmen die Regeln des Austauschs. Sie finanzieren sich, indem sie sich einen Teil der Umsätze aneignen, wenn finanzielle Transaktionen stattfinden, oder indem sie die anfallenden Daten für Werbezwecke vermarkten.
Twitter, Whatsapp, Youtube: Gesellschaftliche Infrastruktur
Twitter, Whatsapp, Youtube etc. sind zu einer gesellschaftlichen Infrastruktur geworden – Orte des kulturellen Lebens und der politischen Meinungsbildung. Dabei verhalten sich die Plattformen aber keineswegs neutral. Sie wählen aus, was sie löschen, was sie verstecken oder im Gegensatz nach oben spielen. Sie entscheiden, mit welchen Inhalten sich Einkünfte erzielen lassen und mit welchen nicht.
Bei dieser Steuerung geht es den Betreiber darum, ihre eigenen Einnahmen zu steigern (zum Beispiel, indem sie möglichst kurze Beiträge über möglichst lange Zeiträume präsentieren). Kurz, sie verhalten sich, als hätten sie das Hausrecht, obwohl in ihren Räumen Bürgerversammlungen stattfinden.
Einige aus dem liberalen und neoliberalen Lager halten jede inhaltliche Einflussnahme der Plattformen-Betreiber für illegitim. Aber Kontrolle ist aus mehreren Gründen unverzichtbar: um die technische Sicherheit trotz Hacking zu gewährleisten, damit trollende Minderheiten nicht jede Kommunikation sabotieren können, schließlich weil manche Aussagen und Bilder zu Recht verboten sind.
Es braucht menschliche Vernunft und Arbeit (und anständige Entlohnung)
Inhaltskontrolle und technische Wartung lassen sich nicht automatisieren. Es braucht menschliche Vernunft und Arbeit, um die entsprechenden, teilweise subtilen Entscheidungen zu treffen. Algorithmen können Menschen dabei höchstens als Werkzeug dienen.
Für Arbeitskraft zu bezahlen, passt aber nicht so richtig zum Geschäftsmodell der Internetkonzerne. Sie wollen immer größere Datenmengen bei gleichbleibenden Ausgaben verarbeiten, um die erwünschte Rendite zu erzielen. Ihre Dienste müssen "skalieren", um es im IT-Jargon zu sagen.
Deshalb drücken die Unternehmen die Kosten und leisten nur das Allernotwendigste – manchmal nicht einmal das. Ein skandalöses Beispiel sind die Übergriffe gegen die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar ab dem Jahr 2012. Sie wurden über Facebook angestachelt, teilweise sogar organisiert, bis zu der massenhaften Vertreibung der Rohingya im Jahr 2017.
Die Plattform unternahm nichts dagegen; sie hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Mitarbeiter vor Ort, die der Landessprache mächtig waren.
Trotz einiger Lippenbekenntnisse hat sich an der Unterfinanzierung der Inhaltskontrolle nichts geändert. Die Arbeitsverhältnisse der Moderatoren sind bedrückend. Sie machen einen äußerst belastenden Job für erbärmliche Löhne, unter enormen Zeitdruck, ohne angemessene Unterstützung, Anerkennung oder berufliche Aufstiegsmöglichkeiten.
Darunter leidet auch die Qualität: Inhaltskontrolle in ihrer heutigen Form ist eine Art digitales Fließband. Den Beschäftigten fehlt die Zeit für schwierige Abwägungen, um sich zu informieren, um Rücksprache zu halten mit den Betroffenen.
Muss das eigentlich sein? Warum muss das so sein?