Verschwörungstheorie!

Seite 2: Kritik-Management 2.0

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Wenig später nahm der lauteste unter meinen Kritikern die Sache mit den Folterverhören still und leise in den Artikel mit auf. Allerdings nicht etwa in den 9/11-Hauptartikel mit den erwähnten über 1.000 Lesern pro Tag, sondern in den sehr viel seltener frequentieren Artikel zum 9/11 Commission Report, der im Durchschnitt von weniger als 20 (!) Interessierten täglich angeklickt wird. Ganz so, als hätten die in Zweifel stehenden Beweise für die Planung der Anschläge nicht wirklich direkt mit eben diesen Anschlägen zu tun - sondern nur mit dem Untersuchungsbericht dazu.

In diesem Sinne ergänzte er: "Thema dieses Artikels sind der Verlauf und die Folgen von 9/11. Um die Planung der Anschläge geht es nur am Rande." Ich hatte also das "Thema verfehlt". Setzen, Sechs - sozusagen. Und überhaupt hätte ich "aus der Folterdebatte falsche unzulässige verschwörungstheoretische Schlüsse gezogen und diese versucht, mit unzulässigen Belegen in den Ereignisartikel zu drücken. Das geht natürlich nicht."

Weitere Wikipedianer äußerten nun ihren Unmut über mich und fragten sich, "wieso man sich hier auf diesen Unfug überhaupt einlässt - woher kommt diese unnötige Milde auf einmal?" Offenbar vermisste man die harte Hand eines Zensors, der nicht nur die Zweifel aus dem Artikel tilgte, wie bereits geschehen, sondern auch gleich die ganze Diskussion dazu.

Kurze Zeit später tauchte dieser ersehnte Zensor dann auch auf und löschte kurzerhand anonym einen meiner Diskussionsbeiträge - wohlgemerkt: nicht im Artikel, sondern bereits auf der Diskussionsseite. Als ich meinen der Zensur zum Opfer gefallenen Beitrag daraufhin wieder neu eintrug, teilte man mir drohend mit, dies sei ein "unzulässiger Edit", denn die Diskussion sei bereits beendet und archiviert. Kein Scherz. Kafka ließ grüßen.

Denn der Fehler lag selbstverständlich bei mir. Mein engagierter Mitdiskutant (sinnigerweise mit dem Nutzernamen "Kopilot") hatte unsere noch laufende Debatte schließlich schon längst Wikipedia-regelkonform "archiviert", so dass er statt mühevoller Argumente nun mit einem zeitsparenden Hinweis kontern konnte: "In Archiven wird nicht weiterdiskutiert". Ende der Debatte also. Ronald Pofalla winkte von Ferne.

Doch auch die größten Freunde der offiziellen Version hatten mittlerweile gemerkt, dass der Einwand bezüglich der Folterverhöre nicht so einfach von der Hand zu weisen war. Zumal ich im Laufe der Diskussion einen Mainstream-Artikel als Quelle ergänzt hatte. NBC News zufolge verwiesen nämlich "mehr als ein Viertel aller Fußnoten des 9/11 Reports auf CIA-Verhöre von Al-Qaida-Mitgliedern, die den inzwischen strittigen Verhörmethoden ausgesetzt wurden. Tatsächlich basieren die entscheidendsten Kapitel des Reports, zur Planung und Ausführung der Anschläge, im Kern auf Informationen aus diesen Verhören" - so wörtlich der amerikanische TV-Sender NBC im Jahr 2008.

Und so begann sich die Diskussion auf Wikipedia nun zu verlagern. Ja, es stimme zwar, entscheidende Zeugen für die Darstellung der Attentatsplanung seien gefoltert worden. Der Glaubwürdigkeit tue dies allerdings keinen Abbruch, denn diejenigen hätten ja schon vor ihrer Festnahme im Interview gegenüber einem Reporter von Al Jazeera alles zugegeben.

Interview mit zwei Phantomen

Es ging dabei um das bekannte Interview, das der Al-Jazeera-Journalist Yosri Fouda eigenen - und sich widersprechenden - Angaben zufolge entweder im April, im Mai oder im Juni 2002 angeblich mit Khalid Scheich Mohammed und Ramzi Binalshibh an einem geheimen Ort in Pakistan geführt hatte - und in dem die beiden die Planung der Anschläge gestanden hatten. So zumindest Fouda. Als Beweis konnte er jedoch lediglich eine Tonspur präsentieren.

Yosri Fouda hatte das Interview kurz vor dem ersten Jahrestag der Anschläge im September 2002 veröffentlicht - ein Scoop, der ihn weltberühmt machte. Die pakistanischen Behörden nahmen unmittelbar darauf, fast wie bestellt, genau zum Jahrestag Ramzi Binalshibh in Pakistan fest. Ein perfektes Timing - erst die Interview-Ausstrahlung, dann der Zugriff - beides worldwide breaking news.

Zum allgemeineren Hintergrund an dieser Stelle ein kurzer Rückblick: Unmittelbar nach 9/11 hatte es zunächst kein Bekennerschreiben gegeben. Niemand hatte sich der Tat bezichtigt. Bin Laden selbst hatte sogar explizit seine Verantwortung dementiert, wie CNN berichtete. US-Außenminister Colin Powell versprach dennoch, "der Welt und dem amerikanischen Volk einen überzeugenden Fall" zu präsentieren, der Bin Ladens Verantwortung für die Anschläge zeigen werde. Doch, wie der renommierte amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh bereits im Oktober 2001 mit Verweis auf einen Beamten des US-Justizministeriums schrieb, "das allgemein erwartete Papier konnte aus Mangel an harten Beweisen nicht veröffentlicht werden". Und dabei blieb es. Ein Papier mit entsprechenden Belegen wurde nie publiziert.

Alles, was seither an Beweisen in den Medien auftauchte, sind Videos oder Audiobotschaften dubiosen Ursprungs und zweifelhafter Übersetzung - beginnend mit der vom Pentagon im Dezember 2001 veröffentlichten angeblichen Selbstbezichtigung Bin Ladens, vom ARD-Magazin "Monitor" unmittelbar darauf als Falschübersetzung entlarvt, bis hin zu dem angeblichen Interview des Journalisten Yosri Fouda mit den vermeintlichen Planern. Von denen man dann einen - Ramzi Binalshibh - just nach der Ausstrahlung festnahm. Im Grunde ein klassisches "too good to be true".

Bei der Diskussion auf der Wikipedia-Seite setzte ich all das als bekanntes Wissen voraus und merkte nur an, dass es sich bei dem Interview um grundsätzlich nicht überprüfbares Hörensagen handle und dass es, aus diesem Umstand resultierend, kein juristisch verwertbares Beweismittel ist, was wohl auch der Grund dafür sei, dass es nicht Gegenstand der offiziellen Beweisführung ist. Der 9/11 Commission Report argumentiert nicht damit und erwähnt das Interview noch nicht einmal.