Verschwörungstheorie!

Seite 3: It's crazy - but it works

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Weiterhin wies ich auf die erheblichen Widersprüche hin, in die sich Fouda im Zusammenhang mit diesem Interview verstrickt hatte - vom Autor Chaim Kupferberg im Magazin "Global Research" gründlich dokumentiert. Doch dazu wurde mir in der Folge nur beschieden, "Global Research" scheide "als private Website" generell als Quelle aus.

Auf meinen Einspruch verlagerte sich die Argumentation wiederum und nun hieß es, der Autor Kupferberg sei "keine anerkannte Quelle", da er in 9/11-Fachliteratur nicht zitiert werde. Weil das aber nicht stimmte und Kupferberg tatsächlich in einer ganzen Reihe von Sachbüchern zum Thema zitiert wird, kam das ultimative Argument: die Autoren der ihn zitierenden Bücher seien eben auch alles Verschwörungstheoretiker.

Da war er - der klassische Zirkelschluss. Der hermetische Ausschluss von jeder möglichen Kritik - der sonst gerne eben jenen "Verschwörungstheoretikern" vorgeworfen wird. Was verboten ist, kann es nicht geben. Und wenn doch, dann ist es gelogen. Denn sonst wäre es ja erlaubt. Oder so ähnlich. Wer einen Verschwörungstheoretiker zitiert, muss selbst einer sein, per Definition. Denn sonst wäre der Zitierte ja keiner. Und das ist ja ausgeschlossen. Was zu beweisen war.

It's crazy - but it works. Dabei erscheint das Wikipedia-Prinzip selbst zunächst so logisch wie schlüssig: Es werden nur Belege aus seriöser Quelle akzeptiert, keine Verschwörungstheoretiker. Was aber bezeichnet diese Kategorie "Verschwörungstheorie" genau? Welches Buch gehört dazu, und welches nicht? Was sind die spezifischen Kriterien? Die Fakten in einem Artikel oder in einem Buch können stimmen oder sie können falsch sein. Wann aber sind sie "verschwörungstheoretisch"? Wenn sie zwar stimmen, aber zur falschen Schlussfolgerung führen? Was ist die "falsche" Schlussfolgerung?

Grauzonen

Meine Frage an die selbsternannten Gralshüter der Wahrheit, nach welchen spezifischen Kriterien denn "verschwörungstheoretische" Texte von solchen unterschieden würden, die man als Quelle bei Wikipedia akzeptiert, blieb unbeantwortet. Man sei nicht da, um Auskünfte zu erteilen, hieß es dazu nur knapp. Die gesuchten Kriterien solle ich "durch eigene Lektüre herausfinden". Fazit: Der Entscheidungsprozess darüber, was "verschwörungstheoretisch" und damit per se abzulehnen ist, verbleibt bei Wikipedia in einer Grauzone.

Man gewinnt den Eindruck, dass diese Grauzone so auch gewünscht ist. Ähnlich wie die gerichtliche Aufklärung der Anschläge dadurch behindert wird, dass man mutmaßliche Drahtzieher in das juristische Nirgendwo von Guantánamo und Co. abschiebt und ihnen einen transparenten Prozess verweigert, so dient die definitorische Grauzone des Begriffs "Verschwörungstheorie" einer Behinderung der journalistischen Aufklärung. Mission accomplished also?

De facto wird der Begriff "Verschwörungstheorie" heute vor allem benutzt, um Ansichten zu beschreiben, die nonkonform sind. Diese müssen dabei noch nicht einmal Theorien im eigentlichen Sinne sein. Es reicht der reine Dissenz mit dem Mainstream. Wenn beispielsweise jemand sein Unverständnis über den Zusammenbruch der drei Türme am 11. September äußert, im Sinne von "keine Ahnung, was da genau passiert ist, aber Hochhäuser aus Stahl kollabieren jedenfalls nicht einfach so zu Staub", oder wenn etwa jemand argumentiert, er halte es für "schwer glaubhaft, dass die Geheimdienste von den Anschlägen wirklich überrascht wurden", dann fällt das offiziell schon in die Schublade "Verschwörungstheorie" - obwohl noch überhaupt keine Theorie geäußert wurde.

Das Wort wird somit in einer pauschalen Weise benutzt, die sich logisch oder vernünftig kaum mehr fassen lässt. Festes Kriterium scheint aber der nonkonforme Inhalt zu sein. Nonkonform wäre demnach "falsch". Wird diese Gleichung zur Grundlage wissenschaftlichen Denkens, ist der Stillstand natürlich determiniert. Wird sie zur Grundlage der Führung einer Enzyklopädie, so entsteht Wissen, das auf politische Opportunität genormt ist.

Das Prinzip, nur "autorisierte" oder "offizielle" Quellen zu akzeptieren, scheitert selbstverständlich auch in dem Moment, wo die Autoritäten selbst, ob in der Regierung oder den Medien, zu lügen beginnen. Was ja letztlich die Kernannahme hinter den Zweifeln an 9/11 ist: Die Öffentlichkeit wird belogen, und zwar gedeckt von Regierungen UND etablierten Medien.

Insofern berühren sich hier zwei verschiedene Ebenen des Themas 9/11. Einmal das historische Ereignis als Stoff eines enzyklopädischen Artikels - und dann die Infragestellung des grundsätzlichen Prinzips zu akzeptierender Quellen. Wenn zur Beschreibung der Anschläge nur "autorisierte" Quellen zugelassen werden, diese aber ihre Autorität letztlich von denjenigen erhalten, die keine weitere Aufklärung wünschen, dann ist das (mangelhafte) Ergebnis vorprogrammiert.

Im Schatten von Interessengruppen

Genau wie - leider - auch das Ende eines entspannten Umgangs miteinander bei Wikipedia. Die Verfechter der "reinen Lehre" dort leisten der Online-Enzyklopädie letztlich einen Bärendienst, denn die Glaubwürdigkeit von Wikipedia insgesamt droht Schaden zu nehmen. Pavel Richter vom Vorstand der Wikimedia Deutschland wies in anderem Zusammenhang kürzlich auf ähnliche Gefahren von Seiten der PR-Industrie hin. Gegenüber dem ARD-Magazin "Monitor" sagte er:

Wikipedia ist mehr als eine Webseite, Wikipedia ist mittlerweile ja der Alltag für uns alle. Und umso mehr Wikipedia zum Alltag geworden ist, umso größer sind sicherlich auch die Versuche von Ideologen und PR-Agenturen, ihre Sichtweisen, ihre Ideologien in der Wikipedia unterzubringen.

Es gebe, so der "Monitor"-Bericht, mittlerweile immer weniger ehrenamtliche Aktive und immer mehr bezahlte Schreiber, die für PR-Agenturen oder andere Interessengruppen arbeiteten - sogar direkt als einflussreiche Wikipedia-Administratoren.

Doch unabhängig davon, was die "Betreuer" des 9/11-Wikipedia-Artikels nun motiviert - unterstellt sei einmal ehrliches Bemühen um Faktentreue -, vom Ziel einer ausgewogenen und reflektierten Darstellung, sowie einem offenen und fairen Umgang mit Kritik ist man jedenfalls weit entfernt.