"Verschwörungstheorien waren lange Zeit eine legitime Form des Wissens"

Seite 2: Die Idee, dass der gesamte Flüchtlingsstrom gelenkt ist, ist eine äußerst problematische Verschwörungstheorie

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Nochmal zum Projekt. Sie haben gerade dargelegt, dass Sie Verschwörungstheorien auch im Hinblick auf ihre delegitimierende Funktion auf Diskursebene betrachten. Aber: Wenn man sich die Beschreibung Ihres Projektes anschaut, dann entsteht der Eindruck, als sei es sehr darauf ausgerichtet, Verschwörungstheorien als ein Phänomen zu erfassen, das grundsätzlich negativ zu betrachten ist. Oder verstehe ich das falsch?

Michael Butter: Nein, Sie verstehen das nicht falsch. Die meisten Disziplinen, die sich mit dem Thema beschäftigen, sehen den Gegenstand sehr kritisch - und das aus guten Gründen. Man darf es aber nicht übertreiben. Hinzu kommt: Das Verständnis von Verschwörungstheorien unterscheidet sich auch von Disziplin zu Disziplin. In meiner Disziplin, also der amerikanischen Literatur und Kulturwissenschaft, ist das Verständnis von Verschwörungstheorien mittlerweile ein ziemlich differenziertes. Wir gehen davon aus, dass man Verschwörungstheorien ernst nehmen muss, weil sie auch auf gesellschaftliche Probleme hinweisen, auch wenn sie in den meisten Fällen nicht im wörtlichen Sinne immer "wahr" sind.

Festgestellt werden kann aber schon, dass auch in anderen Disziplinen erkannt wird, dass Verschwörungstheorien sehr wichtige Funktionen erfüllen und manchmal durchaus auch rationale Antworten auf gewisse politische Gegebenheiten sein können. Es gibt aber auch Disziplinen, wie zum Beispiel die Psychologie, die Verschwörungstheorien bis heute noch - und das tut sie seit mehreren Jahrzehnten - pathologisieren und in die Nähe von klinischen Krankheiten wie der Paranoia rückt.

Sie sehen, ein Antrag wie der zu diesem Projekt, das versucht, interdisziplinär ausgerichtet zu sein, muss eben die verschiedenen Betrachtungsweise unter einen Hut bringen. Außerdem: Es gibt sehr problematische und gefährliche Verschwörungstheorien. Wenn diese nämlich antisemitische und rassistische Elemente enthalten - und das sind eben auch gerade Verschwörungstheorien, die oft im öffentlichen Diskurs vertreten sind -, dann ist es nicht nur berechtigt, sondern notwendig, Verschwörungstheorien als problematisch zu betrachten.

Wie viele der Wissenschaftler, die in Ihrem Projekt zusammengekommen sind, betrachten Verschwörungstheorien denn eher "negativ", wie viele "positiv"?

Michael Butter: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Mit den meisten dieser Leute habe ich bisher noch nicht richtig gesprochen. Wir haben Emails ausgetauscht, wir haben an dem Antrag geschrieben, aber Ihre Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Meine Vermutung wäre aber, dass es niemand gibt, der sie wirklich als positiv erachtet.

Wie sollte denn mit Verschwörungstheorien im öffentlichen Diskurs umgegangen werden?

Michael Butter: Ich glaube, dass man die Frage nicht generell beantworten kann. Es kommt auf die Verschwörungstheorie an.

Gut, anders gefragt: Könnten Sie jeweils ein Beispiel für eine "negative"/problematische Verschwörungstheorie anführen und eines für eine Verschwörungstheorie, die ihre Berechtigung hat?

Michael Butter: Verschwörungstheorien, die sich gegen Schwache und Minderheiten, zum Beispiel gegen Flüchtlinge, richten, sind äußerst problematisch. Das, was gerade sehr stark in der deutschen Öffentlichkeit zirkuliert, also die Idee, dass der gesamte Flüchtlingsstrom gesteuert ist, oder auch das, was in Osteuropa passiert, dazu dient, gewisse Institutionen zu schwächen und zu zerstören, das sind Dinge, die ich als sehr negativ sehe. Hier kann eine Verschwörungstheorie sich dann in problematischen Einstellungen zu Minderheiten niederschlagen.

Theorien, die man anders betrachten sollte, weil sie, zumindest indirekt, auf Probleme hinweisen, die man durchaus sehr ernst nehmen muss, sind zum Beispiel Theorien über die Finanzkrise, die es ja auch gab. Hier weisen Verschwörungstheorien durchaus auf ein demokratisches Defizit hin, auf vielleicht problematische Prioritäten in der Politik.

Das Problem dieser Verschwörungstheorien ist, das, was ich eben bereits angedeutet habe. Dadurch, dass sie als Verschwörungstheorien daher kommen, delegitimieren sie sich oft schon wieder selbst. Ihre eigentlich wichtigen Anliegen, auf die sie hinweisen, kommen so nur in einer marginalisierten und delegitimierten Form im Diskurs an, außerdem können diese dann leicht weggewischt werden. Völlig berechtigte Anliegen, auf die Verschwörungstheorien auch verweisen können, sind zum Beispiel: Was sind die Prioritäten einer Gesellschaft? Wie werden vielleicht in manchen Momenten demokratische Entscheidungsprozesse auch ausgehebelt, weil manche Sachen als alternativlos präsentiert werden?

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