Versprechen auf bessere Bonität und niedrigere Zinsen
Andreas Bergmann über die Vorteile der Privatisierung der staatlichen Bilanzierung durch den Standard IPSAS, den die EU einführen will
Andreas Bergmann hat den von US-Lobbyisten entwickelten Bilanzierungsstandard IPSAS in der Schweiz eingeführt. Seit 2009 ist er nun Leiter des International Public Sector Accounting Standards Board, das energisch versucht, alle 27 EU-Staaten mit Milliardenkosten dazu zu bringen, ihre Bilanzen künftig nach den Standards der "Big Four", wie die vier weltgrößten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genannt werden, zu erstellen (In den Fängen der Big Four). Die Drohung bei Nichtbeachtung: Strafen in Höhe von bis zu 0,5 Prozent des BIP und höhere Zinsen.
Bergmann lehrt an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die einer deutschen Fachhochschule vergleichbar ist. Am 29. und 30. Mai ist er Speaker auf der Eurostat-Konferenz in Brüssel, bei der die Einführung der IPSAS-Standards vorangetrieben werden soll.
Herr Prof. Bergmann, Sie stehen dem Board des IPSASB vor, die versucht, alle europäischen Staaten zum Umstieg auf die IPSAS-Bilanzierungsmethode zu bewegen. Welche Vorteile haben die Staaten dadurch?
Andreas Bergmann: Der unmittelbare Nutzen besteht darin, verborgene Vermögenswerte und Verpflichtungen zu finden, etwa Grundstücke, Konten und Beteiligungen - aber auch Rentenverpflichtungen oder Umweltschäden. Die Verwaltung der kalifornischen State-Parks hat 2012 überraschend 54 Millionen Dollar gefunden, die zuvor wegen unzureichender Rechnungslegung verschwunden waren. In der Schweiz fand der Bund mehrere hundert Grundstücke. Beides deckte die Projektkosten schon weitgehend. Aber der mittelbare Nutzen besteht in einer besseren finanziellen Governance.
Und deren Nutzen?
Andreas Bergmann: ...besteht in einer besseren Bonität, die sich in niedrigerem Zins ausdrückt. Ein Beispiel: Der Kanton Genf hat durch die Umstellung auf IPSAS seinen Zinssatz im Vergleich gegenüber von Kantonen, die nicht nach IPSAS Rechnung legen, um 0,5 Prozent auf nun fast null Prozent gesenkt. Da rechnet sich die Einführung sofort.
Welche Staaten sind bereits auf IPSAS umgestiegen?
Andreas Bergmann: Malta, Spanien, die baltischen Staaten, Tschechien, die Slowakei, die Schweiz. Österreich wird 2013 erstmals nach IPSAS Rechnung legen.
Welche Kosten sind dabei entstanden?
Andreas Bergmann: Die Schweiz hat Kosten von 65 Millionen Franken gehabt. Davon entfielen aber etwa 90 Prozent auf die Informatik, die ohnehin im gleichen Zeitraum hätte abgelöst werden müssen. Allerdings sind die Folgekosten sehr gering.
Dass die Märkte gute Haushalts- und Finanzpolitik im Zinssatz honorieren, war doch zehn Jahre nicht der Fall. So zahlten Griechenland und Deutschland fast die gleichen Zinsen. Was ist, wenn Staaten kaum mehr Assets haben? Deutschland und England haben doch etwa in missglückten Privatisierungen ihre Assets verloren.
Andreas Bergmann: Dann besteht wenigstens Transparenz. Für die Beurteilung der Schuldentragfähigkeit von Staaten ist es unbedingt nötig, deren wirkliche Vermögenssituation zu kennen.
Die EU-Kommission hat in ihrem Antwortbrief an die IPSAS gefragt, wo denn in der IPSAS-Bilanz die Staatseinnahmen bleiben. Ich habe sie unter den 32 IPSAS-Punkten auch nicht gleich gefunden. Wo sind sie?
Andreas Bergmann: Sie finden sich unter IPSAS 23 "Non-Exchange-Revenues".
Ja, stimmt, da sind auch Taxes erwähnt. Warum hat das die EU-Kommission übersehen?
Andreas Bergmann: Das weiß ich nicht.
Der Eurostat-Direktor für Government Financial Statistics, Francois Lequiller, scheint von IPSAS sehr begeistert zu sein.
Andreas Bergmann: Ja, das ist er. Francois Lequiller und Walter Radermacher unterstützen sehr die Einführung von EPSAS, welche die IPSAS als wichtigste Referenz haben.
Wussten Sie, dass nach einer EU-Verordnung zur Statistik von 2009 die EU-Kommission selbst die Kosten von Ländern bei der Erfüllung von statistischen Auflagen der Kommission bezahlen muss?
Andreas Bergmann: Das wusste ich nicht.
Was sagen Sie zu dem Einwand, IPSAS verursache Milliardenkosten?
Andreas Bergmann: Ja, die Umstellung ist eine große Investition. Aber ich mache eine Gegenrechnung: Das maximale Bußgeld bei nicht regelkonformer Berichterstattung beträgt 0,5% des BIP - das ist ein Vielfaches der Projektkosten im Promillebereich. Doch in der Regel decken nur schon die aufgefundenen Vermögenswerte sowie die Zinseinsparungen die Projektkosten in kürzester Zeit.
Also sparen sie Opportunitätskosten.
Andreas Bergmann: Genau. Alle Umstellungen haben sich bisher schnell gerechnet.
Herr Professor Bergmann, vielen Dank für Ihre Antworten!