"Verständnis ist notwendig, um Kontrolle zu schaffen"

Der britische Kybernetiker Kevin Warwick über seine Selbstversuche, das Leben als Cyborg und ethische Bedenken gegenüber der Kopplung des menschlichen Organismus mit Maschinen

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Der britische Kybernetik-Professor Kevin Warwick lehrt und forscht an der Universität Reading bei London. In Teilen der britischen Presse wird er wegen seinem oft provokanten Auftreten kurzum als "Captain Cyborg" bezeichnet. Zu umstrittener Berühmtheit gelangte der inzwischen 50-Jährige durch die Selbstimplantation eines Mikrochips im Jahr 1998, ein Projekt, das er Cyborg I nannte (Der Forscher als Publicity Stuntman). 2002 führte er den Folgeversuch Cyborg II durch (Sing the body electric). Telepolis sprach mit dem Briten über die Wirkung seiner Versuche, sowie die ethischen und die technischen Grenzen der Mensch-Maschine-Kopplung.

: Sucht man im Internet nach Informationen über Ihre Arbeit, finden sich zunächst eine Reihe von Seiten, die vor den Gefahren warnen. Besonders kritisch werden dabei offenbar ihre Selbstversuche mit Mikrochip-Transpondern gesehen. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Kevin Warwick: Meine Projekte werfen ohne Zweifel heikle ethische Fragen auf. Insofern begrüße ich eine Debatte über das Thema, denn es wäre ein Fehler, die Kopplung des menschlichen Organismus mit künstlichen Komponenten ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der technischen Grenzen zu sehen.

Diese technische Revolution wird die menschliche Gesellschaft und unser aller Leben entscheidend verändern. Das beginnt bei Kindern, die mit Hilfe von implantierten Mikrochips geortet werden können und setzt sich bei ähnlichen Überwachungstechniken fort. Ich halte es für unumstritten, dass die menschliche Praxis sich immer im Bereich des technisch Möglichen weiterentwickeln wird. Die Gefahr ist also vielmehr, dass die Ethik-Debatte dieser Entwicklung hinterherhinkt. Und es gibt tatsächlich eine Reihe wichtiger fragen: Wer entwickelt die Technologie, wie wird sie angewandt und inwieweit werden diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Um Antworten auf diese Fragen zu suchen, ist jede Art von öffentlicher Debatte zu begrüßen.

Sehen Sie in der Förderung dieser Debatte Ihre Aufgabe?

Kevin Warwick: Ja und Nein. Ich entwickele die Technik weiter und sehe mich daher zwischen den ethischen Extrempositionen. Natürlich habe ich aber meine Meinung, und die wird, denke ich, schon dadurch deutlich, dass ich einige meiner Entwicklungen an mir selbst ausprobiert habe ...

... was auch kritisiert wurde.

Kevin Warwick: Ich weiß, dass es eine Menge Leute gibt, die mich für einen schrecklichen Typen halten, eine Art Frankenstein. Aber trotz all dieser Angriffe meine ich mich besser als die Kritiker zu kennen. Und eigentlich finde ich mich persönlich gar nicht so schrecklich. Aber ernsthaft: Die Frage ist doch, wie eine solche Debatte geführt wird. Wenn Kritiker die technischen Aspekte meiner Entwicklungen hinterfragen, Informationen fordern oder auf eine Debatte über die ethischen Implikationen drängen, dann habe ich damit keine Probleme. Schließlich muss ich auch nichts verbergen. Mein Hauptinteresse ist es, meine Ideen und Entwicklungen öffentlich zu machen. Wenn die Kritik aber in persönlichen Angriffen gegen mich gipfelt, dann ist das weder ernst zu nehmen, noch hilft es in der Sache weiter.

In Teilen der britischen Presse werden Sie als "Captain Cyborg" bezeichnet. Denken Sie, dass Sie Ihre Ideen dem Publikum vermitteln können, oder stoßen Sie nicht eher auf Unverständnis?

Kevin Warwick: Nun, daran arbeite ich. In Anbetracht der Thematik und der möglichen Auswirkungen meiner Projekte halte ich es auch für notwendig, nicht nur vor einem Fachpublikum zu referieren. Wenn ich also vor einem interessierten Laienpublikum spreche, dann versuche ich, komplizierte Fachbegriffe zu vermeiden. Denn oft führt Unverständnis zu Abwehrmechanismen.

Meiner Meinung nach verstecken sich viele Wissenschaftler, die in ethischen Grenzregionen forschen, hinter ihren Fachjargon, um so die fragwürdigen Inhalte ihrer Arbeit zu verschleiern. Mir geht es nicht darum, das wissenschaftliche Niveau meiner Arbeit vorsätzlich zu senken. Aber jede Wissenschaft muss der breiten Bevölkerung verständlich gemacht werden, um eine öffentliche Kontrolle zu gewährleisten. Das zieht natürlich auch die Aufmerksamkeit auf mich als Wissenschaftler und provoziert Kritik. Allerdings sollte sich jeder Wissenschaftler dieser Hürde stellen.

Vor zwei Jahren haben Sie sich einen Mikrochip in Ihren linken Arm implantiert, um Signale ihres Nervensystems zu senden und entsprechende Signale von ihrer Frau, die auch einen Chip implantiert bekam, empfangen zu können. Was bringt ein solches Experiment?

Kevin Warwick: Der Versuch ging auf ein Initialprojekt im Jahr 1998 zurück. Bei dem Versuch vor zwei Jahren haben wir über den Mikrochip mit 100 Elektroden meinen Mittelnerv im Arm mit einem Computer verbunden. Auch diese Weise konnten über den Computer Signale an mein Nervensystem gesendet werden. Durch die Neuroimpulse konnte ich aber auch den Computer beeinflussen. So wurden einfache Befehle möglich: das Licht ein- oder ausschalten, einen Hebel bewegen. Ein möglicher Einsatz wäre in einem späteren Stadion die Fernlenkung einer Roboterhand, indem die Signale über das Internet gesandt werden. Der Versuch funktionierte aber auch in die andere Richtung. Als ein Objekt sich plötzlich und unerwartet auf mich zu bewegte, konnte ich den Computer quasi warnen. Insofern haben wir schon fast eine neue Sinnempfindung geschaffen.

Sie waren also ein Cyborg ...

Kevin Warwick: In gewissem Sinne war ich das. Nach drei Monaten haben wir den Chip aber wieder entfernt. Sie sprechen als wieder mit einem normalen Menschen. Tatsächlich aber plane ich schon die nächsten Experimente (Wer ist der erste Cyborg?).

Eine Diskothek in Barcelona bietet ihren Dauergästen seit diesem Frühjahr einen besonderen Service: Die Partygänger können sich einen Mikrochip in den Arm transplantieren lassen und darauf ihre persönlichen Daten und einen Geldbetrag zum Konsum speichern zu lassen. Ist das der technische Fortschritt, von dem Sie träumen?

Kevin Warwick: Ich halte es für eine nicht so schlechte Idee. Immerhin ist dieses System sicherer als eine EC- oder eine Kreditkarte. Besonders am Strand oder bei Feiern mit Alkoholkonsum gehen doch diese Karten verloren ? mitunter mit empfindlichen finanziellen Folgeschäden. Ich halte diesen Einsatz also für durchaus angemessen, zumal die medizinischen Risiken sehr gering sind. Im Fall des in Spanien verwandten Chips sind nur sehr wenige Probleme nach der Implantation bekannt. Die zentrale Frage ist natürlich der Wille der Person. Wenn jemand sich mit der Implantation einverstanden erklärt, gibt es meiner Meinung nach keine ethischen Bedenken. Klar ist, dass niemand zur Implantation gezwungen werden darf.

Diese Chips könnten aber auch zur permanenten Kontrolle der Träger benutzt werden.

Kevin Warwick: Auch in diesem Fall zählt die Zustimmung des Trägers. Im Moment ist an GPS-kompatible Implantate aber ohnehin nicht zu denken, allein schon wegen der Größe der Sender. Das bislang ungelöste Problem ist die Energiezufuhr. Der Träger eines solchen Implantates müsste sich jeden Tag voraussichtlich eine Stunde bei einer Ladestation aufhalten, um das ständige Funktionieren des Implantats zu gewährleisten. Technisch wäre es machbar, es gibt aber Probleme. Wenn wir die soziale Seite betrachten, dann sehe ich sogar positive Aspekte. In einigen Ländern Lateinamerikas etwa gibt es enorm viele kriminell motivierte Entführungsfälle. Wenn solche Chips eingesetzt würden, ließe sich auch dieses Risiko für die potentiellen Opfer verringern. Würden sie flächendeckend eingesetzt, wäre die Methode für die Entführer nicht mehr zweckreich.

Bis zu welchem Grad lassen sich der menschliche Organismus und synthetische Teile verbinden?

Kevin Warwick: Ich sehe keine wirklichen Grenzen. Wenn wir nun einen Blick auf gängige Praktiken der Schulmedizin werfen, dann sehen wir eine ganze Reihe von Einsatzmöglichkeiten: Künstliche Organe, Extremitäten, Herzen oder Lungen. Allein das Gehirn lässt sich nicht ersetzen, wohl aber mit Computern verbinden. Und eben darin besteht mein aktuelles Projekt.

Würden Sie für das Militär arbeiten?

Kevin Warwick: Wenn sie meine Arbeit finanzieren würden, ohne mir Vorschriften zu machen, dann würde ich dieses Geld sicher annehmen. Wenn mir militärische Auftraggeber aber bestimmte Zielstellungen vorgeben würden, dann wäre meine Antwort ein klares Nein.

Aber laufen Sie nicht ohnehin Gefahr, mit Ihrer Forschung indirekt dem Militär und dem Überwachungsstaat zuzuspielen?

Kevin Warwick: Ja. natürlich besteht diese Gefahr, das ist ein immerwährendes Risiko. Nehmen wir das Beispiel des implantierten Mikrochips, mit dem sich Geräte steuern lassen. Auf der einen Seite könnten wir damit gelähmten Menschen helfen, auf der anderen Seite sind solche Technologien aber auch militärisch nutzbar. Diese Ambivalenz aber besteht bei fast allen technischen Neuerungen, sie sollte uns aber nicht am Forschen hindern.

Der Hollywood-Film "I,Robot" ist inzwischen angelaufen. Sind solche Filme ein Indiz für das gesteigerte Bewußtsein für die Gefahren des technischen Fortschritts?

Kevin Warwick: Ich habe den Film in Großbritannien bereits gesehen. Ich denke, dass einige wichtige Aspekte angesprochen werden, die in meiner Branche diskutiert werden. Dazu gehört unter anderem die Frage, inwieweit sich künstliche Intelligenz von menschlichem Denken unterscheiden würde. Das gilt umso mehr, als intelligente Roboter wohl kein individuelles, sondern ein kollektives Verständnis hätten.