Verursachen Feinstaub und Stickoxid auch Demenz?
Wissenschaftler haben in einer Studie einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und vor allem der Alzheimer Erkrankung festgestellt
Für immer mehr gesundheitlichen Risiken wird die Luftverschmutzung durch den Verkehr, die Industrie, Wärmekraftwerke und die Privathaushalte durch Heizen verantwortlich gemacht. Belegt ist das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen und für Erkrankungen der Atemwege. Möglicherweise erhöht Ruß die Resistenz von Bakterien gegenüber Antibiotika, verringert die Knochendichte und verändert die Spermien. Jährlich sterben Millionen von Menschen vorzeitig an den Folgen des Feinstaubs in der Luft. Für die WHO ist Luftverschmutzung die schlimmste Umweltgesundheitsgefährdung. Nach dem Umweltbundesamt sind in Deutschland bei Erwachsenen über 30 Jahren aufgrund von Schätzungen "etwa 11 bis 14 Prozent (%) aller Todesfälle aufgrund kardiopulmonaler Erkrankungen und etwa 16 bis 20 % aller Todesfälle infolge von Lungenkrebs auf den Umweltstressor Feinstaub zurückzuführen".
Während vor allem der Verkehr und hier die Dieselmotoren zuletzt in der Aufmerksamkeit als Risikofaktor standen, gibt es zahlreiche andere Emissionsquellen, die weniger Beachtung finden. So tragen etwa auch Putzmittel oder Kosmetikartikel, Pestizide oder Druckertinte zur Luftverschmutzung bei. Die von chemischen Produkten freigesetzten flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) aus chemischen Produkten haben in Städten bereits die Emissionen aus dem Verkehr überholt und sorgen für Feinstaub auch in den Innenräumen, wo die VOC-Konzentration mehrfach höher als in den Außenräumen ist. Wissenschaftler haben deshalb schon vor 10 Jahren vor einer "stillen Epidemie" gewarnt (Gehirne in einer neurotoxischen Suppe).
Gegenwärtig richtet sich die Aufmerksamkeit zudem darauf, welchen Anteil die Luftverschmutzung an der Verursachung von neurodegenerativen Erkrankungen hat. Auch hier gibt es schon ältere Untersuchungen. Vor 10 Jahren wurde etwa schon einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Intelligenz vermutet. Wissenschaftler von der Stanford University, der ETH Zürich und der London School of Economics sind jetzt der Frage nachgegangen, ob es einen Zusammenhang der Demenz mit der Luftverschmutzung gibt. Und sie glauben, dass sie fündig geworden sind, wie sie in ihrem Bericht schreiben, der in BMJ Open erschienen ist.
Für ihre Studie haben sie Krankheitsdaten von mehr als 130.000 Bewohner Londons untersucht, die im Jahr 2004 zwischen 50 und 79 Jahre alten waren und keine Demenzdiagnose hatten. Die anonymisierten Daten aus 75 allgemeinmedizinischen Praxen in London stammen vom Clinical Practice Research Datalink (CPRD). Aufgrund der Adressen der Patienten schätzten die Wissenschaftler die jährliche Belastung durch Stickoxid, Feinstaub (PM2.5) und Ozon sowie die Nähe zu starkem Verkehrslärm ab. Die gesundheitliche Entwicklung der Patienten wurde 7 Jahre lang verfolgt, bis eine Demenz-Diagnose gestellt wurde, der Tod eintrat oder der Patient aus der Praxis ausgetragen wurde.
Während der sieben Jahre wurden bei 2181 Patienten (1,7%) die Diagnose der Demenz oder der Alzheimer Erkrankung ausgestellt. Die Wissenschaftler untersuchten dann den möglichen Zusammenhang mit den geschätzten Werten für Stickoxid und PM2.5. Keine Korrelation ergab sich mit Ozon.
Wer in einem Gebiet mit dem höchsten Fünftel der Stickoxid-Belastung (mehr als 41.5 μg/m3) lebt, hat demnach ein 40 Prozent höheres Risiko, eine Demenz-Diagnose zu erhalten als die Menschen, die in Gebieten mit dem niedrigsten Fünftel (weniger als 31.9 μg/m3) leben. Ähnlich ist das bei der Feinstaubaussetzung. Der Zusammenhang sei konstant und könne nicht durch bekannte Faktoren wie Rauchen oder Diabetes erklärt werden. Bei Alzheimer sei der Zusammenhang deutlicher ausgeprägt als für vaskuläre Demenz.
Die Wissenschaftler weisen natürlich darauf hin, dass es sich nur um eine Korrelation und nicht um einen Kausalzusammenhang handelt und dass viele Faktoren an der Entwicklung von Demenz beteiligt sein können, deren genaue Ursache weiterhin nicht bekannt ist. Wie Luftverschmutzung in das Gehirn kommt und, um dort eventuell neurodegenerative Erkrankungen zu verursachen, ist ebenfalls weitgehend unbekannt. Demenz ist allerdings in England und Wales bereits die primäre Todesursache, da durch die gestiegene Lebenserwartung mehr Menschen an Demenz erkranken. Zudem könne man davon ausgehen, dass die Zahl der Demenzerkrankungen unterschätzt werde.
Selbst wenn Luftverschmutzung nur einen geringen Anteil an der Entstehung von Demenz haben sollte, so die Wissenschaftler, könnten die Gewinne für die Gesundheit der Bevölkerung auch dann schon groß sein, wenn die Aussetzung an Luftverschmutzung gesenkt und dadurch das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt würde. Ihre Forschung bestätige bei aller Vorsicht gegenüber den Ergebnissen den wachsenden Bestand an Belege für einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Neurodegeneration. Und nachdem Demenz global die Gesellschaften in Zukunft mit der fortschreitenden Vergreisung noch stärker belasten wird, seien weitere Untersuchungen dringlich.