"Verweigerung ist der stärkste Akt angesichts des Krieges"
Drei israelische Kriegsdienstverweigerer erklären, warum sie bereit sind, ins Gefängnis zu gehen, um sich gegen den Krieg zu stellen. Ein Gastbeitrag. (Teil 2 und Schluss)
Anfang August meldeten sich drei 18-jährige Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen im Rekrutierungszentrum Tel Hashomer der israelischen Armee in der Nähe von Tel Aviv und erklärten, dass sie sich aus Protest gegen die Besatzung und den gegenwärtigen Krieg gegen den Gazastreifen weigern, sich zum Wehrdienst zu melden.
Teil 1 des Interviews:
"Wir werden uns nicht an einem Völkermord beteiligen"
Yuval Moav, Oryan Mueller und Itamar Greenberg wurden jeweils vor Gericht gestellt und zunächst zu einer 30-tägigen Militärhaft verurteilt, die wahrscheinlich verlängert wird.
Bevor sie ins Gefängnis kamen, sprachen die drei jungen Männer mit dem Magazin +972 und Local Call über die Gründe für ihre Weigerung, die Reaktionen ihres Umfelds und die Aussichten, mehr Israelis von ihrer Position zu überzeugen. Das Gespräch wurde aus Gründen der Länge und Klarheit bearbeitet.
▶ Sehen Sie Ihre Weigerung als einen Versuch, die israelische Gesellschaft zu beeinflussen – vor allem in der heutigen extremen Situation, in der viele keine Lust haben, auf Antikriegsstimmen zu hören?
Itamar Greenberg: Ich denke, dies ist eine wichtige Botschaft an die israelische Gesellschaft: Wir müssen anfangen, Nein zu sagen. Ich fordere meine Kolleginnen und Kollegen auf, darüber nachzudenken, was sie tun. Die Einberufung ist eine politische Entscheidung, und so sollte sie auch behandelt werden. Wir haben das Recht zu wählen, woran wir glauben.
Oryan Mueller: Verweigerung bedeutet, der israelischen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, um vor allem zu zeigen, dass es möglich ist, sich der militaristischen Todesmaschinerie und dem Kreislauf des Blutvergießens zu widersetzen. Wir müssen uns nicht daran beteiligen.
Wir müssen anfangen, nein zu sagen
Es ist auch eine Art Plattform, die es ermöglicht, der israelischen Gesellschaft zu zeigen, was jenseits dessen passiert, was man in den Medien sieht, die nicht wirklich zeigen, was in Gaza und im Westjordanland passiert.
Yuval Moav: Im Gegensatz zu meinen Freunden bin ich weniger optimistisch, was die Auswirkungen unseres Handelns auf die israelische Gesellschaft angeht, und letztlich ist es für mich auch weniger wichtig.
In erster Linie tue ich dies aus Solidarität mit dem palästinensischen Volk und in der Hoffnung, die Stimme der Menschen in der israelischen Gesellschaft zu erheben, die auf den Tag warten, an dem wir eine gemeinsame Zukunft aufbauen können. Mein Aufruf richtet sich jedoch in erster Linie an das palästinensische Volk.
Zeigen, dass es einen anderen Weg gibt
Es ist mir jedoch sehr wichtig, dies auch für die Menschen zu tun, die ich liebe, um ihnen zu zeigen, dass es einen anderen Weg gibt. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen innehalten und nachdenken, wenn sie Waffen tragen und aufgefordert werden, Dinge zu tun, die sie vielleicht nicht tun wollen. Ich hoffe auch, dass es die Welt erreicht, denn schließlich sehen Menschen aus der ganzen Welt die Schrecken, die in Gaza geschehen.
Itamar Greenberg: Ich denke, unsere wichtigste Botschaft an die palästinensische Gesellschaft ist, dass es hier Menschen gibt, die kämpfen, vielleicht nicht genug, aber immerhin, und die bereit sind, einen sehr hohen persönlichen Preis dafür zu zahlen, dass sie sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzen.
Oryan Mueller: Es gibt das größere Bild des Konflikts und der Besatzung als einen ganzen historischen Prozess, aber es gibt auch den unmittelbaren Kampf des Krieges und des Todes, der beendet werden muss. Und der praktischste Weg, sich an diesem Kampf zu beteiligen, ist die Verweigerung.
▶ Im Gegensatz zu vielen früheren Verweigerern fällt Ihre Weigerung in Kriegszeiten. Glauben Sie, dass dies der Entscheidung zusätzliche Bedeutung verleiht?
Itamar Greenberg: Wir hatten eine Diskussion über das Privileg der Verweigerung, und ich denke, dass Verweigerung im Krieg wirklich ein Privileg ist. Aber Verweigerung ist auch der stärkste Akt, den wir angesichts des Krieges machen können.
Oryan Mueller: Wenn ich einen Israeli davon abhalten kann, nach Gaza zu gehen, zu töten und zu sterben, dann ist es das wert. Und natürlich wollen wir den Kampf gegen die Besatzung unterstützen und fördern. Die Veränderung des israelischen Bewusstseins während des Krieges macht unsere Verweigerung zu etwas, das noch mehr am Rande liegt als in der Vergangenheit.
Natürlich wollen wir den Kampf gegen die Besatzung unterstützen
Wir stellen uns gegen die israelische Gesellschaft und sagen: "Nein, wir brauchen keine Denkmäler für die Toten zu bauen, wenn wir den Tod von vornherein verhindern können."
Yuval Moav: Am Ende des Tages ist es für mich am wichtigsten zu sagen, dass ich mich weigere, an einem Völkermord teilzunehmen. Apropos Privileg: Ich gehe nicht mit gutem Gewissen ins Gefängnis, weil ich nicht weiß, ob ich genug tue, ich weiß nicht, was meine Verantwortung in dieser Situation ist.
Ich erkenne, dass jüngere Menschen und Kinder in meinem Alter im Gazastreifen und im Westjordanland nicht etwas Ähnliches tun können, wie ich; sie können nicht beschließen, dass sie sich weigern, die Waffen zu erheben, diese Tat zu kommunizieren und zu versuchen, die Situation beider Völker zu verbessern.
▶ Ist Ihre Weigerung auch ein Statement gegen den Militarismus, der sich in Israel seit dem Krieg noch verstärkt hat?
Yuval Moav: Ja. Wir sind Menschen des Friedens. Aber es gibt hier etwas Größeres, einen Prozess, der die Gesellschaft korrumpiert. Wir sind eine Gesellschaft, die angesichts von Verbrechen solchen Ausmaßes schweigen kann. Es ist eine Gesellschaft, in der das Einzige, was ich als Mensch dagegen tun kann ‒ so schmerzhaft es auch ist, das zu sagen ‒ ist, mich von ihr zu trennen.
Wenn es meiner Fähigkeit, die israelische Öffentlichkeit zu erreichen, schadet, wenn ich immer wieder sage, dass ich mich weigere, mich an einem Völkermord mitschuldig zu machen, oder diesen Satz überhaupt auszusprechen, dann soll es so sein.
Itamar Greenberg: Es ist etwas kompliziert. Ich würde Ihnen wirklich gerne sagen, ja, denn ich denke, dass Militarismus eines der schlimmsten Dinge ist. Im Alter von 12 Jahren beschloss ich, mich zum Militär zu melden, weil ich verstand, dass dies meine Art war, mich in die israelische Gesellschaft zu integrieren, und ich glaube, das war eine der genauesten Beobachtungen, die ich je gemacht habe.
Es gibt hier einen Prozess, der die Gesellschaft korrumpiert
Es ist eine große Ungerechtigkeit für alle, die in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind – ist das der Weg, um dazuzugehören? Leider lautet die Antwort ja. Aber die öffentliche Verweigerung hat auch einen militaristischen Aspekt, eine Mobilisierung für eine Sache, nur eine andere.
▶ Haben Sie sich auf das Gefängnis vorbereitet? Haben Sie mit Verweigerern gesprochen, die bereits eine Strafe verbüßt haben?
Oryan Mueller: Innerhalb von Mesarvot gibt es eine Rolle, die man Begleiter nennt: ein ehemaliger Verweigerer, der im Gefängnis gesessen hat und dem zukünftigen Verweigerer hilft, sich vorzubereiten – sei es in Bezug auf die mentale Vorbereitung auf die Schwierigkeiten im Prozess, der zur Inhaftierung führt, oder in Bezug auf das Verständnis des Lebens im Gefängnis, das Erlernen von Tricks, die den Alltag erleichtern können, das Wissen um die Gesetze, Verfahren und Routine.
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▶ Mehr oder weniger wie ein vormilitärisches Vorbereitungsprogramm.
Itamar Greenberg: Ein Vorbereitungskurs auf die Verweigerung – das ist der Traum.
Yuval Moav: Der wichtigste Tipp war: Je mehr du redest, desto mehr wirst du verarscht.
▶ Bücher und CDs sind im Gefängnis erlaubt, wenn sie am Eingang kontrolliert und genehmigt werden. Was werden Sie mitbringen?
Oryan Mueller: Zunächst einmal: "Israelis und Palestinians: From the Cycle of Violence to the Conversation of Mankind" von Jonathan Glover. Es ist ein großartiges Buch, aber superschwer, und ich lese es langsam. Ich werde auch Ilan Pappes "Das größte Gefängnis der Welt" und eine Menge hebräischer Prosa mitbringen.
Itamar Greenberg: Ich habe mehrere Bücher über Wirtschaft. Mein Ziel ist es, die Legitimität zu haben, eine wirtschaftliche Meinung zu äußern, denn im Moment verstehe ich die Wirtschaft nicht. Ich habe zum Beispiel ein Buch über die vietnamesische Wirtschaft.
Yuval Moav: Ich werde einige gute Werke von Marx und andere Klassiker mitbringen, die ich im Gefängnis leichter lesen kann. Ich muss weiter lernen. Ich habe eine CD von Johnny Cash, "At Folsom Prison", die er in einem US-Bundesgefängnis aufgenommen hat. Ich habe auch eine OutKast-CD, die ich von dem Verweigerer Ben Arad bekommen habe und die ich sehr gerne mitnehmen möchte.
▶ Itamar, Sie sind in einem ultra-orthodoxen Elternhaus aufgewachsen, und an dem Tag, an dem Sie im Rekrutierungszentrum erscheinen, demonstrieren Haredi-Demonstranten am selben Ort gegen die Wehrpflicht. Wie sehen Sie deren Kampf gegen die Wehrpflicht?
Itamar Greenberg: Ich kann die Begründung der Ultra-Orthodoxen für ihre Weigerung, sich einschreiben zu lassen, verstehen: Es verstößt gegen ihre Religion, also haben sie kein Interesse daran, sich damit abzufinden.
Ich kann auch das Gefühl der "Dalabim" (ein hebräisches Akronym für "Demokratie nur für Juden", das sich auf den Großteil der letztjährigen Massenprotestbewegung gegen die Rechtsreform der rechtsextremen Regierung bezieht) verstehen, dass die (Sicherheits-)Last gleichmäßig verteilt werden sollte.
Wir müssen daran arbeiten, die Ultra-Orthodoxen in die israelische Gesellschaft zu integrieren und auf Gleichheit hinzuarbeiten ‒ aber nicht durch Gleichheit beim Töten und Unterdrücken. Wenn wir mit 300.000 Soldaten keine Sicherheit hatten, dann werden wir auch mit 360.000 Soldaten keine Sicherheit haben.
Oren Ziv ist Fotojournalist, Reporter für Local Call und Gründungsmitglied des Fotokollektivs Activestills.
Das +972 Magazine ist ein unabhängiges, gemeinnütziges Online-Magazin, das von palästinensischen und israelischen Journalisten betrieben wird. Der Name der Website leitet sich von der Landesvorwahl ab, mit der man in ganz Israel-Palästina telefonieren kann. Die Redaktion schreibt über sich:
"Unsere Grundwerte sind das Engagement für Gleichheit, Gerechtigkeit und Informationsfreiheit. Wir glauben an einen akkuraten und fairen Journalismus, der die Menschen und Gemeinschaften, die sich gegen Besatzung und Apartheid einsetzen, ins Rampenlicht rückt und Perspektiven aufzeigt, die in den Mainstream-Berichten oft übersehen oder marginalisiert werden."