"Völkerrecht nicht mehr Referenzsystem staatlichen Handelns"
Seite 2: "Glaube generell nicht an objektive Kriegsgeschichtsschreibung"
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Dann kommen wir zu diesem Gift. Wie schon während vergangener Kriege setzen viele Medien in ihre Beiträge über den Ukraine-Krieg Disclaimer, in denen sie darauf hinweisen, dass Informationen oft nicht unabhängig überprüft werden können. Das weist auf den Willen zur Objektivität hin, oder?
Daniela Dahn: Nein, nach meinem Eindruck eher auf das Gegenteil. Während Meldungen, die nicht ins veröffentlichte Bild passen, meist auch dann nicht gebracht werden, wenn sie gesicherte Quellen haben, werden solche, die die offizielle Version bestärken, auch ohne überprüfbaren Wahrheitsgehalt gemeldet.
Ich empfinde das eher wie ein Sich-aus-der-Verantwortung-Stehlen – sollte die Unhaltbarkeit der Nachricht herauskommen, dann hat man sich ja vorsichtshalber abgesichert. Warum müssen unüberprüfbare Fakten und Behauptungen überhaupt in die Welt gesetzt werden? Was einmal verkündet ist, ist schwer wieder einzufangen.
Ich glaube generell nicht an eine objektive Kriegsgeschichtsschreibung. Militärische, propagandistische und logistische Täuschung gehört zur Strategie und Taktik jedes Krieges. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass das die Botschaft der erwähnten Disclaimer ist.
Sie verweisen in ihrem Buch auf Julian Nida-Rümelins Lamento, in der "Zeit", unsere Medien zeigten "auffallend wenig Resistenz gegen eine Ideologisierung der Außenpolitik des Westens". Er spricht von doppelten Standards, gar von "Kriegspropaganda".
Die ARD widmete der weniger russlandkritischen Haltung im Osten des Landes einen ganzen, reichlich belehrenden Themenabend. Wie steht es um das Verhältnis zwischen Journalisten und Mediennutzern im Krieg, zwischen den Menschen und den Medien?
Daniela Dahn: Es ist mir kaum möglich, Aussagen über die Journalisten oder die Menschen zu treffen, es gibt immer und überall Ausnahmen und Zwischentöne. Gehen wir doch z.B. davon aus, dass schon die Autoren und Leser von Telepolis etwas anders sind.
Generell lassen die Großmedien das Einhalten einer Grundregel vermissen, die sowohl bei Streitigkeiten im Buddelkasten gilt als auch bei den ganz großen Konflikten: Man muss immer beide Seiten hören. Das ist in der Justiz bei der Suche nach Gerechtigkeit selbstverständlich und galt auch im Journalismus als unverzichtbar.
Inzwischen herrscht das Axiom: Was immer aus einer russischen Quelle kommt, kann nur Propaganda sein und muss ungeprüft aus dem Verkehr gezogen werden. Den Lesern und Hörern wird nicht zugetraut, sich eine eigene Meinung zu bilden, ja es wird ihnen nicht zugestanden.
Die russische Sicht sollen wir nur in deutscher oder westlicher Kommentierung zur Kenntnis nehmen und die ist oft genug verkürzt, verdreht und verfälscht. Nicht wenige empfinden sie selbst von Propaganda nicht weit entfernt, wie das in Umfragen dokumentierte, wachsende Misstrauen in die "Qualitätsmedien" belegt. Da sind die Öffentlich-Rechtlichen nicht besser als die Privaten.
Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und war Fernsehjournalistin. 1981 kündigte sie und arbeitet seitdem als freie Schriftstellerin und Publizistin. Sie war Gründungsmitglied des "Demokratischen Aufbruchs" und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien.
Sie ist Mitglied des PEN sowie Trägerin unter anderem des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises.
Bei Rowohlt sind bislang 13 Essay- und Sachbücher erschienen, vor dem aktuellen Buch "Im Krieg verlieren auch die Sieger: Nur der Frieden kann gewonnen werden" (2022).
Artikel von Daniela Dahn bei Telepolis.
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