"Vollständige situative Kenntnis der Außengrenzen"

Neue Technik für die Grenzkontrolle: automatisierte Mustererkennung, mobile Überwachungsanlagen und Lügendetektoren

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Ein schnurrbärtiger Mann mit einem Aktenkoffer in der Hand schaut sich misstrauisch um. Dann läuft er weiter, über die Landesgrenze. Er weiß nicht, dass versteckte Überwachungssensoren ihn längst entdeckt haben. Die alarmierten Grenzschützer im Hauptquartier greifen zum Telefon und schicken den Abfangjäger los - ein unbemanntes, flaches silbernes Fahrzeug mit vielen dicken Reifen, das schnell durchs Gelände zu dem Eindringling fährt. "Keine Bewegung!", ertönt eine Stimme aus dem Fahrzeug. Es hält den Mann im Schach, bis die Beamten in einem Geländewagen ankommen und ihn verhaften: "Mission erfüllt!"

Zu sehen ist diese Szene in einem Werbevideo der Firma PIAP. Der ehemalige polnische Staatsbetrieb stellt Roboter her, auch Kampfroboter. Mit dem Video wirbt er für das Forschungsprojekt TALOS, eine Abkürzung für "Transportable Autonomous Patrol for Land Border Surveillance System" - unbemannte Landfahrzeuge zur Überwachung von Landgrenzen.

Aus dem TALOS-Werbevideo

Der computeranimierte Werbefilm, der von mitreißender Rockmusik untermalt ist, wirkt skurril. Aber TALOS ist eine ernste Angelegenheit. Nicht nur, weil die Europäische Union das Konsortium, das das neue Grenzsicherungssystem herstellt, mit knapp 20 Millionen Euro bezuschusst. Die ursprünglich eingereichte, nicht veröffentlichte Projektbeschreibung sah vor, den Roboter mit "Energiewaffen" auszustatten. Das jedenfalls behauptet Ben Hayes, ein englischer Bürgerrechtler, in einer Studie von 2009.

Im Auftrag der Organisation Statewatch analysiert Hayes seit Jahren die Entwicklung neuer Kontroll- und Überwachungstechnik. Energiewaffen, besser bekannt unter dem englischen Ausdruck Directed Energy-Weapons (DEW), gehören zu den "weniger tödlichen Waffen". Sie schießen beispielsweise mit elektromagnetischen oder Ultraschallstrahlen, die den Gegner vertreiben, lähmen oder auch töten. Auf Nachfrage erklärt PIAP allerdings, dass "eine direkte Konfrontation" mit den Grenzgängern nicht vorgesehen sei, und in den veröffentlichten Papieren ist von einer Bewaffnung des Roboters nicht (mehr) die Rede.

Europäische Forschungsförderung für Überwachungstechnik

TALOS ist eines der Projekte, die von der Europäischen Union im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms (FP7) gefördert werden. 1,4 Milliarden Euro fließen bis 2013 in die "Sicherheitsforschung" - immerhin gut vier Prozent der gesamten EU-Forschungsförderung. Vor zwei Jahren sorgte bekanntlich INDECT, eine Infrastruktur zur Überwachung urbaner Räume, für empörte Schlagzeilen (Allround-System für europäische Homeland Security). Allerdings unterscheidet sich dieses Projekt wenig von vielen anderen Projekten, die ebenfalls im Rahmen von FP7 gefördert werden. Fast die Hälfte der EU-Zuschüsse wird für die Entwicklung von technischen Anlagen zur Detektion und Überwachung ausgegeben.

Bei der "Sicherheitsforschung" geht es nicht um wissenschaftliche Forschung im herkömmlichen Sinn, sondern um die Beschaffung von technischem Gerät für Sicherheitsbehörden. Anwendungsorientiert werden "Vorführobjekte", und "Infrastrukturen" entwickelt, die schließlich von staatlichen Stellen gekauft und eingesetzt werden sollen. Bei vielen Projekten sind diese Stellen bereits in die Konzeption mit eingebunden.

Die EU übernimmt bis zu Dreiviertel der Kosten, mit der Begründung, dass der Absatzmarkt für die Neuentwicklungen nicht gesichert sei. Die Liste der beteiligten Firmen liest sich wie ein Who's who? der europäischen Rüstungs- und IT-Industrie, vor allem die der großen Mitgliedsstaaten: EADS, BAE, ATOS ORIGIN, ALCATEL. Allein Thales erhält knapp 21 Millionen Euro, Selex, eine Tochterfirma des italienischen Unternehmens Finmeccanica, knapp 30 Millionen. Gemessen an den Forschungsausgaben der Rüstungsindustrie insgesamt sind solche Summen nicht wirklich entscheidend. Aber sie ermöglichen den beteiligten Unternehmen immerhin, Grundlagenforschung für Produkte zu betreiben, die sie schließlich an staatliche Behörden in Europa und dem Rest der Welt verkaufen können - entwickelt und bezahlt mit Steuergeldern, ein perfekter Kreislauf sozusagen.

In einem Staatement der Kommission vom Juni heißt es, die gegenwärtige Projekte würde "gute technische Ergebnisse liefern", die erfolgreichen Elemente sollten auch im kommenden Forschungsrahmenprogramm für die Zeit von 2013 bis 2020 ("Horizon 2020") weiter unterstützt werden. Allerdings müssten in Zukunft "soziale Aspekte" und die Menschenrechte stärker bei der Technikentwicklung berücksichtigt werden. Es ist davon auszugehen, dass weiter Millionen in die Sicherheitsforschung fließen werden.