Vom Leben als Soap Opera

Die Truman Show

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Paramount Pictures schleust zur Zeit einen sehenswerten Film durch Europas Kinos: Die "Truman Show". Und wie jede einigermaßen gute Komödie, denn das ist dieser Film zweifellos, geht es dabei um ein gar nicht so unwichtiges Thema - um die Sehnsucht nach medienvermitteltem Ersatzleben und um die Grenzenlosigkeit korporativer Infiltration des Alltags bis hin zu seiner völligen Gestaltung.

Das Heimatstädtchen des Protagonisten des Films, Truman Burbank's (Jim Carrey), scheint das darzustellen, was der mediale Klischee-Amerikaner als idyllisch-perfekt bezeichnen mag. Auch alle anderen Bestandteile von Trumans Leben präsentieren sich als optimal und dürften eigentlich in ihm keine Wünsche offenlassen: Karriere, Eheleben, selbst die Sonnenuntergänge übertreffen die Phantasien eines jeden Optimisten. Und trotzdem: Truman träumt davon, die Sicherheit für Abenteuer einzutauschen, zu kündigen, in die Ferne zu fahren, sich Neuem und Unbekanntem auszusetzten, kurz: etwas zu erleben.

Doch dieser Wunsch paßt dem "Schöpfer" dieses Garten Edens nicht ins Konzept (oder besser: Skript) - das nämlich lautet: 24 Stunden Non-Stop-Fernsehübertragung der authentischsten Soap Opera der Welt: Die Truman Show.

Der gutgläubige Truman weiß nicht, daß er bereits als Baby von der Firma OmniCam Corperation adoptiert worden war, die seitdem sein Leben in die Hand genommen hat und ohne Unterbrechung im Fernsehen überträgt. Das Umfeld Trumans ist mit tausenden von Minikameras gespickt: hinter dem Spiegel im Badezimmer, im Briefbeschwerer im Büro, hinter dem Geschwindigkeitsanzeiger im Auto, im Knopf an der Bluse seiner Frau Meryl (Laura Linney), an den Straßenmasten, überall sind Kameras angebracht, die Truman von Einstellung zu Einstellung 'weiterreichen'. Nicht nur das, die gesamte Stadtbevölkerung, einschließlich Trumans "Ehefrau", "bestem Freund", "Arbeitskollegen", entpuppt sich als Schauspieler- und Statistenarmee. Regen, Sonnenschein und Vollmond in Trumans Universum werden durch das Kommando des Filmregisseurs Christofer (Ed Harris) ausgelöst, der sich diesen Publikumshit vor beinahe 30 Jahren ausgedacht hatte und seitdem Millionen scheffelt - denn nicht nur die Palette an Marketing Artikeln der "Truman Show" verkauft sich bestens, sondern auch das Geschäft mit dem Product Placement blüht.

Zu Beginn des Films ist das Publikum genauso ahnungslos über das gesamte Setup wie Truman selbst, der nur genau dadurch das liefert, was ihn zum Medienstar macht: Authentizität.

Doch langsam beginnt der Kinobesucher durch Trumans Augen eine Art Verschwörung zu erahnen, hinter die Dinge zu blicken. Plötzlich hinterfragt Truman die Selbstverständlichkeit, mit der er das Wesen der Dinge von ihrer Erscheinung abgeleitet hatte.

Die volle "Erkenntnis" erlangt Truman erst, als er in einem Segelschiff (das überraschender Weise nicht Noah, aber Santa Maria benannt ist...) einen Fluchtversuch aus seiner Stadt, Seaheaven, unternimmt, und plötzlich gegen die mit einem Horizont bemalte Wand der gigantischen TV-Studiokuppel knallt.

Der Regisseur Peter Weir läßt nicht zum ersten Mal in einem seiner Filme die für gegeben angenommene Realität des Alltagslebens kippen. Denkt man an frühere Werke zurück, findet man dort dieses dramaturgische Element in unterschiedlichster Form: Etwa in "The Year of Living Dangerously" (1982), in dem der CIA-gestützte Coup gegen Sukarno das Leben in Indonesien schlagartig verändert; oder in "Der einzige Zeuge", wo ein Amish Kind in die paralell existierenden Realitäten der "normalen" Welt außerhalb seiner bewußt abgeschottet und "fortschrittsfeindlichen" Gesellschaft verwickelt wird.

Trumans Entdeckung, daß er nicht, wie er 29 Jahre lang gedacht hatte, ein optimales, weil "normales" Leben, sondern ein optimiertes, weil inszeniertes Leben geführt hatte, versieht den Film mit einem ambivalenten "Happy End". Zwar findet er den Ausgang aus dem Szenario, aber dem Filmpublikum ist flutlichtsonnenklar, dass die Erkenntnis nicht nur zur Freiheit führt, sondern auch zur Wut darüber, dass die Menschheit, mit der Truman nun "wirklich" leben wird, ihn fast 3 Jahrzehnte lang aus Voyeurismus zu einem Konsumprodukt erniedrigt hat und es genoß, ihn lachend, weinend, schlafend, selbst beim Sex und beim vermeintlich tödlichen Bootsunglück mit seinem Vater zu beobachten.

Während er also in die "Wirklichkeit" flüchtet, benutzte das TV Publikum die Truman Show um aus derselben Wirklichkeit zu fliehen - (und das wiederum, um "Wirklicheres", Berührenderes, als ihr wirkliches Leben zu erleben ...) Und inwiefern werden die Entscheidungen, die Truman nun außerhalb des Filmstudios treffen wird, nicht weiter auf Scheinauswahlen basieren?

Simulation als work in progress. Image: Matte World Digital

Das Konstrukt der Verflechtung zwischen den Wirklichkeiten involviert das Filmpublikum auf einer weiteren Ebene durch den Einsatz von Digitaleffekten. Denn selbst das, was uns im Film als wirkliche Wirklichkeit präsentiert wird, entpuppt sich als Trompe D'Oeil: Während "Regisseur Christof" entscheidet, wann in Trumans Welt die Sonne aufgeht, verhalf die Special Effekt Firma Matte World Digital, die sich auf Umweltkreationen spezialist hat, dem "Regisseur Peter" zu aufgestockten Gebäuden, Lichtturm, Fluß und Bäumen, um die auf einem riesigen Konzertpodest aufgebaute Filmstadt zu 'Seaheaven in Florida' werden zu lassen.

Die "Truman Show" hat in den USA zweifellos einen Nerv getroffen. Das Thema vom Leben als Soap Opera interessiert im Land der couch potatoes nicht nur McLuhanisten und Baudrillard Fans. Doch auch die schmissige Inszenierung (anfangs) und so mancher schräge oder fischäugige Kamerawinkel können nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses seiner Grundfrom nach sehr alte Thema vom Leben als Traum, aus dem man plötzlich erwacht, keine wirkliche Vertiefung erfährt. Auch der doppelte Boden vom Film im Film bleibt eben das, eine weitere Handlungsebene in einem waschmittelsauberen Hollywoodprodukt.

Truman Show

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