Vom Weltreich zum Inselstaat: Wie sich Großbritannien selbst ins Abseits manövriert
Mit dem Brexit hat sich Großbritannien von der EU abgewandt. Handel bricht ein, Produktion wandert ab. Was bedeutet das für die Zukunft des Landes?
Im Januar 1973 erfolgte der Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, einer Vorläuferorganisation der heutigen Europäischen Union. Die Mitgliedschaft endete nach 47 Jahren mit dem Brexit, dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs am 31. Januar 2020.
Das Vereinigte Königreich hat sich mit dem Brexit weiter von der EU entfernt, als alle anderen europäischen Staaten, die nicht EU-Mitglied sind. Offensichtlich war man beim Brexit noch erfüllt vom Ruhm des British Empire, das man wieder zurück haben wollte, auch wenn sich die Erde inzwischen weiter gedreht hatte.
Ein politischer Vorteil des Beitritts war die weitgehende wirtschaftliche Integration Nordirlands in die Wirtschaft der Republik Irland trotz der immer noch bestehenden Ambitionen der Unionisten, ihre historischen Mehrheiten im Norden der irischen Insel zu sichern, die sicherstellen sollten, dass Belfast näher an London als an Dublin liegt.
Der gemeinsame Markt sorgte für eine gemeinsame Entwicklung, die sich für die irische Insel positiv ausgewirkt hat. Und so ist es auch kaum verwunderlich, dass eine Mehrheit in Nordirland für einen Verbleib in der EU gestimmt hat. Inzwischen wächst der Druck, in Nordirland eine Volksabstimmung zur Angliederung an die Republik im Süden durchzuführen.
Heute ist mit der Sinn Féin, die einst als politischer Arm der paramilitärischen IRA galt, eine republikanische Partei stärkste Kraft im nordirischen Parlament. Dass eine friedliche Neugruppierung heute gelingen könnte, darf bezweifelt werden und somit könnte ein Wiederaufflammen des mörderischen Bürgerkriegs anstehen, der damals seine Auswirkung bis in die britischen Garnisonen in Deutschland hatte.
Der britische Markt ist vergleichsweise klein
Als das Vereinigte Königreich noch auf den Commonwealth als Handelspartner zurückgreifen konnte, waren die Britischen Inseln noch der Kopf eines Weltreiches. Mit dem Niedergang und dem Verlust der Kolonien, darunter im Jahre 1997 auch die Rückgabe von Hongkong an die Volksrepublik China, schrumpfte der dem Land exklusiv zur Verfügung stehende Markt beträchtlich.
Mit dem Brexit und der daraus folgenden Trennung des britischen vom gemeinsamen Markt, die sich in einer eigenständigen Welt an Vorschriften auszeichnet und etwa das CE-Kennzeichen durch das UK CA-Kennzeichen ersetzte, wobei ursprünglich nur im nordirischen Markt beide Kennzeichen genutzt werden durften, wurde die Belieferung des britischen Marktes so deutlich teurer, dass inzwischen Produkte mit beiden Kennzeichen auf einem Typenschild gängig sind.
Insgesamt sorgte die Trennung der Märkte dafür, dass Großbritanniens Außenhandel mit der EU kontinuierlich einbricht, was die EU wohl besser verkraftet als das britische Königreich. Im- und Exporte seien stark eingebrochen, heißt es in einem neuen Bericht der Aston University in Birmingham. Zwischen 2021 und 2023 sank der Wert der britischen Warenexporte in die EU um 27 Prozent, der Wert der Importe um 32 Prozent.
War nach dem Brexit befürchtet worden, dass die wieder neu eingeführte Zollabwicklung zu langen Staus an der Grenze führen würde, reduziert sich der Außenhandel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich weiter, sodass die Zollabwicklungen im innereuropäischen Handel besser zu bewältigen sind, als von den Handelsunternehmen damals befürchtet worden war.
Zwar sind die Briten bislang vertragstreu. Aber einer der Gründe für den Austritt aus der EU war, dass sie ihre Souveränität zurückgewinnen wollten. Dies bedingt natürlich, dass man sich eigene Regeln schaffen möchte, welche man für effizienter und besser geeignet für die britische Wirtschaft hält.
Wirtschaftliche Zwänge werden in einigen Bereichen zwar dafür sorgen, dass sich britische Regularien weiter parallel zur EU entwickeln werden. Dennoch werden nun häufig kostenintensive zusätzliche Registrierungen für den britischen Markt erforderlich, wie man bereits heute am Beispiel des UK Reach Systems sehen kann.
Ob die bestehenden Datenschutzregelungen langfristig gegenseitig Anerkennung finden, ist bislang nicht sicher und sollte von den Unternehmen, welche am britischen Markt liegt, im Auge behalten werden.
Bei den überkommenen Lieferketten zeigt sich inzwischen eine deutliche Desintegration. Aufgrund der administrativen Kosten lohnt es sich offensichtlich in vielen Fällen nicht mehr, das Vereinigte Königreich wie bisher in komplexe, global vernetzte Lieferketten einzubinden. Deutsche Unternehmen, die den britischen Markt weiter bedienen wollen, verlegen Teile ihrer Produktion, die für den britischen Markt bestimmt sind, nach Großbritannien. Umgekehrt ziehen britische Unternehmen die Produktion für die EU aus UK ab.
Auch beim Personenverkehr entkoppelt sich UK von der EU
Die Zeiten, als man mit seinem Personalausweis auf die britischen Inseln reisen konnte, sind inzwischen auch Geschichte. Ohne Pass geht es schon länger nicht mehr und ab April 2025 benötigen Reisende nach Großbritannien zusätzlich zu ihrem Reisepass auch eine kostenpflichtige elektronische Einreisegenehmigung (ETA). Diese kostet 10 Britische Pfund, das sind 11,85 Euro, gilt jeweils für zwei Jahre und muss auch für Kinder beantragt werden, wobei keine Altersgrenzen gelten.
Ob der Eurotunnel künftig noch benötigt wird, ist eine Frage, die bislang nicht geklärt ist. Der Tunnel unter dem Ärmelkanal war zu Zeiten der europäischen Integrationseuphorie realisiert, aber schon bald notleidend geworden und konnte nur durch eine Insolvenz und einen Schuldenverzicht der Gläubiger gerettet werden.
Genutzt wurde er schon von Anfang an in der Hauptsache von den Briten. Darunter waren viele, welche die direkte Verbindung zwischen London und Brüssel für das Stellen von EU-Förderanträgen nutzen konnten. Mit dem Brexit fällt dieser Nutzerkreis inzwischen dauerhaft weg und die Angst vor illegalen Migranten als Hauptnutzer des Tunnels wächst.