Von Corona bis Afghanistan: Was bringen alternative Informationen?

Alternativ oder Mainstream: Diese Impfung wirkt oder sie wirkt nicht. Bild: Ali Raza, Pxhere

Von ignorierten gesellschaftlichen Problemen, der am Hindukusch verteidigten Illusion und Medienverantwortung. Die Telepolis-Wochenrückschau mit Ausblick

Liebe Leserinnen und Leser,

von der Ernährungsforschung über die Kriminalitätsquote bis hin zur Genderdebatte: In der vergangenen Woche hatten wir bei Telepolis eine außergewöhnliche Bandbreite an Themen. Zuletzt ging es auf der Seite und in der Leserkommunikation um alternative Medien – für Telepolis aus mehrerlei Gründen ein wichtiges Thema. Dazu später noch mehr.

Der Satz "2015 darf sich nicht wiederholen", geäußert vor allem von Politikern des konservativen Lagers, hatte angesichts des westlichen Desasters in Afghanistan für viel Diskussion gesorgt.

Dabei ging es um die Subbotschaft aus dieser politischen Ecke: "Wir dürfen keine Zuwanderung erlauben" und "Die Grenzen müssen dicht bleiben".

Reflexartig reagierte das Mitte-links-Lager mit empörter Kritik und verpasste damit einmal mehr die Chance auf eine ehrliche Debatte: Ist es von progressiver politischer Seite denn überhaupt anstrebenswert, wenn Menschen massenhaft ihre Heimat verlassen müssen, viele durch die Strapazen und auf gefährlichen Fluchtrouten sterben und funktionale Gesellschaftsstrukturen zerbrechen?

Diese Frage wird hierzulande von Sozialdemokraten, Grünen und Linken oft ignoriert. Geflüchtete scheinen indes pauschal zum neuen Objekt paternalistischer Fürsorge zu werden, während die Verdammten dieses Landes aber aus dem Blick geraten oder - auf Corona-Demos oder in AfD-Statistiken wieder in Erinnerung gerufen - als Unpersonen behandelt werden.

Die Komplexität migrations- und sozialpolitischer Dynamiken lassen sich nicht wegignorieren. So berichtete Telepolis-Autor Jens Mattern diese Woche über ein Phänomen in Schweden, das auf die politische Agenda gesetzt wurde, als es zu spät war: Das Problem von Kriminalität und Gewalt im Zusammenhang mit Migration.

Premierminister Stefan Löfven hat versagt, Gewinner sind die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten", vergleichbar mit unseren blauen Alternativdeutschen. Für ein Zukunftsmagazin, das Telepolis seit Beginn an stets auch war, ein wichtiges Thema, das wir ohne Scheu und aus verschiedenen Blickwinkeln weiter betrachten werden.

Afghanische Illusionen

Das gilt auch für das leidige Dauerthema Afghanistan, das aufzuarbeiten noch Jahre beanspruchen wird. Zum EU-Gipfel im slowenischen Kranj gab Telepolis Einschätzungen von EU-Diplomaten aus Berlin und Brüssel wieder.

Das Bild war verheerend. Während die EU-Staaten sichtbar Probleme hatten, eine gemeinsame Position zum historischen Scheitern zu finden, fiel auch die Bilanz der deutschen Evakuierungsmission schwach aus:

Nach Angaben der Bundeswehr wurden bei dem Hals-über-Kopf-Vorhaben insgesamt gut 4.600 Menschen vor möglichen Racheakten der Taliban in Sicherheit gebracht. Damit wurde die Vorgabe von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Höhe von 10.000 Menschen noch nicht einmal zur Hälfte erreicht.

An diesen drei Krisen scheitert die EU, Telepolis, 03.09.2021

Nicht nur politisch ergebe sich bei der Afghanistan-Politik in Berlin und Brüssel ein wenig kohärentes Bild. Einerseits solle mit den Taliban verhandelt werden, zugleich beobachten militärische Planer den Widerstand gegen die neuen Machthaber, so unsere Einschätzung.

Doch auch der Widerstand mehrheitlich tadschikischer Milizen im afghanischen Pandschschir-Tal, über den in sicherheitspolitischen Einschätzungen Berlins mit hoffnungsvollem Unterton geschrieben wurde, hatte sich wenige Tage später erledigt. Die Taliban meldeten in der Region massive Gebietsgewinne. Das Auf-Sicht-Fahren hat in Afghanistan zuletzt ebenso wenig gebracht wie in der Corona-Politik im Inland. Mittelmaß allerorts.

In der Beurteilung des Geschehens in Afghanistan jedenfalls drehte sich die Debatte zuletzt auch um die Frage, ob von einem Versagen gesprochen werden kann. Unser Autor Björn Hendrig vertrat diese These mit Blick auf den Anspruch des deutschen Engagements am Hindukusch in seiner Dreierserie zum Thema.

Telepolis-Redakteur Thomas Pany hingegen argumentierte:

Aktien der Rüstungsunternehmen, die zu Beginn des Afghanistankriegs 10.000 Dollar wert waren, sollen "jetzt fast 100.000 Dollar wert" sein, rechnet das Magazin The Intercept vor. Fazit: Nein, der Krieg in Afghanistan war "kein Misserfolg"

Das Reich des Todes: Milliardengewinne und "coole Militärkommandeure", Telepolis, 06.09.2021

Corona-Countdown: 3-G, 2-G, 1-G …

Und die Pandemie? Das Auf-Sicht-Fahren bringt auch im zweiten Pandemie-Jahr und vor der vierten Infektionswelle keine guten Nachrichten. In der österreichischen Regierung, so berichtet Telepolis heute, würden Gedankenspiele zu restriktiven Maßnahmen sehr weit ausgedehnt, in der Alpenrepublik ist man nach "3-G" und "2-G" schon bei "1-G" angelangt.

"Wenn man aber jetzt geimpft ist und das Leben der anderen durch die Impfung schützt, dann lässt sich das verfassungsrechtlich schwer argumentieren, warum man die Personen, die geimpft sind, zuhause einsperrt", so Justizministerin Alma Zadić.

Und was heißt das dann für - aus welchen Gründen auch immer - Ungeimpfte? Die Frage wird nicht nur uns bei Telepolis in den kommenden Wochen und Monaten befassen.

Auf großes Interesse der Leser:innen traf ein Bericht von Telepolis-Autor Arno Kleinebeckel zu neuen medizinischen Corona-Studien. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung sei geringer, wenn man zwei Impfdosen erhalten hat, zitiert er Sarah Walker, die Leiterin einer Studie an der Universität Oxford: "Aber (im Fall einer Ansteckung) haben Sie eine ähnliche Viruskonzentration wie jemand, der überhaupt nicht geimpft wurde."

Auch hier müssen sich politisch Verantwortliche vorhalten lassen, bei der Aufklärung nicht erfolgreich gewesen zu sein. Lange wurden die Impfungen im besten Sinne des Wortes als Allheilmittel dargestellt. Fakt ist, dass wir mit dem Virus leben werden, die Folgen aber kontrollieren können. Das heißt: die Schwere der Verläufe bei Covid-19, die Auslastung der Krankenhäuser. Die staatlich verschuldete Unklarheit in vielen dieser Debatten trägt zu vielen Konflikten um die Corona-Politik bei.

Und die Alternativmedien?

Wie bei kaum einem anderen Thema haben sogenannte alternative Medien seit Beginn der Pandemie eine Rolle gespielt - und werden sie weiterhin spielen. Dieses Thema und die Frage des freiheitlichen Charakters unserer Gesellschaft diskutiert Renate Dillmann in einem Gastbeitrag, den Telepolis von unserer Partnerseite Krass & Konkret übernommen hat.

Dillmann moniert die Performance der "Mainstream-Presse", der sie in ihrem Debattenbeitrag vorhält, auch über die etablierte Trennung von Nachricht und Kommentar den Schein von Objektivität und Pluralismus zu wahren, tatsächlich aber selektiv zu berichten.

Dillmann diskutiert das Thema anhand der Beurteilung von freiheitlichen und autoritären Staatsformen; dass also in China oder Russland Repression verortet wird, während repressive Trends im eigenen Land, so die Debattenposition der Autorin, nicht wahrgenommen würden.

Auch Telepolis hatte die Frage der Medienfunktion mit mit Blick auf Afghanistan bereits aufgeworfen: Wie kann es sein, dass ein offensichtlich zum Scheitern verurteilter Einsatz über zwanzig Jahre hinweg medial halbherzig begleitet wird - und am Ende Politiker wie Medien Seit an Seit erstaunt auf den Scherbenhaufen starren?

Bringen Alternativmedien die Lösung? Nicht automatisch, wie ich vor einigen Wochen schon mit Blick auf das Portal Rubikon geschrieben habe, nachdem dessen Redaktionsbeirat an einem Disput über die redaktionelle Ausrichtung zerbrochen war.

Angesichts multipler Fehlleistungen von Medien jeder Couleur hilft am Ende doch nur der Blick auf die Qualität und Transparenz. Label wie "Mainstream" oder "Alternativ" scheinen - auch angesichts mangelnder Definitionsschärfe - nur zur Polarisierung beizutragen.

Telepolis jedenfalls wird sich in keine Schublade einordnen lassen. Bei uns finden Sie auch weiterhin Stimmen aus einer Vielzahl gesellschaftlicher, politischer und medialer Sphären. Wir werden strittige Thesen aber immer auch diskutieren lassen und prüfen. Zu denen, die vermeintlich die einzige Wahrheit vertreten oder andere Stimmen nicht wahrzunehmen bereit sind, wird sich Telepolis auch künftig nicht gesellen.

In diesem Sinn, bleiben Sie uns gewogen, Ihr

Harald Neuber