Von Dingen, die im Weltraum gefunden werden

Seite 3: Risikobewertung

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Zusammenfassend sehen wir für dieses Szenario - neben der (unsicheren) Möglichkeit eines erheblichen Erkenntnisgewinns - drei globale Risiken, die bei der weiteren Erforschung unseres Sonnensystems nicht außer Acht gelassen werden sollten:

1. Massenpsychologische Konsequenzen: Mit dem Fund wäre bewiesen, dass eine außerirdische Intelligenz bereits vor einiger Zeit in der Lage war, unser Sonnensystem zu erforschen. Und das wirft Fragen auf: Was ist, wenn sie wiederkommen? Sind sie vielleicht sogar noch hier? Sind sie uns freundlich oder feindlich gesinnt? Und wie gehen wir Menschen mit der Erfahrung um, nicht die Entdecker einer fremden Spezies, sondern die Entdeckten zu sein?

Dieses Problem dürfte sich noch verschärfen, wenn das fremde Artefakt durch die menschlichen Untersuchungen aktiviert wird und eine Botschaft in die Weiten des Weltraums sendet. Die Science-Fiction-Fans kennen ein solches Szenario aus dem Roman/Film "2001: A Space Odyssey". Der schwarze Monolith lässt grüßen. Gegen solch ein Risiko hilft nur, auf die Untersuchung jedes fremdartigen Funds zu verzichten und einen weiten Bogen darum zu machen. Dies scheint uns wenig realistisch. Deshalb sollten sich Regierungen und internationale Organisationen schon einmal Gedanken über ihre Krisenkommunikation machen, wenn die Menschheit plötzlich erfährt, als - mehr oder weniger - intelligente Spezies nicht allein im Universum zu sein.

2. Folgen einer ungewollten Aktivierung: Ein im Weltraum gefundenes Artefakt kann, wenn es denn zur Erde gebracht wird, völlig unabhängig von den Motiven und Vorgaben seiner Erschaffer, Wirkungen entfalten, die für das hiesige Leben höchst negativ sind. Dies betrifft zum einen die potenzielle Kontaminierung mit gefährlichen Mikroorganismen, zum anderen aber auch mögliche Funktionen, die bei einer Untersuchung aktiviert werden könnten.

Wenn wir davon ausgehen, dass solche Artefakte von einer, verglichen mit der Menschheit, weit fortgeschrittenen Zivilisation hergestellt werden, könnten selbst vergleichsweise kleine Objekte erhebliche Auswirkungen auf ihre Umgebung haben. Und dies bereits im vorgesehenen Normalbetrieb - umso mehr sicherlich, wenn durch unsachgemäße, nämlich menschliche Untersuchungen Fehlfunktionen ausgelöst werden. (Um ein fast noch triviales Beispiel zu nennen: Ein für den Weltraum vorgesehener exotischer Antrieb könnte, auf einer planetaren Oberfläche aktiviert, zu massiven Schäden in der Umgebung führen.)

Im Weltraum gefundene außerirdische Artefakte sollten deshalb nach unserer Überzeugung nicht zur Untersuchung auf die Erde oder auch nur in den erdnahen Weltraum gebracht werden. Eine Alternative zur Vorort-Untersuchung wäre die Schaffung einer Weltraumstation im Mond- oder Marsorbit, die für solche und ähnliche Fälle (etwa den Fund außerirdischer Mikroorganismen im Sonnensystem) ausgerüstet ist.

3. Irdische Machtkonflikte: Ein Hauptproblem ist sicherlich der Mangel an verbindlichen internationalen Normen auf diesem Gebiet. Bislang existiert lediglich für den Fernkontakt im Rahmen der SETI-Forschung eine Vereinbarung der zuständigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften (die Declaration of Principles Concerning the Conduct of the Search for Extraterrestrial Intelligence). Es handelt sich dabei allerdings um keinen rechtsverbindlichen Vertrag, sondern um eine Selbstverpflichtung der in diesem Bereich tätigen Forscher und Forscherinnen. Darüber hinaus enthält die Deklaration keine Regelungen für den Fall, dass außerirdische Artefakte in der Nähe der Erde gefunden werden (vgl. Schrogl 2008; Gertz 2017, S. 3-4).

Sinnvoller als wissenschaftliche Absichtserklärungen wären verbindliche Abkommen, die entsprechende Artefakte bestenfalls unter Aufsicht der Vereinten Nationen stellen. Auch wenn wir wissen, dass die Macht der UN zur Durchsetzung solcher Regelungen begrenzt ist, glauben wir doch an die konfliktreduzierende Wirkung entsprechender internationaler Verträge.

Fazit: Finden, ohne zu suchen

Wir könnten bei unserer Erforschung des Weltraums auf Dinge stoßen, die wir gar nicht gesucht haben. Und das könnte durchaus schwerwiegende Konsequenzen zeitigen. Die Erforschung des Sonnensystems ist nicht nur eine technische Herausforderung, die aus heutiger Warte reichlich Gewinn (Wissen, Ressourcen, Geld) verspricht - sie kann sich auch zu einem Wagnis mit schwer einschätzbaren Konsequenzen für die Menschheit entwickeln.

In der Katastrophenforschung wird das Risiko eines Ereignisses durch zwei Faktoren bestimmt: durch seine Eintrittswahrscheinlichkeit und durch das Ausmaß seiner negativen Konsequenzen. Der Kontakt mit einer außerirdischen Intelligenz wäre, wie die meisten Forscher und Forscherinnen auf diesem Feld meinen, eines der einschneidendsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Und zwar eines, das schlimmstenfalls verheerende kulturelle und soziale Auswirkungen haben könnte.

Wenn dies so ist, kann die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignisses fast beliebig gering werden, ohne dass das Gesamtrisiko vernachlässigbar wird. Denn wenn die negativen Konsequenzen von Geschehnissen gegen unendlich gehen, bestimmen nur noch sie, nicht aber die Eintrittswahrscheinlichkeit die risikotechnische Relevanz (die Zukunftsforschung nennt dies "Low-probability, High-impact Events" - vgl. den Beitrag von Kenzo Hiroki 2012). Nicht für solche Fälle zu planen, wäre unverantwortlich.

Die heute von der Öffentlichkeit und von politischen Institutionen an den Tag gelegte Ignoranz hinsichtlich dieser Frage funktioniert als Handlungsoption überhaupt nur, weil und solange es (noch) keine offensichtlichen Indizien für die Existenz außerirdischer Intelligenzen gibt. Diese Strategie aber wird in dem Moment prekär, wenn wir im Weltraum künstliche Objekte finden, die nicht von unserer Welt sind.

Die Autoren gehören zu den Initiatoren des interdisziplinären Forschungsnetzwerks Extraterrestrische Intelligenz. Anfang des Jahres ist ihre Monographie "Die Gesellschaft der Außerirdischen. Einführung in die Exosoziologie" im Verlag Springer VS erschienen.

Literatur Berghold, Christina (2011): Die Szenario-Technik. Leitfaden zur strategischen Planung mit Szenarien vor dem Hintergrund einer dynamischen Umwelt. Göttingen: Optimus.

Fink, Alexander; Siebe, Andreas (2006): Handbuch Zukunftsmanagement. Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. Frankfurt am Main: Campus.

Harrison, Albert A.; Johnson, Joel T. (2002): Leben mit Außerirdischen. In S.E.T.I. Die Suche nach dem Außerirdischen, Hrsg. Tobias Daniel Wabbel, 95-116. München: Beust.

Michaud, Michael A. G. (2007): Contact with Alien Civilizations. Our Hopes and Fears about Encountering Extraterrestrials. New York: Springer.

Schetsche, Michael; Anton, Andreas (2019): Die Gesellschaft der Außerirdischen. Einführung in die Exosoziologie. Wiesbaden: Springer VS.

Steinmüller, Angela; Steinmüller, Heinz (2004): Wild Cards. Wenn das Unwahrscheinliche eintritt. Hamburg: Murmann; zweite Auflage.

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