Von Panik in den Lockdown getrieben

Bundeskanzlerin und Länderchefs fahren erneut das öffentliche Leben herunter und schränken Grundrechte ein. Was das für unsere Demokratie bedeutet und welche Alternativen es gegeben hätte

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Da ist er nun also, der neue Lockdown. Seit Mitte dieser Woche hatten einzelne Medien unter Berufung auf regierungsinterne Informationen schon berichtet, was Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nun verkündete: Nach entsprechenden Maßnahmen im Frühjahr dieses Jahres wird das öffentliche Leben in Deutschland erneut heruntergefahren, nach derzeitiger Beschlusslage vom 16. Dezember bis zum 10. Januar.

Das gaben Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am heutigen Sonntagvormittag in einer gemeinsamen Pressekonferenz bekannt. Konkret heißt das unter anderem:

  • Treffen von fünf Erwachsenen aus zwei Haushalten zuzüglich Kindern bis 14 Jahren sind noch möglich, über die Weihnachtstage können vier weitere erwachsene Personen hinzukommen;
  • Schulen und Kindertagesstätten sollen den Betrieb generell einschränken, die Ausgestaltung ist jedoch den Ländern überlassen;
  • Der Handel wird generell geschlossen, ausgenommen sind bestimmte Geschäfte des Einzelhandels, Wochenmärkte und Direktvermarkter für Lebensmittel, Abhol- sowie Lieferdienste, der Getränkehandel, Apotheken, Drogerien, Reform- und Sanitätshäuser, Optiker und Hörgerätegeschäfte, Tankstellen, Werkstätten und weitere Geschäfte (hier der Beschluss mit der Gesamtaufstellung in Punkt 5);
  • für Silvester wird ein Versammlungsverbot empfohlen und der Verkauf von Feuerwerk wird verboten;
  • Dienstleistungen im Bereich der Körperpflege werden untersagt, ausgenommen sind medizinisch notwendige Behandlungen;
  • Der Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum wird verboten;
  • Von Reisen wird abgeraten;
  • Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen bekommen medizinische Schutzmasken und Antigen-Schnelltests zur Verfügung gestellt.

Anhaltend autoritärer Politikstil

Ein Entwurf des entsprechenden Beschlusspapiers war auf 07:46 Uhr des heutigen Sonntags datiert. Das Durchsickern einzelner Beschlüsse im Laufe der vorherigen Tage lässt erahnen, dass die Absprachen allerdings längst getroffen waren. Und das weist auf ein zentrales Problem hin: Bundeskanzlerin und Länderchefs setzen die Corona-Bestimmungen nach wie vor im Stil einer autoritären Regierung durch, und das ohne Zwang.

Inmitten von zwei Sitzungswochen des Bundestags befinden sich die meisten der über 700 Abgeordneten wahrscheinlich ohnehin in Berlin. Das Parlament hätte also ohne Probleme zusammenkommen und eines der einschneidendsten Maßnahmenpakete der jüngeren Geschichte der Republik debattieren können; es wäre angesichts der Stimmungslage ja ohnehin gutgeheißen worden und spätestens auf Länderebene umgesetzt worden.

Schließlich wurden die Bundestagsabgeordneten auch schon einmal für die Verabschiedung eines Griechenland-Hilfspakets oder die 90-sekündige Vereidigung der CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin äußerst kostspielig aus dem Urlaub eingeflogen. Weshalb also keine gebotene Aussprache im Bundestag, weshalb keine Debatten in den Parlamenten der zuständigen Länder?

Der Bundestag als eine der drei Gewalten tritt damit weiter ins Abseits, und das durchaus selbstverschuldet. Denn die frühere Verletzung der parlamentarischen Kontrollrechte wurde mit dem dritten Gesetz "zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" unlängst sogar noch nachträglich legalisiert. Zudem wurden bei der entsprechenden Aussprache vor wenigen Wochen alle Anträge der Opposition abgelehnt, wie hier eindrücklich nachzulesen ist.

Die Regierungsfraktionen und Teile der Opposition haben mit der Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes Maßnahmen einen gesetzlichen Rahmen gegeben, die seit dem Frühjahr auf eine in der bundesrepublikanischen Geschichte lange nicht mehr denkbaren Art und Weise hinter verschlossenen Türen, per Verordnungen und unter Missachtung bürgerlich-parlamentarischer Regeln durchgesetzt worden waren, was sich jetzt ungeachtet aller Kritik wiederholt (Corona-Pandemie: Bundestag legalisiert Verordnungspolitik).

Die unverfrorene Art, mit der die einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie von einem demokratisch fragwürdigen Gremium durchgesetzt werden, belegt das Versagen der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten. Das war schon im November klar. Denn wie die Gesetzesänderung am 18.11.2020 – zumal mit Regierungsmehrheit beschlossen, im Schnellverfahren in Bundestag und Bundesrat verabschiedet und vom Bundespräsidenten umgehend mit Rechtskraft versehen – eine Stärkung der parlamentarischen Beteiligung sein soll, das blieb und bleibt schleierhaft.

Unnötige Schäden durch Intransparenz und Panik-Politik

Völlig unabhängig von der Frage, ob die Lockdown-Maßnahmen sinnvoll sind oder nicht, was durchaus Gegenstand einer ergebnisoffenen Debatte ist, droht durch die Intransparenz und Kurzfristigkeit ein zusätzlicher und unnötiger Schaden.

Besonders betroffene Bevölkerungsgruppen hätten sich schlichtweg besser vorbereiten können, wenn die kommenden Einschränkungen früher und nicht mit nur zwei bis drei Tagen Vorlauf kommuniziert worden wären. Denn:

  • in Situationen drohender häuslicher Gewalt hat die Merkel-Ministerpräsidenten-Runde potentielle Opfer geradezu in eine Falle geführt, aus der sie binnen weniger Tage schwer entkommen können. Wie schwerwiegend das Problem ist, haben Gewaltschutzambulanzen und Frauenhäuser schon früher im Jahr betont.
  • Unternehmen und Handel hätten sich auf eine neue Zwangsschließung besser vorbereiten und Schäden minimieren können.
  • Die Situation von Familien mit Kindern wird unplanbar, weil Schulen und Kindertagesstätten jederzeit schließen können.

Es bleibt beachtlich, in welchem Maße die selbstmandatierten Entscheidungsträger des Bund-Länder-Gremiums trotz verfassungsrechtlicher Bedenken an ihrer fragwürdigen Politik festhalten, eine parlamentarisch-demokratische Kontrolle sowie Transparenz verweigern und sich von Panik treiben lassen.

Dabei wäre es durchaus möglich, die ohnehin alles bestimmende Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung zu einem ständigen Tagesordnungspunkt im Parlament zu machen; mit öffentlichen Debatten, Beschlüssen und Dokumentation.

Doch daran scheint die Mehrheit der Abgeordneten in Bund und Ländern trotz Mäkelei kein Interesse zu haben, vielleicht aus Bequemlichkeit. Und daran scheint das Kanzleramt und die Regierungschefs der Länder kein Interesse zu haben, vielleicht aus Machttrunkenheit.


In einer vorherigen Fassung dieses Beitrags war textmittig an zwei Stellen ein Vergleich zu Junta-Führungen gezogen worden. Nach berechtigter Kritik von Leserinnen und Lesern habe ich diese Passagen entfernt. Die Analogie zu diktatorischen Führungen war auch angesichts einer entsprechenden Wortwahl bei antidemokratischen Protesten hierzulande falsch, das bedauere ich. Kritisiert werden soll die Art der Umsetzung der Maßnahmen. Der Autor.