Von Rassentheorie zu Reformpädagogik: Montessoris umkämpfter Weg

Seite 4: Empathie für Behinderte

Zwei Aspekte ragen besonders heraus. Dieser Film gibt der Arbeit mit Behinderten sehr viel Raum. Das bedeutet auch Raum in der Darstellung von Behinderten.

Zum einen zeigt der Film, dass das, was wir Behinderung nennen, eben oft genug einfach eine andere Befähigung ist, eine Besonderheit, die man mit besonderen Mitteln, mit Empathie und Subjektivität fördern und freilegen kann.

Die Darstellerinnen und Darsteller dieser Kinder und Jugendlichen sind selbst offensichtlich teilweise schwerbehindert. Ich habe selten einen Film gesehen, wo es ähnlich natürlich und unverkrampft nebeneinander stattfindet, dass gesunde und eingeschränkte Menschen zusammen spielen. Das zu sehen ist außerordentlich spannend und ungewöhnlich.

Der zweite Aspekt ist die schon erwähnte Emanzipation; also die "Frauenfrage". Wir übersehen ja oft, wie die Verhältnisse noch vor Kurzem waren. Ich selbst bin noch zu einer Zeit geboren, als meine Mutter theoretisch zumindest den Ehemann um Erlaubnis fragen musste, wenn sie arbeiten wollte – das sollten wir nicht vergessen!

Dieser Film zeigt sehr gut, wie altbacken und traditionalistisch die Geschlechterverhältnisse selbst zu in anderer Hinsicht schon sehr modernen Zeiten waren. Gerade dagegen kämpfte Montessori an. Sie war damit auch unter ihresgleichen, also unter anderen gebildeten Frauen umstritten. Es gab Frauen, die diese Form von Emanzipation einfach nicht wollten und sich von Montessori provoziert fühlten.

Insofern zeigt dieser Film sehr deutlich, warum Montessori auch heute noch provoziert – weil sie gegen die Normen, gegen das sogenannte vermeintlich Normale und gegen einfache Wahrheiten ankämpfte.

Und man kann vielleicht in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass der Originaltitel dieses Films in Frankreich "La nouvelle femme" lautet – die neue Frau. Das sagt eigentlich schon alles.

Revolution der Erziehung

Auch gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um Montessoris Denken, hilft einem dieser Film, sich ein eigenes und breiter fundiertes Urteil zu bilden. Denn man erfährt hier viel und auf eingängige Weise. Der Film gibt mehreren unterbelichteten Themen Raum.

Denn in der Erinnerung an Maria Montessori geht es ja vor allem darum, dass sie gegen die alte "Rohrstockpädagogik" angekämpft hat – keiner will heute dahin zurück.

Natürlich sieht man im Rückblick manche ihrer Ansichten differenzierter, aber an Montessoris Bedeutung für die Revolution der Kindererziehung kann kein Zweifel bestehen. Sie hat den Umgang mit Kindern, nicht nur die Kindererziehung, extrem vorangebracht.