Von Trump bis Kurz: Die Dämmerung der Idole

Wenn politische Vorbilder zum Zerrbild mutieren

Das Misstrauen und die Ambivalenz gegenüber sich inszenierenden "Politheilsbringern" scheinen im Zuge der globalen Pandemie anzusteigen. Zu blank liegen die Nerven vieler Menschen. Sie betreten kaum noch die Diskursräume ihres jeweiligen Gegenübers. Die geringer gewordenen Toleranzspielräume lassen daher auch die politischen "Selbstinszenierer" nicht mehr ad infinitum gewähren.

Das Idol findet als Bezeichnung heute ausschließlich positive Verwendung. Vor vier Jahrhunderten war der Begriff des Idols, wie seit der Antike, ausnahmslos negativ besetzt. Idole standen im Kontext des falschen Gebrauches der menschlichen Vernunft, sie waren Götzen.

Sigmund Freud band das Vorbild im Sinne eines Bedürfnisses noch an die Identifikation; das je eigene Ich an das zum Vorbild genommene Idol anzugleichen. Francis Bacon, der philosophische Wissenschaftsreformer an der Schwelle zur Neuzeit, warnte dagegen in seinem Hauptwerk Novum Organum (1620) vor den falschen Begriffen, die von Idolen herrühren.

Denn Idole politisch und gesellschaftlich uneingeschränkt positiv zu besetzen, kann gefährlich sein. Bei genauem Hinblick enttarnen sich viele der scheinbaren Vorbilder oftmals als aus dem Nichts in hehre politische Höhen geschwemmte Heilsbringer. Bereits aus diesem Grund wären diese - zumeist Männer und dem Stereotyp des Helden nachgestaltet - dringend zu hinterfragen.

An die Stelle linker und rechter Polit-Stars sollten wieder humanistisch gefestigte Vorbilder treten. Denn massentaugliche Polit-Idole haben vielfach bereits das "Vor" aus "Vorbild" gestrichen und arbeiten nur noch an ihrem Bild; am eigenen Image und dessen glatter Oberfläche, die sie stets auf Hochglanz polieren. Heute wäre sogar der Typus des deutschen Spitzenpolitikers der ersten Hälfte der 1930er Jahre - ohne Kriegswahnsinn und ohne Holocaust - mithilfe von Twitter und Facebook vermutlich wieder mehrheitsfähig.

Götzen des politischen Sprachmarktes

Die USA unter Donald Trump etwa haben ihren lehrbuchartigen Beitrag einer politischen Vorbildverzerrung bereits geleistet. Der Bau- und Immobilientycoon errichtete als 45. US-Präsident ein inhaltsbefreites Blendwerk nach dem anderen und zündete unaufhörlich rhetorische Nebelgranaten, offene Lügen inklusive, um die Macht zu erhalten und den moralischen Abgrund hinter sich zu verdecken.

Die Republikanische Partei weiß, dass die Schmerzgrenze des US-amerikanischen Wahlvolkes unfassbar hoch liegt, zu erdrückend sind die Zwänge des Alltags für die gesellschaftliche Mehrheit. Man kann, ohne ernsthafte tagespolitische Konsequenzen befürchten zu müssen, den Wählerinnen und Wählern nahezu alles vorsetzen: Dilettantismus, Lügen und in Shows verpackte nationale Demutschimären. Wie zum Beweis versuchen Teile der Republikaner immer noch, Trump aus dem Bereich des politischen Zerrbildes zu befreien und zur politischen Führungsfigur zu stilisieren.

Moralische Gebrechlichkeit der Idole?

Doch auch Europa zeigt in vielen seiner Staaten, wie geneigt es ist, Ab- und Zerrbilder solcher Politgestalten bereitwillig willkommen zu heißen, obwohl weithin sichtbar ist, dass deren primäres Ziel bloß darin besteht, die Mehrheit für sich einzunehmen.

In der Taktik der GOP versucht sich zurzeit auch die österreichische ÖVP zugunsten ihres jungen Altkanzlers Sebastian Kurz. Auch sein politischer Weg war einer vom Idol über das Abbild zum Zerrbild, auch ihn traf der politische Fluch des frühen Gelingens.

Er begann als junge Projektionsfigur für die Masse (im Sinne Elias Canettis), fiel wie in einer griechischen Tragödie der Hybris anheim und glitt letztlich aufgrund eines Outings von Chats in die Sphäre der politischen Zerrbilder ab. Seine Partei tut nunmehr alles in ihrer Macht Stehende, um den letzten Schritt vom Zerrbild zum infantilitätspopulistischen Trugbild abzuwenden.

In der Welt und in Europa gilt allenthalben der Grundsatz: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. In Österreich dagegen scheint man politisch nach dem Motto zu agieren: Die Lage ist hoffnungslos, deshalb aber noch lange nicht ernst. Ein folgenschweres Austriacum von beträchtlicher Tragweite. In letzter Konsequenz werden für das Behalten der Macht zu große gesellschaftliche Kollateralschäden akzeptiert.

Klüngel machtbesessener Parteifunktionäre treffen oftmals Vorentscheidungen, die den offiziellen Parteigremien nur noch zum Abnicken vorgelegt werden. Solche zur Clique zusammenschmelzende Parteien sind das Gegenteil von lebendiger Demokratie. Weit weg vom Vorbild sind sie nicht einmal mehr Abbild, sondern bestehen bestenfalls noch aus zur Schau gestellter Authentizität.

Den Weg vom einstigen Idol und Hoffnungsträger zum eigenen Imitator und Abbild beschritt auch der amtierende französische Präsident. Noch in seiner ersten Dankesrede nach der Wahl versprach Emmanuel Macron, als "homo politicus der Herzen" vor der demokratiepolitisch fragwürdigen, wenngleich medial höchst wirksamen Kulisse des Louvre, "je vous servirai avec amour".

Dieser politischen Demutschimäre folgten viele weitere. In einer österreichischen Variante wäre sogar das verbal beteuerte Dienen dem partei- und machtpolitischen Selbstzweck zum Opfer gefallen und das "Je vous servirai" bestenfalls mit "ich werde Euch etwas auftischen" übersetzt.

Angela Merkel dagegen war ein Vorbild ex negativo: zum einen, weil keine andere starke Figur auf der "Gegenseite" aufstand, niemand, der auch nur annähernd das Format eines Willy Brandt oder Helmut Schmidt besaß. Zum anderen, weil sie synchron mit der Masse war, stets ihre persönliche politische Ansicht pragmatisch in den Hintergrund stellte und kaum jemals die Mehrheit vor den Kopf stieß; ein Persönlichkeitsmerkmal, das für das Gewinnen von Wahlen nicht unwesentlich war.

Viele der selbstzentrierten Persönlichkeiten erkennen die Zeichen der Zeit zu spät. Der in vielen Fällen unumkehrbare Weg vom politischen Vorbild über das Abbild hin zum Zerr- und Trugbild führt steil nach unten. Einmal begangen, führt kaum mehr ein Pfad zurück zu den lichten Höhen der fragwürdigen politischen Idolatrie.

Es sind zumeist die gesellschaftlich Vielen, die zur Verehrung von Idolen neigen. Doch für zahlreiche der Bejubelten gilt, was Friedrich Schiller in seiner Ballade "Ring des Polykrates" konstatierte:

Noch keinen sah ich fröhlich enden, auf den mit immer vollen Händen die Götter ihre Gaben streun.

Oder, wie ein profanes Bonmot, aufgrund der zahlreichen familiären Unglücksfälle des mit politischem Gelingen reich gesegneten Kennedy Clans, in den USA lautet:

There's no such thing as a happy Kennedy!

Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Er ist Autor von "Minimale Moral" (2016) und "Uneigentlichkeit. Philosophische Besichtigungen zwischen Metapher, Zeugenschaft und Wahrsprechen" (2020) sowie zuletzt: "Verbalradikalismus. Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens" (2021, 2. Aufl.).

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