Von Ukraine bis Nahost: Geht es wirklich um einen Angriff auf den Westen?
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- Russische Emigranten und iranische Drohnen
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Erneut wird von einer "Achse des Bösen" gesprochen. Aber die Rede von einer gemeinsamen Front Iran, China und Russland basiert auf Mythen. Hier sind die Gründe.
Der Außenpolitik-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Brüssel, Hubert Wetzel, suggerierte jüngst in einem Kommentar mit der Überschrift "Die Front" (Printversion), dass Ukraine, Gaza- und Libanon-Kriege "Teil einer großen, globalen Offensive" sind, ...
die eine russisch-iranisch-chinesische Achse von Diktatoren gegen den demokratischen, liberalen Westen begonnen hat. Nach dieser Darstellung arbeiten Moskau, Teheran und Peking zusammen, um die westlich – sprich: amerikanisch-europäisch – dominierte Weltordnung zu zerstören, die ihren Machtansprüchen im Weg steht.
Keine separaten Kriegsschauplätze
Ukraine, Gaza und Libanon sind demnach "keine separaten Kriegsschauplätze, sondern nur verschiedene Abschnitte einer langen antiwestlichen Front". In diesem Sinne geht es nicht um territoriale Ansprüche und Verhandlungslösungen in den konkreten Konflikten, sondern um einen Angriff auf die Nachkriegsweltordnung und ihre Werte.
Die Kriege in der Nachbarschaft stellten dabei eine existenzielle Bedrohung für Europa dar. Aber im "Lieferketten- und Ladekabel-Brüssel" sei diese Einsicht scheinbar bisher nicht angekommen. Die "Friedensmacht Europa" interessiere sich nicht für Krieg.
Was Wetzel, wenn auch eher zwischen den Zeilen, anmahnt, ist, dass Europa den "Krieg", die "Bedrohung" gegen den Westen, annehmen sollte. Verhandeln und Diplomatie über die konkreten Konflikte lösten das tieferliegende Problem nicht.
Denn das gemeinsame Ziel der "Achse" sei es, den "demokratischen Westen zu zerstören und die Institutionen, die ihn tragen". Von dort ist es nur noch ein Sprung zu mehr "Kriegstüchtigkeit" und Aufrüstung gegen die gegnerische "Front" auf dem globalen Schachbrett.
"Achse des Bösen" 2.0
Das Deutungsmuster ist keineswegs neu oder eine Erfindung der Süddeutschen Zeitung. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush verurteilte schon 2002 die "Achse des Bösen", darunter fasste er damals Iran, Irak und Nordkorea.
Nun haben die Hardliner in Washington und anderen Nato-Ländern im Zuge des Ukraine- und Gaza-Kriegs erneut damit begonnen, von einer "Achse des Bösen" zu sprechen, wobei behauptet wird, dass China, Russland und Iran, manchmal auch Nordkorea, einen gemeinsamen Plan verfolgen, die globale Ordnung zu zerstören. Auch eine Reihe von US-Leitmedien und Kommentatoren haben die Rede von einer chinesisch-russisch-iranischen Allianz gegen den Westen übernommen und verbreitet.
Mit dem Zusammenschweißen regionaler Mächte zu einer gemeinsamen Front wird natürlich die Bedrohung verstärkt. Angesichts dieser globalen Gefährdung des Westens (USA und Europa) durch eine gemeinsam operierende "Achse" werden dann zugleich auch die nötigen Mittel, um ihr zu begegnen, "robuster" und letztlich auf militärische Abschreckung gepolt.
Das Problem mit diesem Deutungsrahmen ist, dass er wenig mit den realen Verhältnissen zu tun hat, um es moderat zu formulieren. Denn die Achse, die vermeintlich mit einer globalen Offensive gegen den Westen die derzeitigen Kriege anfeuert, ist ein Mythos.
Das Problem mit der gemeinsamen Front
Wie schon erwähnt, war es Bush, der 2002 die erste "Achse des Bösen"– Iran, Irak und Nordkorea – ausrief. Doch das Einzige, was die Länder damals vereinte, waren die Feindseligkeiten Washingtons gegenüber diesen Staaten.
Der Iran und der Irak waren seit Langem verfeindet, auch noch zu jener Zeit. Die Länder kooperierten nicht miteinander, und zwei von ihnen standen sich gegnerisch gegenüber.
Die vier Staaten (einschließlich Nordkorea), die heute erneut als Teil einer Achse in einen Topf geworfen werden, stehen zwar durchaus in Verbindung zueinander, aber beim Thema Sicherheit handeln sie weitgehend isoliert und autonom. Keiner von ihnen ist formell mit Russland verbündet, und Russland und China sind nicht verpflichtet, dem Iran zu Hilfe zu kommen.
Alle vier Regierungen werden von stark nationalistisch geprägten Führern geleitet, und sie hegen Groll über vergangene Demütigungen und Konflikte untereinander, die den Aufbau engerer Beziehungen erschweren.
Keine Allianz
Russland hat sich an den Iran und Nordkorea gewandt, um Waffen für den Krieg in der Ukraine zu erhalten. Aber da endeten auch schon die Sicherheitsbeziehungen. Von den vier Ländern haben nur China und Nordkorea einen formellen Verteidigungsvertrag, während die beiden Staaten weiter in einem angespannten Verhältnis zueinander stehen.
Vor allem hat China davon abgesehen, Russland im Krieg gegen die Ukraine tödliche Waffenunterstützung anzubieten. Die "grenzenlose" Partnerschaft, die die beiden Länder kurz vor der russischen Invasion im Februar 2022 ankündigten, zeichnete sich dadurch aus, dass die chinesische Unterstützung für Russland begrenzt war. Es handelt sich kaum um ein globales Bündnis, das im Entstehen begriffen ist.
Wie Rahul Mishra und Yanitha Meena Louis in The Diplomat im Juli 2024 betonten, ist die Beziehung zwischen Russland und China auch nicht ungetrübt. Es handele sich nicht um eine "Allianz", sondern um eine taktische Partnerschaft – eine "Vernunftehe", bei der China der größere Nutznießer sei.
Ein Beispiel für die Grenzen im Verhältnis der beiden Länder sei u.a., dass Moskau historische und vielfältige Partnerschaften mit Indien und Vietnam unterhält, bis hin zu Verteidigungskooperationen. Indiens und Vietnams nationale Sicherheitsbedenken werden wiederum zum Teil von der Angst vor Chinas Dominanz in der Region angetrieben, was die China-Russland-Beziehung abbremst. So schlussfolgern die Autoren:
Die "Achse" China-Russland wird stark übertrieben. Die komplizierte strategische Dynamik des indopazifischen Raums und die sich abzeichnende Dynamik der BRICS+ sorgen dafür, dass jegliche aggressiven Ergebnisse ihrer Beziehungen gedämpft werden.
China, Russland und der Gaza-Krieg
Was Israels Krieg gegen Gaza und den Libanon angeht, haben sich China und Russland bedeckt und sehr zurückgehalten. Die Behauptung, die beiden Länder hätten im Gaza- und Libanon-Krieg eine Front gegen den Westen geöffnet, entbehrt jede Plausibilität.
Russland und China haben nichts mit dem Hamas-Anschlag zu tun, während Israel in Gaza seit einem Jahr einen verheerenden Krieg mit einer humanitären Katastrophe für die Palästinenser führt, den der Internationale Gerichtshof, der UN-Weltgerichtshof, als "plausiblen Völkermord" in einem Beschluss bezeichnet. Trotzdem haben Moskau und Beijing nicht in ihn eingegriffen – anders als die USA mit ihrer massiven militärischen Unterstützung Israels (wie auch Deutschland) und Vetos auf UN-Ebene –, sondern wollen, dass er beendet wird.
Das hat seinen Grund in den Interessenlagen der Länder. So strebt Beijing (Peking) seit Langem eine Balance zwischen Israel und arabischen Akteuren in der Region an. Man pflegt enge Beziehungen zu Tel Aviv, aber hält auch Verbindung zu palästinensischen und libanesischen Gruppen, einschließlich der Hamas und Hisbollah.
Für China ist es zentral, im Nahen Osten Stabilität herzustellen, erklärt Giorgio Cafiero, Präsident der Denkfabrik State Analytics und Professor an der Georgetown University in Washington D.C., auf Responsible Statecraft. So spiele die Region eine sehr wichtige Rolle für den Erfolg der "Neue-Seidenstraße"-Initiative (BRI), die vor ernsthaften Problemen stehen würde, wenn die Region weiterhin von Kriegen heimgesucht wird.
Es ist die Ökonomie, Dummkopf!
Stabilisierung war auch das Ziel des Golf-Deals. Vor gut eineinhalb Jahren gelang es der chinesischen Diplomatie nach Verhandlungen, Iran und Saudi-Arabien nicht nur nach sieben Jahren Eiszeit an einen Tisch zu bringen, sondern sogar ein Abkommen abzuschließen.
Außerdem hat China über die Jahrzehnte enge wirtschaftliche Beziehungen mit Israel geknüpft. Das gilt für Bereiche wie Technologie, Infrastruktur oder Tourismus. Beim Waffenhandel gingen die Beziehungen so weit, dass die USA Tel Aviv schließlich aufforderten, diese "abzukühlen". Mit der palästinensischen Seite gibt es keinen nennenswerten wirtschaftlichen Austausch.
Der chinesisch-israelische Handel erreichte 2022 einen Rekordwert von 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr, einschließlich 14,4 Milliarden Dollar an Exporten nach Israel. China ist damit Israels zweitgrößter Handelspartner nach den USA.
Im letzten Jahr gingen die Werte zwar etwas zurück. Aber das lag vor allem daran, dass Israel weniger importierte. Und die Ankündigung von Dezember 2023, dass chinesische Cosco-Schiffe israelische Häfen meiden würden, wurde im Februar dieses Jahres wieder zurückgenommen.