"Von den Ampel-Gesprächen erwarten wir nichts als schmutzige Deals"

Wachstum als Selbstzweck? Klingt nach Krebs. Auch darum geht es an den geplanten Aktionstagen. Archivbild: Klimastreik in München, 24. September / Telepolis/claw

Mieten, Klima, Menschenrechte: Das Bündnis "Gerechtigkeit jetzt" will Ende Oktober mit Großdemos und zivilem Ungehorsam der kommenden Bundesregierung Dampf machen

Eine "Jamaika-Koalition" mit historisch unbeliebten CDU-Chef und "Kohle-König" Armin Laschet als Kanzler wird es wohl nicht - trotzdem erwartet die außerparlamentarische Opposition, die sich für bezahlbare Mieten, effektiven Klimaschutz und Solidarität mit Geflüchteten einsetzt, von der kommenden Bundesregierung nichts Gutes. Jedenfalls nichts, was sie ohne Druck von der Straße und aus der Zivilgesellschaft täte.

SPD und Grüne sind mit sozialen und ökologischen Versprechungen in den Wahlkampf gezogen, die zwar von linken Gruppen, der Partei Die Linke und der Umweltbewegung als unzureichend kritisiert wurden, die der FDP aber viel zu weit gehen und womöglich auch von einer "rot-grünen" Regierung unter dem Druck von Lobbyisten gebrochen worden wären. War es doch eine "rot-grüne" Bundesregierung, die mit den "Arbeitsmarkt- und Sozialreformen" der Agenda 2010 letztendlich ein Verarmungsprogramm geschaffen hatte und in Sachen Klimaschutz kaum vom Fleck gekommen war.

Da es aber rechnerisch bei der Bundestagswahl am 26. September nicht für "Rot-Grün" gereicht hat, kann jetzt auch noch die marktradikale FDP im Koalitionspoker um ein "rot-grün-gelbes" Bündnis den dicken Max markieren, obwohl sie darin der kleinere Juniorpartner wäre und insgesamt nur viertstärkste Kraft wurde.

"Keine der verhandelnden Parteien bietet Lösungen für die Gerechtigkeitskrisen unserer Zeit", sagt Ronja Weil vom Bündnis "Gerechtigkeit jetzt!", zu dem sich Initiativen der Umwelt- und Klimabewegung mit sozialen Bewegungen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen und antirassistischen Initiativen und der Rettungsorganisation Sea Watch zusammengeschlossen haben. "Sie lassen uns keine Wahl: Wir müssen selbst für Veränderung und den notwendigen sozial-ökologischen Umbau sorgen", so Weil, die auch als eine der Sprecherinnen von "Ende Gelände" bekannt ist. Ab dem 20. Oktober will das Bündnis die Koalitionsverhandlungen mit Großdemos und Blockadeaktionen in der Hauptstadt begleiten.

Auch Fridays for Future solidarisiert sich

Auch die Schulstreikbewegung Fridays for Future, deren nächster großer Klimastreik am 22. Oktober in die Aktionstage des Bündnisses fällt, solidarisiert sich mit den geplanten Protesten. Nachdem am letzten Klimastreik bundesweit mehr als 600.000 Menschen teilgenommen haben, könnte es während dieser Aktionstage durchaus zu Massenprotesten kommen.

"Von den Ampel-Gesprächen erwarten wir nichts als schmutzige Deals. Für den Anschein von Klimaschutz werden Menschenrechte im Mittelmeer weiter ausgesetzt und eine gerechte Umverteilung blockiert. Eine Koalition, die auf entfesseltes Wachstum setzt, ist Teil des Problems und nicht der Lösung", ist Ronja Weil überzeugt. "Wir müssen die Probleme an der Wurzel packen. Dafür brauchen wir ein Wirtschaftssystem, dem Menschenleben und unsere Lebensgrundlage wichtiger sind als Profite Einzelner. Ein System, das auf Kooperation anstelle von Konkurrenz baut."

Teil von "Gerechtigkeit jetzt" ist auch die deutsche Sektion des Netzwerks Extinction Rebellion (XR), das einem repräsentativ ausgelosten "Klimabürger:innenrat" mehr Lösungskompetenz zutrauen würde als der politischen Klasse. Das Bündnis insgesamt kritisiert auch deren Missachtung demokratischer Prozesse: Alle Parteien, die demnächst an der Bundesregierung beteiligt sein könnten, hätten sich gegen den Berliner Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen ausgesprochen.

Linke Forderungen sind mehrheitsfähig, linke Parteien zurzeit nicht

Keine Partei hatte aber am "Superwahlsonntag" in der Hauptstadt so viel Zustimmung erhalten wie die Forderung, Immobilienkonzerne mit einem Bestand von mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften. Die absolute Mehrheit sprach sich dafür aus, obwohl die Partei Die Linke als einzige Kraft, die das Anliegen unterstützt hatte, bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl nur 14 Prozent der Stimmen erhielt und auf Bundesebene mit 4,9 Prozent fast aus dem Parlament geflogen wäre, hätte sie nicht drei Direktmandate vorweisen können. Auch in Berlin könnte es demnächst eine "Ampel-Koalition" unter SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey geben - gegen die Umsetzung des Volksentscheids dürften sich die Beteiligten erst einmal sperren; die FDP hielt schon das Volksbegehren für verfassungswidrig.

Unterdessen hat die Bild-Zeitung während des Wahlkampfs vor allem im Zusammenhang mit Spritpreisen und Energiekosten materielle Existenzängste geschürt und Klimaschutz als zu teuer gelabelt, beim Thema Mieten aber wenig Empathie für einkommensschwache Menschen gezeigt und die Perspektive von Besitzern zahlreicher Immobilien eingenommen: Das Enteignungs-Volksbegehren wurde nach Kräften schlechtgemacht.

Ähnlich wie Union und FDP entdeckt auch die Springer-Presse ihr Herz für die "kleinen Leute" immer dann, wenn zwischen sozialen und ökologischen Forderungen ein Widerspruch konstruiert werden kann. Ein solcher besteht aber nur, wenn soziale und ökologische Bewegungen schwach sind und die Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht ernsthaft infrage stellen können. So gesehen ist der Schulterschluss von sozialen und ökologischen Bewegungen wohl für beide Seiten dringend notwendig.

"Die Gerechtigkeitskrisen unserer Zeit sind miteinander verbunden", sagt Nora Schareika vom Presseteam von Extinction Rebellion. "Folgerichtig tun sich die sozialen Bewegungen von Klimagruppen bis hin zur Seenothilfe zu den Aktionstagen Ende dieses Monats zusammen."

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