Von der Internetplage des geistigen Diebstahls

Plagiate beschäftigen nicht nur zunehmend auch die Verlage, sondern mittlerweile auch die Blogosphäre

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Kürzlich kam es, nachdem gerade Dan Brown mit seinem Buch „Sakrileg“ (The Da Vinci Code) knapp dem Plagiatsvorwurf entgangen war, noch einmal zu einem Skandal, der in Wikipedia auch gleich ausführlich dokumentiert wurde. Die junge Autorin Kaavya Viswanathan von der Harvard Universität hatte in ihrem zuvor von manchen hochgelobtem Buch „How Opal Mehta Got Kissed, Got Wild, and Got a Life“ ganze Sätze aus zwei anderen Büchern der Autorin Megan McCafferty eingearbeitet. Für ihr Erstlingsbuch hatte die junge Studentin 500.000 Dollar Honorar erhalten. Ähnlich wie viele andere Honorare scheint das grotesk überzogen zu sein und ist vermutlich mit ein Grund dafür, warum das Thema Urheberrecht so wichtig wird. Entdeckt wurde das Plagiat allerdings erst von Autoren der Studentenzeitung Harvard Crimson.

Besonders maßlos scheint dieser Diebstahl des geistigen Eigentums aber nicht gewesen zu sein. Gleichwohl zog der Verlag Little, Brown schnell das Buch aus dem Verkehr, nachdem zunächst Random House, der Verleger von McCafferty, sich nicht zufrieden mit der Ankündigung zeigte, bei den nächsten Auflagen alle „unangemessenen Ähnlichkeiten“ wegzulassen. Über das Internet lassen sich eben nicht nur leicht Texte finden und Teile mit Cut&Paste in eigene Texte einbauen, es bietet gleichzeitig auch die Möglichkeit, weitaus besser und schneller womöglich Kopiertes oder Geklautes zu finden. Müssen jetzt also nicht nur Lehrer und Professoren, sondern auch Lektoren bei Verlagen erst einmal die gesamten Manuskripte abklopfen und möglicherweise Satz für Satz in Suchmaschinen eingeben, um identische oder sehr ähnliche Formulierungen und Plots zu finden, aber gleichzeitig auch ständig nach Plagiaten auf Satzebene oder in Plots suchen?

Das weist schon daraufhin, in welche kleinlichen Richtungen sich die Auseinandersetzungen über das geistige Eigentum und damit über die angeblich geschützte Originalität in der Zukunft erstrecken werden. Allerdings dürften über die Affäre die Chancen gewachsen sein, dass das neue Buch von McCafferty, das bald auf den Markt kommen wird, auf eine höhere Aufmerksamkeit treffen und sich damit besser verkaufen lassen könnte. Man könnte sich also durchaus immer fragen, wer bei solchen Plagiatsvorwürfen wirklich profitiert. Nicht immer dürfte es der Plagiierende sein, wie es zumindest bei diesem Fall gewesen ist. Nachdem das Plagiat einmal bekannt war, haben sich Leser und Blogger über das Buch gestürzt und tatsächlich noch weitere Passagen gefunden, die vermutlich in Anlehnung an andere Romane geschrieben wurden. Das ging soweit, dass die New York Times etwa über die Entdeckung eines Lesers berichtet, der bei der Zeitung angerufen hat und weitere „striking similarities“ entdeckt hatte, beispielsweise zwischen den Satzteilen: „.. in a full-scale argument about animal rights“ und „... a full fledged debate over animal rights“. Beide Mal ging es um ein Gespräch, das jeweils die Hauptfigur mit zwei Freunden bzw. zwei Mädchen führte.

Die des Plagiats bezichtigte Autorin war offenbar nicht in der Lage, den Vorwürfen etwas entgegen zu halten oder wirklich offensiv aufzutreten. Aber auch ihre Begründung, wie manche Formulierungen in ihr Buch gekommen sind, muten interessant an. Sie behauptet nämlich, die Reproduktionen seien „unbeabsichtigt“ und „unbewusst“ erfolgt. Sie habe nämlich ein „fotografisches Gedächtnis“ und die Romane von McCafferty mehrmals gelesen. Kein Wunder also, dass sich der Autorin mit einem fotografischen Gedächtnis dann viele Sätze unwillentlich aufgedrängt haben und ihr beim Schreiben als ihre Einfälle erschienen sind. Abnehmen wird man ihr diese Erklärung zwar kaum, ihr Verlag will die Sache aber auch nicht aufbauschen und Schadenersatz fordern. Da es sich nicht um ganze Passagen handelt, die wortwörtlich abgeschrieben wurden, würde es wohl auch schwer fallen, den Vertragsbruch zu beweisen, also dass sie bewusst und betrügerisch die Formulierungen übernommen hat.

Originalität und Aneignung

Immer wieder kommt es vor, dass selbst gut gebildete Geisteswissenschaftler und Autoren erstaunlich naiv davon ausgehen, dass alles, was auf dem Internet publiziert wird, nicht nur zitiert, sondern auch kopiert werden darf. Die Bilder oder die Artikel kann man doch einfach nehmen, oder? Vermutlich geht diese Ansicht, der ja auch gemeinhin viele Tauschbörsenbenutzer im Hinblick auf Videos oder Musik folgen, auch auf die Vorstellung zurück, dass man sich nehmen kann, was nicht gesichert ist und problemlos reproduziert werden kann. Hilfreich ist sicherlich zudem die Überzeugung, dass man wohl auch nicht beim Sich-Aneignen erwischt wird und es sich sowieso höchstens um eine Bagatelle handelt. Andere gehen davon aus, dass sie, wenn sie die Quelle benennen, beispielsweise ganze Artikel auch ohne Nachfrage reproduzieren können.

So werden denn beispielsweise munter ganze, klar erkennbar urheberrechtlich geschützte Artikel in Webseiten oder auch in Foren kopiert, denn obwohl im Web das Setzen von Links möglich ist und man sich nicht bestimmte Inhalte aneignen muss, überwiegt offensichtlich die Geste des Inbesitznehmens, gefolgt von der Geste des Schenkens, von der man auch als Beschenkter ausgeht. Man will in einer Geste der „Landnahme“ den fremden Inhalt auf der eigenen Seite und damit als eigenen Besitz haben, vermutlich aus demselben Grund wie die Medien, in denen etwa die Artikel veröffentlicht wurden, weil die Leser ja abspringen und nicht mehr zurückkommen könnten und die Attraktivität durch ein größeres Angebot verstärkt wird und vielleicht.

Gleich ob es dabei nur um Aufmerksamkeit, Quote oder auch Geld bzw. die Aussicht darauf geht, werden aber mittlerweile unterhalb oder außerhalb des Rechts Streitigkeiten um den Besitz und die Verwertungsrechte auch in der Blogger-Szene diskutiert, die ansonsten oft recht liberal mit dem Aneignen anderer Inhalte umgeht, zumindest aber gerne andere Inhalte benutzt, um etwas Eigenes zustande zu bringen. Man beschwert sich darüber, dass einfach Inhalte von anderen Bloggern übernommen werden. So klagt ein Blogger, der meint, man solle nichts ins Internet stellen, was einem wertvoll ist:

Nichts ist im Internet heilig, nicht die Worte, die man schreibt und in seinem Blog veröffentlicht, und auch nicht die Bilder, die man macht und auf Flickr postet.

Manche aber sprechen wie Jonathan Bailey, der sich gleich mit einem eigenen Blog zum Thema in Szene setzt, von einem neuen Stil des Plagiats und von einer „neuen Generation von Content-Benutzern“, die in einer angeblich „grauen Zone“ zwischen „fair use“ und Diebstahl arbeiten: „Ihre Blogs sind gekennzeichnet von großen Mengen an Zitaten in Textblöcken und heftiger Wiederverwendung von Inhalten, aber auch von richtiger Zuschreibung und zumindest ein wenig eigenen Inhalten.“ Mehr als die Hälfte ihrer Inhalte käme von anderen Quellen. Die Menge an Übernahmen habe dazu geführt, dass andere Blogger den Verdacht hegen, das sei nur eine andere Art des Diebstahls unter dem Deckmantel von korrekten Quellenhinweisen.

Die Idee dahinter sei, dass man größere Mengen an Content produzieren könne, wenn man nur einen kleinen Teil davon selbst schreibt. Die Benutzer würden einfach diese grauen Blogs besuchen, da sie so viele Informationen anbieten können. Und der Benutzer wird aufgrund des liberalen Zitierens keinen Grund mehr dazu haben, die Originalquelle zu besuchen. Schließlich haben sie bereits fast die gesamte wichtige Information.

Bloggen heiße zwar, so Bailey, dass man Inhalte übernimmt und wieder verwendet, aber exzessives Übernehmen würde die Autoren und ihre primären Inhalte gefährden. Bailey gibt allerdings zu bedenken, dass eine Unterscheidung zwischen den guten Bloggern, die auch noch eigene Inhalte schaffen, und den bösen Bloggern, die hauptsächlich von Leichenfledderei leben, schwierig sei. Man könne kaum sagen, ab wann eine Übernahme zuviel ist, zudem hätten die Menschen unterschiedliche Vorstellungen von geistigem Diebstahl. Autoren, die unter freien Lizenzen wie Creative Commons Lizenzen schreiben, haben beispielsweise ausdrücklich nichts dagegen, dass ganze Werke kopiert und wieder verwendet werden, wenn die Quelle genannt wird. Andere schreien schon nach ein paar Zeilen auf, wenn sie nur die Vermutung hegen, es könnte etwas geklaut oder auch nur angeregt worden sein.

Bailey formuliert so eine neue „Ethik des Bloggens“, auch wenn es durchaus schon früher Ansätze dazu gegeben hat (Bloggers Code of Ethics oder Weblog Ethics, und warnt im gleichen Duktus wie in der Copyright-Debatte von den Rechteinhabern vor den Folgen des Missbrauchs:

Exzellente Autoren werden sonst kaum mehr motiviert sein, ihre Werke online zu stellen., und während die Quelle allmählich austrocknet, wird es immer weniger Werke geben, die man wieder verwenden oder auch nur einfach lesen kann.

Allerdings ist ihm klar, dass das Thema Copyright heikel und zu umstrittenen Gesetze geführt hat. Es gehe nicht darum, so schreibt er in seinen Richtlinien, „im Recht“ zu sein, sondern seine Ansprüche ethisch zu vertreten. Dabei sollte auf keinen Fall auf die bestehenden Gesetze zurückgegriffen werden. Die Probleme sollten möglichst privat gelöst werden. Wichtig sei auch, dass die Blogger oder die Betreiber von Webseiten ihre Urheberrechtsvorgaben, beispielsweise durch eine Creative Commons-Lizenz, deutlich machen. Man sollte sich aber auch gute Beziehungen zu Administratoren aufbauen, um schneller gegen Plagiate vorgehen zu können. Allerdings sollte man sich auch mit dem Copyright beschäftigen und sich deutlich machen, dass eine Übernahme (sharing und reuse) im vernünftigen Rahmen zum Fundament des Internet gehört.

Copy & Paste als Kulturtechnik

Auch andere glauben, man müsste für das Internetzeitalter den geistigen Diebstahl neu definieren. Dabei geht es mitunter ganz streng zu, schließlich nehme schon, wie Dominic Jones in seinem Blog schreibt, jedes Zitat aus einem Online-Werk für den Leser den Ansporn weg, zum Original zu gehen. Dadurch behindere man den primären Autor, neue Leser anzuziehen und beispielsweise Einnahmen über Werbung zu erzielen. Selbst wenn man einen Link auf die Quelle lege, würde man dieser mögliche Leser entziehen und missbrauche sie. Was man bei den Vertretern der neuen Blogger-Ethik mit der demonstrierten Ausrichtung auf Originalität allerdings vermisst, ist gerade der seit Beginn des Web vorhandene und immer wieder bestätigte sowie in Google und anderen Suchmaschinen inkorporierte Sachverhalt, dass Links nicht nur auf Inhalte, Websites oder Blogs aufmerksam machen, sondern natürlich auch Aufmerksamkeit und Prominenz schaffen können. Man stiehlt damit nicht nur einfach Aufmerksamkeit, Quote und Einkommen, sondern kann zu deren Mehrung gerade auch beitragen – unabhängig davon, wie lange die Zitate sind.

Plagiieren könnte man aber – und muss man vielleicht auch? - auch als Voraussetzung jeder Kultur begreifen. Sie wird durch Lernen und Aufnehmen oder Aneignen übernommen und weiter gegeben, während durch Kombinieren oder Samplen, Variieren und andere Methoden der Veränderung Neues entstehen kann, auch wenn es sich erst nur um Nuancen handelt. Die heute in der Kritik stehende Übernahme von Inhalten durch Copy & Paste scheint einer Aneignung oder Verdauung zuwiderzulaufen, weil man sich ja mit dem Übernommenen nicht weiter beschäftigen muss. Man lernt nicht mehr, so heißt es, man setzt auf das ausgelagerte Gedächtnis im Internet und bedient sich dessen, um Arbeit zu reduzieren.

Natürlich wären die Menschen dumm, wenn sie bestimmte Anforderungen mit einem größeren Aufwand als notwendig leisten könnten. Technik ist ja der Inbegriff der Innovationen, dem Menschen das Bewerkstelligen von Aufgaben zu erleichtern oder mehr und schnell etwas bearbeiten zu können. Ganz dumm darf auch einer Copy&Paster nicht sein, er muss schließlich wissen, was er kopieren muss und wo er dies findet, wenn er beispielsweise eine Hausarbeit, ein Referat oder sonst einen Text schreiben muss. So wie man sich Aufzeichnungen, Bücher, Rechengeräten oder Formelsammlungen bedient, wird eben heute das Internet benutzt. Eigentlich ist nicht Copy & Paste oder raffinierte und modifizierte Formen des Aneignens von Übel, sondern beispielsweise der Unterricht, der es ermöglicht, mit dem, was man ohne weiteres kopieren kann, auch reüssieren zu können, sofern man nicht als Schwindler oder Plagiator entdeckt wird. Indem man das ausgelagerte, kollektive und globale Gedächtnis des Internet benutzt und sich aneignet, könnte man auch kognitive Kapazitäten freisetzen, die sonst durch Gedächtnisleistungen und die Notwendigkeit, das Gleiche anders sagen zu müssen, eingeschränkt werden.