Von der Leyen: EU-Sanktionen gegen russische Streitkräfte
Neuntes Sanktionspaket: "Russland soll bezahlen". Im Visier stehen Militärs, Politiker, Exporte und Medien. Ungarn ist nicht überzeugt.
Offiziell ist das neunte EU-Sanktionspaket gegen Russland noch nicht. Ungarn hat sich dagegen ausgesprochen. Aber EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat es gestern mit scharfen Verurteilungen angekündigt, assistiert vom EU-Außenvertreter, Josep Borrell.
"Wir stehen zur Ukraine und lassen Russland für seine Grausamkeiten bezahlen", steht auch diesmal als Leitmotiv über der Präsentation neuer Strafmaßnahmen durch von der Leyen. Sie knüpft damit an ihre Rede zur Schaffung eines Sondertribunals für russische Kriegsverbrechen und ihrem Vorschlag der Verwendung von eingefrorenem russischen Vermögen als Schadensersatz für die Ukraine vor gut einer Woche an (siehe: Von der Leyen: "Russland muss zahlen").
Ihr Vorschlag zum neuen Sanktionspaket (vgl. Überblick über die bereits laufenden in deutscher Sprache) zielt auf die russische Armee, auf Politiker, auf drei weitere russische Banken, auf Exporte nach Russland, auf den Zugang zu Drohnen, auf russische Medien sowie weitere wirtschaftliche Maßnahmen gegen den russischen Energie- und Bergbausektor.
Am Ausführlichsten erklärt die EU-Kommissionschefin die erste Maßnahme:
Erstens schlagen wir vor, fast 200 weitere Personen und Einrichtungen auf unsere Sanktionsliste zu setzen. Dazu gehören die russischen Streitkräfte sowie einzelne Offiziere und Unternehmen der Rüstungsindustrie, Mitglieder der Staatsduma und des Föderationsrates, Minister, Gouverneure und politische Parteien, um nur einige zu nennen. Diese Liste umfasst Schlüsselfiguren bei den brutalen und gezielten Raketenangriffen Russlands auf Zivilisten, bei der Entführung ukrainischer Kinder nach Russland und beim Diebstahl ukrainischer Agrarprodukte.
Ursula von der Leyen, Presseerklärung. Übersetzt von Deep L.
Bei der zweiten Strafmaßnahme geht es um Sanktionen gegen "drei weitere" Banken. Namen werden nicht genannt. Erwähnt wird lediglich, in einer offenbar eigenen, speziellen Maßnahme: ein vollständiges Transaktionsverbot für die Russische Bank für regionale Entwicklung. Damit sollen "Putins Geldautomaten" weiter gelähmt werden.
Bemerkenswert ist der dritte Punkt der Maßnahmen, weil es hier um den Export von Dual-Use-Produkten geht, d.h. dass es sich hier um Ausfuhrverbote von Produkten handelt, die auch die zivile Industrie betreffen. Aufgezählt werden von der EU-Kommissionspräsidentin: "wichtige Chemikalien, Nervenkampfstoffe, Elektronik und IT-Komponenten".
Die Ankündigung von Maßnahmen, die den "Zugang Russlands zu allen Arten von Drohnen und unbemannten Flugkörpern beschränken" sollen, wird von einem kritischen Beobachter als Zugeständnis für eine bisherige deutsche Exportpolitik gesehen, die auf eine fragwürdige Verwicklung verweist. So heißt es in der Rede von der Leyens wörtlich:
"Wir schlagen vor, die direkte Ausfuhr von Drohnenmotoren nach Russland und die Ausfuhr in Drittländer wie den Iran zu verbieten, die Drohnen an Russland liefern könnten."
Dies deute im Rückschluss darauf hin, dass "wichtige Bestandteile der iranischen Drohnen aus Deutschland und anderen EU-Staaten kommen", kommentiert der wache Beobachter des EU-Geschehens in Brüssel, Eric Bonse. Inwieweit seine Andeutung zutrifft, ist erst noch zu klären. Bekannt ist allerdings, dass deutsche Zulieferer beim Bau türkischer Drohnen eine Rolle spielen.
Die gewünschte Wirkung?
Ob Bonses Interpretation zutrifft, wonach von der Leyen "indirekt" eingestehe, "dass die vorausgegangenen acht Sanktionspakete nicht die gewünschte Wirkung gezeigt haben", ist, wie eine nicht zu überblickende Vielfalt von unterschiedlich gewichteten Berichten über die Auswirkungen der EU-Sanktionen nahelegt, vom Blickwinkel und von der Art des Wunsches abhängig.
Bislang hat die russische Führung noch keine Anzeichen dafür gegeben, dass sie aufgrund der EU-Sanktionen etwas an ihren militärischen Aktionen und Plänen in der Ukraine ändern will.
Dass Russland die Sanktionen wirtschaftlich ohne Einbußen, "einfach so" spurlos wegsteckt, wie es manche von Appellen und Affekten begleiteten Einschätzungen verstehen lassen, dürfte eine politisch motivierte Annahme sein, die nicht unbedingt von realistischer Tiefenschärfe geprägt ist.
Bonses Einschätzung folgt seinem Satz, der vom Vorschlag von der EU berichtet, vier weitere Medien der "russischen Propagandamaschine" zu sperren. Von der Leyen spricht hier wörtlich davon, dass die EU auf die "russische Propagandamaschine" zielt "indem wir vier weitere Kanäle und alle anderen Verbreitungsplattformen vom Netz nehmen".
Das ist vollkommen vage, sie nennt keinen einzigen konkreten Hinweis, welcher Kanal oder Plattform hier anvisiert werden. Beobachter erwarten, dass konkrete Namen erst dann genannt werden, wenn das neunte Sanktionspaket abgesegnet ist.
Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet heute, dass es sich angeblich um vier TV-Sender handele. Im Zentrum des Berichts steht die Ablehnung des neunten Sanktionspaketes durch Ungarn.
Das soll bei einem Treffen von EU-Botschaftern am gestrigen Mittwoch deutlich geworden sein, so die Tass, gestützt auf Information der britischen Financial Times.