Von der Schwierigkeit, den verlorenen Faden wieder zu finden

Auch kurze Unterbrechungen stören nicht nur, sondern verlangsamen den Arbeitsfluss nicht unerheblich

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In den Vor-Computer-und-Internetzeiten konnte man, wenn man wollte, noch relativ ungestört und konzentriert arbeiten. Einmal am Tag kam die Post, das Telefon klingelte nicht ununterbrochen und ließ sich mit dem Anrufbeantworter verbinden, das Fax konnte man, so man eines hatte, im Hintergrund lassen. Seit dem Einzug von Internet und Handy haben sich nicht nur die Kommunikationsmöglichkeiten vervielfältigt und beschleunigt, vor allem ist auch die Anforderung gewachsen, jeder Zeit einen Anruf entgegen zu nehmen oder eine Botschaft möglichst umgehend zu beantworten. Und da nun manchmal im Sekundentakt die Botschaften mitsamt zahllosen Spams einströmen, wird jede Tätigkeit, solange man online ist, fortwährend kurzzeitig unterbrochen.

Dass auch kurze Unterbrechungen nicht nur stören, sondern den Arbeitsfluss auch ziemlich verlangsamen können, haben nun Wissenschaftler der Cardiff University in einer Studie gezeigt, der 20 Experimente mit insgesamt 600 Versuchspersonen zugrunde liegen. Eine Hypothese der Wissenschaftler ist, dass die Zeit, die zwischen dem ersten Hinweis auf eine Unterbrechung (Klingeln des Telefon oder Empfangsignal einer Mail) und der eigentlichen Unterbrechung (Telefonieren oder Lesen) eine Rolle dabei spielt, wie schnell man danach seine Arbeit wieder fortsetzen kann, man sich also daran erinnert, wo man stehen geblieben ist und was man machen wollte.

In einem Experiment wurde bestätigt, dass die Menschen auch bei einfachen Aufgaben, beispielsweise einer einfachen Version des Spiels "Turm von Hanoi", Schwierigkeiten mit der Fortsetzung nach einer kurzen Unterbrechung von 2 oder 4 Sekunden haben. Wenn diese ohne Ankündigung geschieht, dauert es noch länger, die Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Dabei scheint es zur Vorbereitung auf die Unterbrechung günstiger zu sein, wenn es sich um ein Tonsignal handelt und nicht um ein nur visuelles Pop-up-Zeichen, das auf dem Bildschirm erscheint. Daran allerdings können sich die Menschen nach einer gewissen Zeit gewöhnen. Der Grund scheint, wie die Wissenschaftler mit einem Eye-Tracker herausfanden, ganz einfach zu sein. Bei einem auditiven Signal schauten die Versuchspersonen weiterhin auf die Aufgabe auf dem Bildschirm, was den Sinn haben könnte, sich auf die Unterbrechung vorbereiten und sich den Arbeitsstand einprägen zu können, während sie bei einem visuellen Signal, das in einer Ecke aufleuchtete, erst einmal den Blick abwenden mussten und damit schon aus der Aufgabe herausfielen. Allerdings konnten sie bei wiederholten Versuchen dann das Signal peripher wahrnehmen und sich weiterhin auf die Aufgabe konzentrieren.

Ähnliches ließ sich in anderen Experimenten beobachten. Zwar verzögerte sich bei den Versuchen die Bewältigung der Aufgabe nur um einige Sekunden gegenüber einem unterbrechungslosen Fortfahren. Aber die Wissenschaftler sagen, dass es sich im Versuch nur um sehr einfache Aufgaben handelte, während in der Wirklichkeit meist mehr Informationen wieder erinnert oder präsent gemacht werden müssen, bevor man eine Tätigkeit fortsetzen kann. Man muss sich gewahr werden, wo man stehen geblieben ist und welche Schritte als nächstes geplant waren. Um sich das vor der Unterbrechung besser einprägen zu können, scheint ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen dem Signal und der Unterbrechung günstig zu sein, sonst verliert man schneller den Faden. Den findet man nach Unterbrechungen auch dann schneller, wenn es in der Arbeitsumgebung, also beispielsweise auf dem Bildschirm, mehr Hinweise auf den Stand der Arbeit gibt.

Allerdings geht es in Wirklichkeit nicht nur um einzelne Unterbrechungen, sondern an Online-Arbeitsplätzen um einen Fluss an potenziellen Unterbrechungen, die jeden Arbeitsablauf zerreißen und ein zerstreutes Bewusstsein fördern. Das könnte, sofern die Arbeit nicht in der Kommunikation selbst besteht, zum Absinken der Produktivität führen und den Arbeitsprozess selbst verändern. Die Wissenschaftler raten dazu, beispielsweise Hinweise auf eintreffende Emails oder andere Botschaften möglichst klein zu halten und schnell wieder verschwinden zu lassen, so dass der Benutzer zur Kenntnis nehmen kann, es ist etwas angekommen, aber seine Aufmerksamkeit nicht von seiner Arbeit ablenken muss. Noch besser wäre aber, so die Empfehlung, wenn man etwas macht, das Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert, die Hinweise möglichst auszuschalten.

Die Frage dürfte aber eher sein, wie lange man das durchhält oder ob Regeln von den Nutzern – oder gar den Arbeitgebern? - entwickelt werden, um die Informations- und Kommunikationsflut zu kontrollieren, beispielsweise indem nur in bestimmten Abständen Emails oder andere Botschaften gelesen und beantwortet werden. Aber neben den Junkies, die es genießen, ständig unterbrochen zu werden, um auf den Informations- und Kommunikationsströmen zu surfen und nichts zu versäumen, die also in der Freizeit einüben, was im Job verlangt wird, könnten es vielleicht nur die sowieso Privilegierten sein, die es sich leisten können, längere Zeiten auszusteigen, sich unerreichbar zu machen und ungestört seiner Arbeit nachzugehen.