WHO-Pandemiepolitik: Droht eine Ära der Überwachung und Zentralgewalt?
Seite 2: Sanktionsmechanismen: "Das ist genau der Punkt, wo man sehr vorsichtig sein sollte"
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Woher gewinnen Sie den Eindruck?
Andrej Hunko: Ich habe im September 2022 in Izmir an einer Ausschuss-Sitzung des Europarats zum Pandemievertrag teilgenommen, wo die geladenen Experten auf meine Frage gesagt haben: "Wir wollen diese Sanktionsmechanismen."
Das ist genau der Punkt, wo man sehr vorsichtig sein sollte. Denn in der Vergangenheit war es auch immer möglich, auszuscheren. Wenn ich an die Schweinegrippe zurückdenke, war es Polen, das nicht mitgemacht hat. Die haben damals sogar Werbung gemacht, wie "gesund" ihr Land für Touristen ist.
Und während Corona war es bekanntlich Schweden.
Andrej Hunko: Exakt. Und das war ja unglaublich, wie Schweden hier dargestellt wurde. Das war ja praktisch ein "Nazi-Staat", wenn man den Argumenten hierzulande folgen wollte. Tatsächlich hatte Schweden in der Anfangs-Corona-Zeit eine hohe Letalität in den hochzentralisierten Altersheimen.
Dort hat sich Sars-Cov-2 offenbar schnell verbreitet und traf auf viele hochvulnerable Bewohner. Es hat aber auch einen weiteren Grund: Die letzte Grippewelle 2017/18 hat in Deutschland offiziell geschätzt ca. 25.000 Opfer gefordert. Und diese Grippewelle ist aber an Schweden größtenteils vorübergegangen.
Schweden hatte 2020 insgesamt einen höheren Anteil hochvulnerabler alter Menschen. Das erklärt die hohen Todeszahlen in Schweden 2020. Hier wurde es aber so dargestellt, dass die Todeszahlen deshalb so hoch waren, weil Schweden weitgehend auf autoritäre Maßnahmen verzichtet hatte.
Die Gefahr: Politik mittels Angst
Die Ausrufung eines Gesundheitsnotstands muss aber vielleicht nicht zwingend zum Nachteil des Landes geschehen.
Peru hat binnen rund eines halben Jahres zweimal einen nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Einmal wegen des Guillain-Barré-Syndroms, aus ungeklärter Ursache, und vor kurzem noch einmal wegen des Dengue-Fiebers.
Im Pandemievertrag wird in Artikel 20 auch ein "Finanz-Mechanismus" angesprochen, der besonders Entwicklungsländern wie Peru zur Verfügung stehen soll. Besteht da ein Zusammenhang?
Andrej Hunko: Dazu will ich eine Sache vorausschicken: in Peru regiert eine Putsch-Regierung. Es gab dort ja einen gewählten Präsidenten (Pedro Castillo, P.F.), der seines Amtes enthoben wurde, und dagegen gab es auch heftige Proteste.
Seit mittlerweile zwei Jahren hat Peru jetzt eine "Übergangspräsidentin" mit Zustimmungswerten von weniger als zehn Prozent, gegen die es immer wieder Proteste gibt. Der Notstand, der dort ausgerufen wird, kann auch dazu genutzt werden, diese Proteste auszusetzen.
Das ist eine gefährliche Sache: Angst ist eine der massivsten Emotionen, um Menschen dazu zu bringen, Dinge zu akzeptieren, die sie sonst nie akzeptieren würden. Deshalb muss man da besonders vorsichtig sein in Bezug auf politischen Missbrauch.
Mein Eindruck ist, dass das in Peru gezielt genutzt wird. Und dann gibt es natürlich finanzielle Mechanismen beziehungsweise Instrumente, um gerade ärmere Staaten in eine gewünschte Richtung zu bewegen.
"One Health": Sinnvolles Prinzip, aber mit Beigeschmack
Den Überlegungen zur Reform des internationalen Gesundheitswesens liegt auch das Konzept der "One Health" zugrunde, über das Telepolis bereits eingehend berichtet hat. Nach Darstellung des WHO-Generaldirektors können auch andere Krisen wie Kriege oder der Klimawandel einen globalen Gesundheitsnotstand (PHEIC) begründen. Wie stehen Sie dazu?
Andrej Hunko: Einen ganzheitlichen Ansatz halte ich in der Medizin prinzipiell für sinnvoll. Die aktuellen Diskussionen um One Health haben jedoch für mich immer mehr den Beigeschmack, dass man damit auch ein gigantisches, autoritäres Kontrollsystem aufbauen kann.
Der Soziologe Heinz Bude, der die Bundesregierung bei der Reaktion auf Covid-19 beraten hatte, sagte Ende Januar 2024, dass Krisen der Zukunft, "gesundheitlicher, klimatischer oder militärischer Art", eine Reaktion des Staates verlangen würden, die auf die Verhaltensänderung des Einzelnen abziele.
Dafür müsse in der Bevölkerung "Folgebereitschaft" hergestellt werden durch "wissenschaftsähnliche" Modelle. Man müsse "auf individuelles Verhalten zugreifen …und Zwang ausüben". In der Vergangenheit hätte es gereicht, Stellschrauben im System zu verändern, etwa in der Finanzkrise 2007/2008.
"Wir wollen weder eine Gesundheitsdiktatur noch eine Klimadiktatur"
Und jetzt?
Andrej Hunko: Ich sehe die Gefahr, dass unter dem Vorwand der notwendigen Bekämpfung von Gesundheits- oder Klimakrisen die Verantwortung auf die Bevölkerung abgewälzt wird, auch wenn es dafür keine wissenschaftliche Grundlage gibt.
Deswegen muss man das kritisch begleiten. Was den Klimawandel betrifft: Das BSW hat immer klargemacht, dass Corona aufgearbeitet werden muss. Wir haben mit Friedrich Pürner auch einen Vertreter auf einem aussichtsreichen Platz auf der Europaliste, den ehemaligen Leiter eines bayrischen Gesundheitsamtes, der die Notwendigkeit der Aufarbeitung zentral kommuniziert.
Und diesem Vorgehen in der Corona-Zeit, das haben auch viele verstanden, stehen auch wir skeptisch gegenüber. Nicht der Bekämpfung des Klimawandels selbst, wohlgemerkt.
Wir haben noch nicht explizit im Zusammenhang mit One Health darüber gesprochen, ich gehe aber davon aus, dass die Erfahrung mit autoritären Maßnahmen während Corona dazu führt, dass sich auch das BSW entsprechenden autoritären Ansätzen entgegenstellen wird.
Wir wollen weder eine Gesundheitsdiktatur noch eine Klimadiktatur.
Andrej Konstantin Hunko hat ukrainische Vorfahren und ist in Aachen aufgewachsen. Seit 2009 ist der 60-Jährige Bundestagsabgeordneter – bis 2023 für die Fraktion der Linken, wo er 2020/2021 auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender war. Ende 2023 wechselt Hunko in das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht.
Außerdem ist der gebürtige Münchner seit 2010 Mitglied des Sozial- und Gesundheitsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Dort hat er bereits 2010 an einem Bericht mitgewirkt, in welchem die WHO für ihre Rolle in der sogenannten Schweinegrippe-Pandemie scharf kritisiert wurde. Seit 2023 ist Hunko Vorsitzender der Fraktion der dortigen Vereinigten Europäischen Linken (UEL).
Seit mittlerweile zwei Wochen vertritt Hunko das BSW auch im Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestags. Die Reform des internationalen Gesundheitssystems bezeichnet er als "eines der zentralen Themen der aktuellen Gesundheitspolitik".