WHO-Pandemiepolitik: Droht eine Ära der Überwachung und Zentralgewalt?

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Neuer Pandemievertrag: Interview mit Andrej Hunko über die Notwendigkeit globaler Gesundheitspolitik und ihre Schattenseiten. (Teil 2 und Schluss).

Auf der 77. Weltgesundheitsversammlung (WHA) in Genf, die vom 27. Mai bis zum 1. Juni stattfindet, werden aller Voraussicht nach Entscheidungen gefällt, die Folgen für die Gesundheitspolitik weltweit haben. Besonders, was den Umgang mit künftig zu erwartenden Pandemien betrifft.

Im ersten Teil des Interviews mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Bündnis Sahra Wagenknecht) wurde auf essenzielle politische Fragestellungen eingegangen, die der Reform des internationalen Gesundheitssystems zugrunde liegen.

Dass damit, worauf vieles hindeutet, die Kompetenzen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erheblich gestärkt werden, trifft auf kritische Einwände, die zum Teil sehr heftig ausfallen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Reform aus Erfahrungen der Corona-Krise hervorgeht.

Der erlebte Umgang mit der Pandemie, so wie ihn Hunko im Interview mit Telepolis aus seiner Sicht schildert, stärkt die Skepsis vor den geplanten Reformen der internationalen Gesundheitsvorschriften und dem neuen WHO-Pandemievertrag, der im Mai der Weltgesundheitsversammlung vorgelegt werden soll.

Im folgenden 2. Teil des Gespräches geht es um die politisch heikle Spannung zwischen Gesundheitsvorsorge und Kontrollinstrumenten, die ihr zukommen sollen. Muss sich die Bevölkerung auf eine verstärkte Kontrolle des privaten Lebens und Eingriffe in Freiheitsrechte einstellen?

Telepolis hat bei Andrej Hunko nachgefragt.

Bessere internationale Kooperation ist nötig, auf die Ausrichtung kommt es an

Nun mögen internationale Abkommen im Sinne einer Gleichheit an Rechten und Pflichten auch durchaus begrüßenswert sein. Die Kritik an den Reformen richtet sich ja eher gegen eine Zentralgewalt, über die Wenige verfügen.

Andrej Hunko: Ja, das ist der Unterschied zwischen Globalismus im Sinne Ulrich Becks und internationalem Recht.

Alles, was in Richtung Sanktionen geht oder versucht, eine völkerrechtliche Verbindlichkeit herzustellen, würde ich vor dem Hintergrund der Erfahrung der letzten Jahre überaus kritisch sehen. Ich sage aber auch immer: Wir brauchen bessere internationale Kooperation, auch in Gesundheitsfragen.

Aber im Augenblick scheint es da weniger um Gesundheit zu gehen, sondern eher um Kontrolle der Bevölkerung.

Interessen der Partnerschaften und Kontrollinstrumente

Worauf beziehen Sie sich damit?

Andrej Hunko: Wenn Sie sich die öffentlich-privaten Partnerschaften ansehen, wie es sie nicht nur in der WHO gibt, spielen da unter dem Strich immer Interessen eine Rolle, die sich durchsetzen wollen. Bei dieser Sache geht es aber nicht nur um den Profit der nächsten Impfstoffcharge.

Das Pandemie-Thema ist mit vielen anderen Themen verbunden, von nationalen Sicherheitsinteressen bis zu Digitaler Identität und Überwachung. Sie erinnern sich an die Kontaktverfolgung und das Reiseverbot für Menschen ohne Gesundheitsnachweis.

Da ist man in der Corona-Zeit schon sehr weit gegangen mit Kontrollinstrumenten gegenüber der Bevölkerung. Das steht jetzt auch mit den Reformen auf dem Spiel. Dabei muss man immer dran erinnern: Die Impfung hatte keine Wirkung auf die Ausbreitung des Virus. Deswegen ist das ganze Regime weitgehend evidenzfrei gewesen.

Die meisten Leute haben das alles aber leider schon völlig vergessen. Dabei haben wir mit den Gesundheitsreformen der WHO jetzt wieder genau die gleiche Debatte um Zentralisierung und Kontrolle. Und da spielt auch die EU eine entscheidende Rolle.

Welche?

Andrej Hunko: Speziell in Bezug auf die Verhandlungen zu den IGV, da liegt die Kompetenz ja bei der Kommission. Es gibt bei diesen Verhandlungen aber keine parlamentarische Dimension, wie man sie etwa bei der Nato oder der OSZE kennt.

Ich versuche immer noch zu verstehen, was im Detail die Rolle der Kommission dort ist. Deshalb strebe ich auch ein Mandat an, diese Gesundheitsversammlung im Mai zu beobachten. Die Hauptsorge der EU-Kommission ist die Frage des Patentschutzes.

Grüne, Linke und teilweise die SPD streben deren Aufhebung im Pandemiefall an. Das hat man sich auch in der Partei die Linke immer auf die Fahne geschrieben. Ich teile diesen Ansatz, er steht aber für mich nicht im Mittelpunkt.

Ein heikler Fall: "Der Milliarden-Deal von Frau von der Leyen"

Sie haben bei Ihrer Rede im Bundestag kürzlich herausgestellt, dass dieselbe EU-Kommission, deren Präsidentin Impfstoffverträge mit Pfizer verheimlicht, nun über die IGV verhandelt, an deren Ausgestaltung die Hersteller unmittelbares Interesse haben.

Andrej Hunko: Ja, und das ist doch absolut verrückt. Der Milliarden-Deal von Frau von der Leyen per SMS, der größte Liefervertrag in der Geschichte der EU ist noch gar nicht aufgeklärt, die genauen Bedingungen werden der Öffentlichkeit vorenthalten.

Die New York Times etwa klagt vor dem EUGH, um Einsicht in die Abläufe zu bekommen. Und gleichzeitig verhandelt die Kommission unter derselben Chefin über möglicherweise weitreichende Kompetenzerweiterungen der WHO. Darauf habe ich bei meiner Rede im Bundestag hingewiesen. Beifall gab es an der Stelle von der AfD.

Ah, der berühmte "Beifall von der falschen Seite". Aber im Bundestag spricht sich neben Ihnen auch nur die AfD-Fraktion für mehr Transparenz und gegen die globalen Gesundheitsreformen aus. Auch in den USA sind die Konservativen und Rechten die lautesten Gegner. Wie gehen Sie damit um?

Andrej Hunko: Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Ich lehne die AfD entschieden ab. Wir haben aber eine ganz unzureichende Debatten-Kultur im Bundestag. Im Parlament sagt die AfD auch manches, was richtig ist. Die Vorschläge in ihrem WHO-Antrag sind auch nicht durchgeknallt.

Der Großteil des Hauses geht aber überhaupt nicht auf die Sachebene ein, sondern argumentiert wie zum Höhepunkt der Corona-Zeit nur mit Beschimpfungen. Es kann aber nicht sein, dass, wenn die AfD sagt, der Himmel ist blau, alle anderen aus Protest sagen, er wäre grün.

Wenn man so herangeht, braucht die AfD nur ein gesellschaftlich wichtiges Thema kritisch zu besetzen und alle anderen überlassen ihr das Feld. Am Ende überlässt man ihr so das Agenda-Setting und stärkt sie dadurch sogar.

"Es gibt seit langem Bemühungen, aus den WHO-Empfehlungen Verbindliches abzuleiten"

Kommen wir noch einmal zurück auf unser eigentliches Thema. Die Kritik an Pandemievertrag und IGV (betreffend vor allem die Artikel 1, 13a, 42 und 18a) basiert auf der Sorge, dass Empfehlungen der WHO in Weisungen und letztlich in völkerrechtliche Verpflichtungen übersetzt werden könnten.

Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages beteuerten im Oktober 2023 allerdings noch, das der Vertrag "keine Übertragung von Hoheitsrechten" darstelle und auf der Freiwilligkeit der unterzeichnenden Staaten beruhe. Das wurde auch kurz zuvor bei der Verhandlung einer kritischen Petition betont.

Dann wiederum gibt es Einlassungen wie die von Telepolis zitierten der Fachzeitschrift The Lancet, der London School of Economics oder des wenig bekannten Global Health Programmes des Thinktanks Chatham House, wonach ein Vertrag seinen Namen nur verdiene, wenn er "Regeltreue erzwingen" könne, etwa durch finanzielle Sanktionen oder das Zurückhalten finanzieller Unterstützung.

Der Journalist Norbert Häring hat auf seinem Blog außerdem auf eine Einlassung des Vorsitzenden der IHR-Arbeitsgruppe reagiert, wonach ein Pandemievertrag nicht ohne eine "Priorisierung von Maßnahmen, die die individuellen Freiheiten einschränken können" auskomme.

Was stimmt denn nun?

Andrej Hunko: Ich habe da erst mal noch viele Fragezeichen, wohin sich das entwickelt. Aber mein Eindruck ist, dass es beim Pandemievertrag eben um einen zwischenstaatlichen Vertrag unter dem Dach der WHO geht, der aber nicht in deren Strukturen eingebettet ist.

Im Pandemievertrag wird ja auch mehrfach die Souveränität der Staaten betont. Es gab aber immer wieder Versuche, vor allem von den USA, sanktionsbewehrte, völkerrechtliche Verbindlichkeit herzustellen.

Das wurde aber zunächst abgelehnt, vor allem durch die Staaten des Globalen Südens. So wie ich die Dinge sehe, sind aktuell mit den IGV die weitreichendsten Änderungen verbunden. Die geplanten Änderungen der IGV sehen zum Beispiel vor, die Exekutivkompetenz des Generaldirektors weiter zu stärken.

Die ohnehin schon recht stark ist. Das hat Tedros bei den Affenpocken gezeigt, als er das zuständige Emergency Committee, das mit neun zu sechs Stimmen gegen die Feststellung eines Gesundheitsnotstands gestimmt hatte, überstimmte.

Andrej Hunko: Richtig. Das Problem bei den IGV ist, dass sie im Unterschied zum Pandemievertrag nicht der Ratifizierung durch die Parlamente bedürfen und trotzdem als Mechanismen eingepflegt werden können.

Es ist offenbar schon so, dass es seit langem Bemühungen gibt, aus den WHO-Empfehlungen sanktionsbewehrt etwas Verbindliches abzuleiten. Das erinnert – mich jedenfalls – an die Schweinegrippe-Impfungen, nachdem man die Kriterien zur Ausrufung einer Pandemie geändert hatte.

Es gibt Akteure, die versuchen, Strukturen zu schaffen, die Staaten verpflichten, das zu tun, was sie möchten. Das ist ein Prozess, der sich jetzt verstärkt.