WHO ruft international Notlage aus
Gleichzeitig versucht der WHO-Generaldirektor die damit verstärkte Angst vor der Virusepidemie zu dämpfen - ein schwieriger Spagat
Die WHO hat nun doch angesichts der Ausbreitung und schnellen Zunahme der Infektionen mit dem Coronavirus 2019-nCoV eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" (PHEIC) ausgerufen. Die von dem Notfallkomitee der WHO in einer Telekonferenz getroffene Entscheidung soll die Staaten verpflichten, ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie zu koordinieren, sowie Empfehlungen zu geben. Der Mechanismus war 2005 nach Sars eingeführt worden.
Die WHO betont, wie gut und schnell China reagiert und offen gehandelt hat, u.a. die Genseqenzen des Virus weitergegeben hat, so dass weltweit diagnostische Mittel entwickelt werden konnten. Appelliert wird an die "globale Solidarität", um die Bekämpfung der Infektion zu koordinieren. Betont wird auch, dass noch vieles über den Erreger unbekannt und es durchaus möglich sei, die weitere Ausbreitung zu verhindern.
Mit Blick auf die Quarantäne-Maßnahmen der chinesischen Regierung wird darauf hingewiesen, dass eine Einschränkung der Bewegung von Menschen und Gütern im Allgemeinen nicht effektiv ist und Ressourcen für andere Interventionen entziehen kann. Beispielsweise könnten Hilfeleistungen und technische Unterstützung eingeschränkt und die Wirtschaft beeinträchtigt werden. Zeitweise aber könne die Bewegungseinschränkung von Menschen nützlich sein, wenn Kapazitäten gering sind oder eine hohe Ansteckungsgefahr vorliegt. Offenbar geht man davon aus, dass dies in Wuhan und in der Provinz sinnvoll ist, zumindest könnte durch die lokalen Zwangsmaßnahmen eines autoritären Staats die globale Verbreitung eingedämmt werden. Die Menschen in Wuhan oder Hubei würden also das Opfer für die globale Sicherheit sein. Wie hilfreich es ist, China oder speziell Hubei zu isolieren, also beispielsweise wie die Lufthansa Flüge einzustellen oder wie Russland, Nordkorea oder die Mongolei die Grenzen zu schließen, ist eine andere Frage.
"Jetzt ist die Zeit für Fakten, nicht für Angst"
Die Ausrufung des PHEIC hat natürlich auch zur Folge, dass nicht nur bessere Vorsorgemaßnahmen getroffen werden, sondern dass auch die Angst der Menschen verstärkt wird. Das ist auch die Kehrseite der massiven Maßnahmen, die in China angeordnet wurden, wo die 11 Millionen-Stadt Wuhan mitsamt der Provinz Hubei unter Quarantäne gestellt wurde. An die 60 Millionen Menschen in China sind unmittelbar betroffen, das ist menschheitsgeschichtlich eine einzigartige Maßnahme, ein riesiges Experiment, das auch einen Blick auf das zukünftige Leben in Megacities unter einem restriktiven Kontroll- und Überwachungsregime ermöglicht. Das Problem ist, dass solche Maßnahmen, die relativ schnell verhängt wurden, um die Verbreitung einzudämmen, die Angst schüren und verstärken.
Allein schon die Anordnung, Mundschutz zu tragen, der für alle Mitmenschen deutlich sichtbar ist, macht darauf aufmerksam, dass die anderen Menschen Gefährder sein können. Die landesweiten Temperaturmessungen lassen jeden als potentiell Verdächtigen erscheinen, selbst wer erhöhte Temperatur hat, muss keineswegs vom Coronavirus infiziert sein, darf aber beispielsweise eine Stadt nicht mehr betreten. Dazu kommt die fortwährende Medienberichterstattung, die den Eindruck erwecken muss, dass etwas Wichtiges und Bedrohliches vorhanden ist. Das Dilemma ist, dass das Gegenteil, also wenig zu berichten, die Angst vor dem Unheimlichen nicht unbedingt geringer machen würde.
Dabei ist die Zahl der Infizierten noch immer relativ klein und gegenüber der laufenden Grippeepidemie verschwindend gering, aber höher als seinerzeit bei der SARS-Epidemie. In China hat sich der Virus im ganzen Land verbreitet. 7711 Fälle wurden bislang bestätigt, 12167 möglicherweise Infizierte gibt es. Bislang sind 170 Personen gestorben, 1370 Infizierte sind schwer erkrankt. Außerhalb von China gibt es mittlerweile 82 nachgewiesene Infizierte in 18 Ländern, aber noch keine Todesfälle. Was die WHO zur Ausrufung der Notlage veranlasst hat, war der Umstand, dass in drei Ländern eine Mensch-zu-Mensch-Infektion wie in Bayern stattfand. Gefahren sieht man bislang vor allem in Ländern mit weniger gut ausgestatteten Gesundheitssystemen, etwa in Afrika, wo China wirtschaftliche enge Bande geknüpft hat. Noch wurden aus Afrika und Lateinamerika keine Infektionen berichtet, was aber auch an den Gesundheitssystemen liegen könnte. Allerdings wurden Fälle aus Nepal, Vietnam, Thailand, Malaysia, Kambodscha, Philippinen oder Sri Lanka berichtet.
WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus versuchte, mit der Ausrufung des Notstands angesichts des außerordentlichen Ereignisses, das "ernsthaft, ungewöhnlich und unerwartet" ist, zugleich Panik zu verhindern. Er forderte die Öffentlichkeit trotzdem auf, ruhig zu bleiben. Die WHO würde keine Maßnahmen empfehlen - wie sie in China verhängt wurden -, "die unnötig den internationale Handel und Verkehr einschränken". China würde alles machen, um eine Ausbreitung zu verhindern: "Jetzt ist die Zeit für Fakten, nicht für Angst. Es ist die Zeit für die Wissenschaft, nicht für Gerüchte. Es ist die Zeit für Solidarität, nicht für Stigmatisierung."
Das so zu betonen, macht klar, dass Tedros weiß, dass die Folge der Ausrufung des Notstands eben Angst, Gerüchte und Stigmatisierung sein werden. Wird also nun vermieden, mit Chinesen in Kontakt zu treten oder gar chinesische Restaurants zu besuchen? Gedeihen Gerüchte, dass die Epidemie absichtlich ausgelöst oder, wie gerne, der Erreger aus einem Labor entwichen ist? Dazu kommt, dass China gerade sowieso nach Russland zur großen Bedrohung der USA und des Westens stilisiert wurde. Beispielsweise gleichen die Ängste, die vor Huawei geschürt werden, um dem chinesischen Konzern den Zugang zum Aufbau der 5G-Netze zu verwehren, denen vor dem chinesischen Virus.