Wachablösung der Generäle

Seite 2: Rumen Radev: "Moskau-Freund" oder "amerikanischer Agent"?

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In merkwürdiger Einmütigkeit haben westeuropäische Medien in Rumen Radev schnell den "Moskau-Freund" erkannt. Aus Sicht von Bulgariens eifrigsten Russophilen stellt sich dies völlig anders dar. "Er ist offensichtlich ein rechter Kandidat, lanciert durch die sozialistische Partei und nominiert von der amerikanischen Botschaft", entlarvte ihn die Abgeordnete der nationalistischen Partei Ataka Magdalena Tascheva noch vor Schließung der Wahllokale als einen in den USA geschulten "amerikanischen Agenten".

Kampfflieger und Wahlsieger Rumen Radev: "ich bin ein Agent, aber einer des bulgarischen Volkes." Bild: F. Stier

"Herr Radev, Sie haben in den USA studiert und kandidieren für die Linken, was für einer sind Sie eigentlich", fragte ihn eine Journalistin in der Pressekonferenz in der ersten Wahlnacht. "Für die einen bin ich ein roter Kommunist, für andere ein verkappter Euro-Atlantiker, Agent von Washington. Ich möchte alle beruhigen und bekennen, ich bin ein Agent, aber einer des bulgarischen Volkes", parierte Radev.

Wirkten die ersten öffentlichen Auftritte des Piloten Radev in der Rolle des Politikers noch bemüht, seine politische Rede stockend, so hat er sich in die neue Kampfsituation inzwischen sichtbar eingefunden. In kurzen, stakkatoartig vorgetragenen Sätzen bringt er seine Vision vom Präsidentenamt und seine Positionen zu Staatssouveränität und nationaler Sicherheit auf den Punkt. "Ich werde nicht zulassen, dass Bulgarien zu einem Emigranten-Ghetto wird", kündigte er an, sich für eine Revision des Dublin-Abkommens einzusetzen, das für Bulgarien "die Rolle einer Buffer-Zone" vorsehe.

Erlebt man ihn in der politischen Debatte könnte man Radev mit schütterem Haar auf hoher Stirn und minimalistischem Minenspiel für die Personifizierung des beamteten Langeweilers halten. Tatsächlich begeisterte er aber noch im Oktober 2014 als verwegener Kunstflieger tausende Zuschauer auf dem Militärflughafen in Sofia mit der Vorführung des riskanten Kobramanövers, bei dem er seine russische MiG-29 senkrecht aufrichtete.

Im Oktober 2015 erwies General Radev gegenüber General Borissov militärischen Ungehorsam und trat aus Protest gegen die Absicht der Regierung, ausländischen NATO-Partnern die Überwachung des bulgarischen Luftraums zu übertragen, von seinem Kommandeursposten bei den bulgarischen Luftstreitkräften zurück. Es bedurfte Borissos Überredungskunst und das Versprechen zusätzlicher Finanzmittel für die Luftwaffe, ihn zum Rücktritt vom Rücktritt zu bewegen.

Im disparaten Chor der Kommentatoren werten manche Politikbeobachter die Wahl General Radevs als Protestwahl gegen General Borissov. Eine Präsidentschaftswahl ist in Bulgarien aber eine Persönlichkeitswahl, in der sich der politisch unvorbelastete Rumen Radev gegen die unpopuläre Tsetska Tsatscheva durchgesetzt hat.

Noch vor der Wahl haben demoskopische Umfragen Boiko Borissov anhaltend hohe Popularitätswerte bescheinigt und seine Partei GERB als weiterhin stärkste politische Kraft vor den Sozialisten ergeben. Dennoch hat auch der abtretende Premier Borissov in seiner Abschiedrede vor dem bulgarischen Parlament "eine neue Mehrheit aus Sozialisten, der Türkenpartei und den Nationalisten" konstatiert. Diese solle nun eine Regierung bilden und "das Land beruhigen". Seine Partei GERB werde der Gesellschaft erneut zur Verfügung stehen, sollte diese eines Tages zum Schluss kommen, "dass die Partei wieder für sie arbeiten kann".

Mit seinem spontan hingeworfenen Rücktritt in der Folge gewaltsamer Proteste gegen hohe Strompreise hat Premier Borissov im Februar 2013 Bulgarien in eine Phase politische Instabilität gestürzt, die er selber mit der Regierungsaufnahme seines zweiten Kabinetts im November 2014 vorläufig beendete. Mit seiner erneuten Amtniederlage hat er nun wieder politisches Chaos erzeugt.

Dass die bulgarischen Wähler ihm bei den nächsten Parlamentswahlen zum dritten Mal das Vertrauen zur Regierungsbildung aussprechen könnten, ist unwahrscheinlich, ausgeschlossen werden kann es aber nicht. Bulgariens scheidender Präsident Rossen Plevneliev muss nun die dritte Übergangsregierung seiner fünfjährigen Präsidentschaft schmieden, darf laut Verfassung in den letzten drei Monaten seiner Amtszeit das Parlament aber nicht auflösen. So kann erst der zum 22. Januar 2017 sein Präsidentenamt antretende Rumen Radev, Neuwahlen zur 44. Bulgarischen Volksversammlung ansetzen. Damit ist frühestens für Ende März / Anfang April 2017 die Bildung einer handlungsfähigen Regierung zu erwarten. Wie diese aussehen kann, ist heute aber schwer vorstellbar.