Wären die Grünen ohne äußeren Feind noch, was sie einmal waren?

Grüne mit Prinzipien dürften nach diesem Parteitag noch mehr Bauchschmerzen haben als zuvor. Ihre Spitzenpolitiker verweisen auf den russischen Präsidenten als Grund für alle faulen Kompromisse, während die Klimabewegung protestiert.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Ressort nominell auch für Klimaschutz zuständig ist, wollte auf dem Grünen-Parteitag am Wochenende in Bonn den Zusammenhalt beschwören, während die Klimagerechtigkeitsbewegung Fridays for Future vor dem Eingang zu Protesten gegen den Kohle-Deal mit dem Energiekonzern RWE aufgerufen hatte.

Letzterer schließt ein, dass das Dorf Lützerath abgebaggert und die Kohle darunter schnell genug verbrannt wird, um rein kalendarisch den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen zu können – und trotzdem die Pariser Klimaschutzziele zu verfehlen.

Viele Delegierte blieben vom Protest der überwiegend jungen Menschen nicht ungerührt, manche waren sicherlich auch mit der festen Absicht angereist, gegen diesen von Habeck eigentlich schon verkündeten Deal zu stimmen, nachdem die Grüne Jugend einen entsprechenden Antrag eingebracht hatte.

Um solche Differenzen einzuebnen, brauchte es für Spitzen-Grüne dringend den Verweis auf einen mächtigen äußeren Feind, der es vorgeblich notwendig macht, einen Großteil der eigenen Wahlversprechen zu brechen.

Putin als Schlüsselfigur grüner Politik?

Habeck machte daher erwartungsgemäß den russischen Präsidenten zur Schlüsselfigur seiner Rede, als stehe Deutschland bereits direkt mit Russland im Krieg, und warnte seine Parteifreunde vor Anfeindungen, die es geben werde, "weil wir für alles stehen, was Putin und seine deutschen Trolle hassen". Dazu zählte er neben Menschenrechten, Pressefreiheit und individueller Freiheit auch den Ausstieg aus den fossilen Energien. "Wir werden durch diesen Hass stärker werden", betonte er.

Tatsächlich droht nach diesem Parteitag eher der interne Frust und die Enttäuschung mancher Stammwählerinnen und Stammwähler die Grünen zu schwächen. Denn nicht alle sind hier der Meinung, dass es alternativlos ist, russisches Gas durch Kohle, Flüssigerdgas und zeitweise auch Kernkraft zu ersetzen – zumal die Menschenrechtskriterien bei LNG-Lieferanten wie Katar flexibel gehandhabt werden.

Knappe Mehrheit für Kohle-Deal

Für den Kohle-Deal gab es nur eine knappe Mehrheit, nachdem die bekannte Klima-Aktivistin Luisa Neubauer ihrer Partei ins Gewissen geredet hatte. 315 Delegierte wehrten am Sonntag den Antrag der Grünen Jugend ab, 294 Delegierte stimmten dafür.

Neubauer, die sowohl Grünen-Mitglied als auch das bekannteste Gesicht von Fridays for Future ist, gestand in ihrer Rede Spitzenpolitikern ihrer Partei zu, "unter den härtesten nur vorstellbaren Bedingungen" zu regieren, warf ihnen aber zugleich vor, "mit gefakten Zahlen von RWE" zu argumentieren. Wenn RWE die ermöglichte Auslastung aller Kraftwerke nutze, werde durch den auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg "keine einzige Tonne CO2 eingespart", betonte Neubauer.

Sie habe zudem kein Verständnis dafür, wenn neues Öl "von Verbrechern" eingekauft und mit LNG-Terminals an der Nordseeküste neue fossile Infrastruktur für Jahrzehnte geschaffen werde, "die man absehbar nicht mehr braucht".

"Nicht die urgrüne Linie": Mehrheit für längere AKW-Laufzeiten

Eine deutlich größere Mehrheit hatte sich bereits für den vorübergehenden Weiterbetrieb zweier süddeutscher Atomkraftwerke gefunden. Statt der gesetzlich verankerten Abschaltung zum Jahresende sollen die Meiler nun mit vorhandenen Brennstäben bis Mitte April weiterlaufen.

"Das ist ja nicht die urgrüne Linie", räumte Parteichefin Ricarda Lang am Montag im ZDF-Morgenmagazin ein. "Aber wir sind in dieser besonderen Situation bereit, über unseren Schatten zu springen, um die Versorgungssicherheit zu sichern. Das ist ja bereits ein Kompromissangebot. Ich hoffe, dass es jetzt von der anderen Seite die Bereitschaft gibt, da mitzugehen."

Keine Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, jedenfalls nicht direkt

Und: Deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gibt es ja eigentlich nicht, wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock auf dem Parteitag betonte. Das geschieht im Verbund mit europäischen Partnern. Sonst würde es ja die ganze Doppelmoral der "wertegeleiteten Außenpolitik" offenlegen – und man müsste antirassistischen Grünen-Wählern erklären, warum die Kriegsopfer im Jemen weniger wert sind als Opfer des russischen Angriffskrieges in der Ukraine.

Dass es nicht nur Putin und seine Trollarmee sind, sondern vor allem die fossilen Lobbies im eigenen Land und der kleine, aber selbstbewusste Koalitionspartner FDP, welche die Grünen in der Ampel-Regierung zur Entsorgung aller Ideale treiben, ist aber auch leicht daran zu erkennen, dass in der aktuellen Mangellage das Einsparpotenzial eines Tempolimits nicht genutzt wird.

Stattdessen könnte fast der Eindruck entstehen, dass es Putin bald geschafft hat, die Grünen so oft über ihren eigenen Schatten springen zu lassen, dass sie nur noch ein Schatten ihrer Selbst sind. Falls die aktuelle Generation der Spitzen-Grünen überhaupt etwas anderes wollte als Macht; und falls sie die eigene Basis nicht einfach nur emotional erpresst.