Wahlen dürften der Ukraine keine politische Stabilität bringen
Viele Menschen sind skeptisch, weil die alte politische Kaste weiter herrschen wird, die Rechten sind zersplittert
Man sollte annehmen, dass bei den Parlamentswahlen in der Ukraine, die am 26. Oktober stattfinden, eine große Wahlbeteiligung zu erwarten wäre. Schließlich befindet sich das Land in einem als "Antiterroroperation" maskierten, gegenwärtig eingefrorenen Krieg, der in Kiew seit geraumer Zeit als einer gegen Russland dargestellt wird. Zudem befindet sich das Land in einem radikalen neoliberalen Umbruch mit der Ablösung von Russland und der schon in der Orangenen Revolution begonnenen Hinwendung zum Westen. Nach der Wahl des Präsidenten werden jetzt die politischen Weichen im Parlament gestellt, die das Land prägen werden. Gleichwohl gehen Experten davon aus, dass die Wahlbeteiligung höchstens 60 Prozent liegen wird, wahrscheinlich weniger als bei der Präsidentschaftswahl im Mai.
Die Soziologin Iryna Bekeshkina, Direktorin der Democratic Initiatives Foundation, die diese Vorhersage machte, wies daraufhin, dass die Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen höher ist als bei Parlamentswahlen, aber derzeit spiele die große Zahl von Unentschlossenen eine Rolle. Nach einer Umfrage seien 32 Prozent der Wahlberechtigten unentschlossen, die meisten von diesen werden nicht zur Wahl gehen. Sollte diese hohe Zahl zutreffen, so spricht dies dafür, dass viele Ukrainer keine überzeugenden Politiker und Parteien sehen. Das ist wenig verwunderlich, weil viele der Abgeordneten und Kandidaten zum politischen System gehören, von einer Partei zur anderen gewechselt sind oder schnell mal neue Parteien geründet haben wie Poroschenko mit seinem Block oder Jazenjuk mit der Volksfront.
Die alten Parteikader, Kommunisten und Anhänger von Jaukowitsch sollen durch das neue Lustrationsgesetz aus allen Ämtern verbannt werden, allerdings ist eben auch die jetzt herrschende politische Klasse, von Präsident Poroschenko und Regierungschef Jazenjuk angefangen, tief verwurzelt und verbandelt mit dem ukrainischen Machtsystem, worauf auch die Opposition hinweist. Jazenjuk war schon einmal Wirtschafts- und Außenminister sowie der Parlamentssprecher, Poroschenko war Vorsitzender des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats unter Viktor Juschtschenko, Direktor der Nationalbank der Ukraine und unter Janukowitsch auch Wirtschaftsminister, zudem zählt er zu den Gründern der Partei der Regionen von Janukowitsch.
Wird sich Oligarch Poroschenko also selbst lustrieren? Muss er nicht, da in der letzten von der Rada gebilligten Fassung gewählte Posten wie Abgeordnete, der Kommissar für Menschenrechte oder Richter am Verfassungsgericht ausgenommen wurden. Es gibt weiterhin scharfe Kritik an dem Gesetz, nach dem praktische alle Staatsangestellten in führenden Positionen der letzte Jahre entlassen werden müssten, aber es keine Übergangs- und Wiederbesetzungsregeln gibt. Auch der Datenschutz werde nicht beachtet. Es würde ein Zusammenbruch der Verwaltung oder auch der Polizei drohen. Welche Folgen es haben kann, zu radikal vorzugehen, ließe sich im Irak sehen, wo nach dem Sturz Husseins alle Angehörigen der Baath-Partei aus staatlichen Strukturen entfernt wurden, die dann den Widerstand angeheizt haben und heute noch mit für den Erfolg von IS im Irak verantwortlich sind.
Nach einer aktuellen Umfrage stellen sich noch 48 Prozent hinter den Oligarchen, dessen Ansehen am Sinken ist. 44 Prozent lehnen seine Politik bereits ab. Ähnlich, wenn auch schlechter, sieht es mit Jazenjuk aus. Mit seiner Arbeit stellt er nur 45 Prozent zufrieden, 48 Prozent sehen sie negativ. Die Zufriedenheit mit allen Regierungsmitgliedern sei seit der letzten Umfrage im August zurückgegangen. Das größte Vertrauen wird weiterhin Poroschenko (51%) entgegengebracht, gefolgt von Jatsenuk (45%), dem ehemaligen Verteidigungsminister und Militär Hryzenko (42%) und Sadovy (40%), dem Bürgermeister von Lwiw (Lemberg). Als neuen Regierungschef würden 35 Prozent weiterhin Jazenjuk sehen. Er hat einen großen Vorsprung vor seinen Konkurrenten, etwa vor Julia Timoschenko, Rechte und Nationalisten wie Oleh Lishko von der Radikalen Partei erzielen wenige Punkte. Sergiy Tigipko, ehemals Partei der Regionen, kann immerhin noch 5% der Stimmen für sich verbuchen.
In einer anderen Umfrage, nach der nur 35 Prozent entschlossen sind, an der Wahl teilzunehmen, und 40 Prozent wahrscheinlich, wurde in der ersten Oktoberwoche gefragt, welche Parteien die Ukrainer wählen würden. Dabei zeigt sich, dass es unübersichtlich viele neue und teils schon früher registrierte Parteien gibt, die mitunter beliebter sind als ihre Führer. Auch hier würde Poroschenko mit seinem Block mit 33,5 Prozent am meisten Stimmen erhalten, danach käme die Radikale Partei von Oleh Liashko mit 12,8 Prozent und die Volksfront von Jazenjuk mit 8,8 Prozent. Die Partei Starke Ukraine von Tigipko würde 7,8 Prozent erzielen, die Vaterlandspartei von Timoschenko 6,9 Prozent, die Samopomich-Partei (Selbsthilfe) des Bürgermeisters Sadovy 5,4 Prozent und der Oppositionsblock, zu dem sich ehemalige Abgeordnete der Partei der Regionen zusammengeschlossen haben, 5,1 Prozent. Die Zivile Position von Hrytsenko käme auf 4.5 Prozent, Swoboda auf 4 Prozent, der Rechte Sektor auf 2 Prozent.
Die drei letzteren Parteien würden wegen der 5-Prozent-Hürde nicht ins Parlament einziehen. So scheinen die rechtsextremen und nationalistischen Parteien zwar unbedeutend zu sein, rechnet man aber deren Spektrum zusammen (Swoboda, Rechter Sektor, Radikale Partei und teils auch die Volksfront), so ist eine rechte Neigung deutlich, auch wenn das Lager zersplittert ist. Vorhergesagt wird hier, dass die Wahlbeteiligung gegenüber der letzten Umfrage im Juli von 59 auf 55 Prozent zurückgeht.
Interessant ist der Block von Poroschenko, der aller Wahrscheinlichkeit nach das Rennen machen wird, aber mit vermutlich mehreren anderen Parteien eine Koalition bilden muss. Dass die politischen Aussichten nicht vielversprechend sind, dürfte viele Ukrainer von den Wahlen fernhalten, die auch der politischen Post-Janukowitsch-Klasse gegenüber skeptisch sind - durchaus berechtigt.
Poroschenko hatte bereits 2001 eine Partei Solidarität gegründet, die aber virtuell wie viele andere blieb, aber gleichzeitig mit der ebenfalls 2001 registrierten Partei der Regionen geliebäugelt. Er hat sich jeweils den Parteien angeschlossen, die für ihn wohl auch als Geschäftsmann Erfolg versprachen. Da war man für die Orange Revolution und Juschtschenko, um gleich darauf zu Janukowitsch überzulaufen.
In seiner Partei gibt es, so die Kyiv Post, die meisten Kandidaten, die bereits Abgeordnete in der Rada waren, aber es sind auch wenige junge Aktivisten und Journalisten sowie ein Vertreter des Rechten Sektors aus der Euromaidan-Bewegung darunter. Wie in der Volksfront findet man auch Militärs und Mitglieder der neuen Milizen oder der Volksgarde. Der Präsidentensohn Oleksiy Poroshenko tritt auch als Kandidat in der Region Vinnytsia an, auch andere der Familie Nahestehende findet man unter den Kandidaten.