Wahlen in Uttar Pradesh: Gewaltige Fortschritte

In Uttar Pradesh gibt es Religion statt Armutsbekämpfung. Bild: Gilbert Kolonko

Seit fünf Jahren ist ein radikaler Priester Chief Minister des bevölkerungsreichsten Bundesstaats in Indien. Nun stellt er sich zur Wiederwahl, mit dem einzigen "Erfolg", den er vorzuweisen hat

Im Gesundheitsindex 2021 des staatlichen Thinktank Niti Aayog erreichte Uttar Pradesh mal wieder die geringste Punktzahl im Vergleich mit allen anderen Bundestaaten und Unionsgebieten des Landes. Gesundheitsexperten halten jedoch selbst die wenigen Punkte für Uttar Pradesh noch für geschönt und werfen den Verantwortlichen von Niti Aayog vor, dass sie von der Regierung beeinflusst wurden.

Dafür hat Uttar Pradesh mittlerweile einen Krankenwagen-Service für Kühe – böse Zungen behaupten, dass der für ein paar Punkte mehr im Index gesorgt hat.

Im Index 2021 des unabhängigen Thinktank Indian Police Foundation, der die Zufriedenheit der Bürger mit der Polizei ihrer Bundesstaaten misst, bekam nur Bihar weniger Punkte als Uttar Pradesh.

So sahen die Indexe und Daten im 200 Million-Einwohnerstaat Uttar Pradesh auch schon vor zehn oder 20 Jahren aus, und genau aus diesem Grund hatten die Menschen bei den Wahlen 2017 zur Legislative Assembly mit überwältigender Mehrheit für Narendra Modi gestimmt – seine Bharatiya Janata Party (BJP) gewann 312 der 403 Sitze im Unterhaus. Nur stand Modi in Uttar Pradesh gar nicht zur Wahl.

Aufwiegelung zu Gewalttaten

Selbst für viele Anhänger von Modis BJP war es eine Überraschung, als der radikale Hindu-Priester Yogi Adityanath (bürgerlicher Name Ajay Singh Bish, den er jedoch ungern hört) als Chief Minister, als Regierungschef, eingesetzt wurde, der aus seiner extremen Abneigung gegenüber Muslimen kein Geheimnis macht: Der 49-Jährige saß bereits wegen Aufwiegelung zu Gewalttaten im Gefängnis und hatte öffentlich erklärt, dass Hindus und Muslime nicht zusammenleben könnten.

Dass Yogi Adityanaths Organisation auch gemeinnützige Schulen und Krankenhäuser unterhält, steht nicht im Widerspruch zu seinen Gewaltaufrufen; auch in Pakistan unterhalten radikale religiöse Organisationen wie Jamaat-e-Islami soziale Einrichtungen. Die von Yogi Adityanath gegründete radikale hinduistische Jugendorganisation Hindu Yuva Vahini fällt vor allem dann auf, wenn es um Gewalttaten und Einschüchterung von Andersdenkenden geht.

Hat Yogi Adityanath also keine Erfolge vorzuweisen, wenn er sich bei den Wahlen zwischen dem 10. Februar und 10. März zur Wiederwahl stellt? Doch, wenn man so einen Satz von ihm als Maßstab nimmt:

Wenn ein hinduistisches Mädchen einen muslimischen Mann heiratet, werden wir dafür 100 muslimische Mädchen nehmen … Wenn sie einen hinduistischen Mann töten, werden wir 100 muslimische Männer töten.

Die Erfolgsbilanz

Alleine im ersten Amtsjahr von Yogi tötete die Polizei in 1.100 Spezialeinsätzen 49 Menschen. 370 wurden dabei verletzt, 3.300 verhaftet. Die meisten der Toten waren Muslime und Dalits (die Unberührbaren).

Zudem ließ Yogi Adityanath die Schlachthäuser und Fleischereien schließen, die vorwiegend von Muslimen betrieben werden. Als Vorwand galten hygienische Gründe, doch bis heute wurde keine rechtlichen Grundlagen geschaffen, die die Schließungen nach indischem Recht legalisieren.

Genauso willkürlich werden die Ledergerbereien Kanpurs immer wieder geschlossen, die ebenfalls überwiegend von Muslimen betrieben werden. Vorgeblich aus Umweltschutzgründen, doch wie ich 2018 mit eigenen Augen sehen konnte, durften die Industrien im Süden von Kanpur, die überwiegend von Hindus betrieben werden, weiter ihre verseuchten Abwässer über Umwege in den Ganges leiten.

Vor aller Augen darf auch die Sandmafia am Ganges von Allahabad weiter ihr Geschäft betreiben. Ihr einziges Ärgernis seien die hohen Schmiergelder an die Polizei, wie mir einer der "Vorarbeiter" der Bosse am Ufer mitteilte. Aber immerhin schafften Modi und Yogi das, was der BJP-Regierung 2001 nicht gelang: Allahabad heißt nun: Prayagraj.

Sandraub vor allen Augen und nichts passiert. Bild: Gilbert Kolonko

In dieser vom Staat vorgegeben Anti-Muslim-Stimmung wundert es nicht, dass auch immer mehr Bürger im national-religiösen Rausch ihren Hass gegen Muslime ungeniert ausleben. Lynchmorde gegen vermeintliche Kuhhändler sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Wenn sich dann doch mal Polizisten dem Mob in den Weg stellen, wie am 3. Dezember 2018 im Ort Bulandshahr, werden sie wie Inspektor Subodh Singh ebenfalls gelyncht.

Doch in der Regel schlägt sich die Polizei auf die Seite der Hindu-Fanatiker, wie bei den Demonstrationen gegen den Citizenship-Amendment-Act (CAA) im Dezember 2019. Obwohl im ganzen Land protestiert wurde, stammten 18 der 25 toten Demonstranten aus Uttar Pradesh – die meisten waren Muslime.

Die Verantwortlichen in Uttar Pradesh behaupteten, dass die Polizei während der Proteste nicht einen Schuss abgegeben hätte. Doch nicht nur Filme bewiesen das Gegenteil. Ein Beamter musste sogar zugeben, dass er im Dienst einen Demonstranten mit einer privaten Pistole erschossen hatte, in Notwehr, wie er meinte.

In Wild-West Manier ließ die Regierung von Yogi Adityanath anschließend im ganzen Bundesstaat Steckbriefe von vermeintlichen Unruhestiftern anbringen. Selbst nachdem der High Court diese Aktion untersagt hatte, blieben die Steckbriefe noch wochenlang hängen.

Doch auch andere religiöse Minderheiten leben mittlerweile gefährlich. Von den 300 Gewalttaten gegen Christen in Indien im Jahr 2021 fanden 80 in Uttar Pradesh statt. Auch in Sachen Gewalt gegen Dalits führt Uttar Pradesh mit 36.467 Fällen alleine zwischen 2018 und 2020 die Rangliste an.

Seitdem Yogi Adityanath regiert, wurden in Uttar Pradesh 12 Journalisten ermordet, 48 körperlich angegriffen, 66 Journalistin verhaftet und gegen 138 Strafanzeigen gestellt, wie das Committee Against Assault on Journalists in einer Untersuchung auflistet.

Gopal Krishna vom Citizens Forum for Civil Liberties sagt:

Seit Yogi an die Macht gekommen ist, hat die Gewalt gegen Minderheiten im Allgemeinen und gegen sunnitische Muslime im Besonderen zugenommen. Die eigentliche Tragödie besteht darin, dass von Pseudo-Anhängern, die vorgeben, religiös zu sein, Gewalt gegen Muslime und andere Minderheiten entfesselt wurde, um eine Polarisierung herbeizuführen.

Der Hintergedanke dieser sogenannten lokal isolierten Unruhen ist es, einen nationalen Dominoeffekt zu erzeugen. Das Motiv geht über unmittelbare Wahlgewinne hinaus, auf die sich die Wahlopposition vollständig konzentriert. Das Motiv ist die totale Kontrolle.

Auch wenn es bei Wahlen in Uttar Pradesh wichtig ist, Koalitionen und Bündnisse mit den Vertretern verschiedenster Kasten und Organisationen zu schmieden, gibt es nur einen ernsthaften Konkurrenten für Yogi Adityanath und seine BJP, den 49-jährigen Akhilesh Yadav, Chief Minister in Uttar Pradesh von 2012 bis 2017.

Die Partei übernahm Yadav von seinem Vater, der insgesamt fünfmal Chief Minister war. Genau von diesen Politiker-Dynastien hatten die Menschen Indiens genug, als sie auch Narendra Modi 2014 zum Wahlsieg verhalfen.