Wann ist Kritik "verschwörungstheoretisch", wann ist Protest "rechts"?

Seite 3: Zum konkreten Verhalten der rechtsextremen Kräfte in der Corona-Krise

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Wollt Ihr, im Angesicht der aktuellen Krise, lieber den Ausnahmestaat - oder darf’s ein bisschen mehr völkische Volksbewegung sein?

Ungefähr zwischen diesen beiden Polen oszillieren die Reaktionen der meisten rechtsextremen Parteien und Bewegungen, in Europa und darüber hinaus. Einige von ihnen, etwa die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich, nahmen dabei im Laufe der Wochen wandelnde Positionen ein.

Modell Trump & Co…

Im internationalen Maßstab lassen sich die Positionen in etwa zwischen zwei Extrempunkten einordnen. Auf der einen Seite stehen "modellhaft" die beiden Rechtspolitiker Donald Trump in den USA und Jair Messias Bolsonaro in Brasilien, die in ihren jeweiligen Ländern Straßenbewegungen mit entfachen, um gegen die - in ihren Augen überflüssigen oder überteuren - sanitären Maßnahmen von Lokalregierungen oder Gouverneuren mobil zu machen.

Dabei geht es im Kern darum, endlich wieder der freien wirtschaftlichen Entfaltung der Kapitalkräfte zum Durchbruch zu verhelfen; und wenn dann ein paar Alte hier oder Diabetiker dort sterben sollten, dann hätten diese sich eben besser schützen müssen - punktum, sonst: Pech für sie.

In beiden Fällen gilt, dass Trump wie auch Bolsonaro in den vergangenen Jahren Koalitionen hinter sich aufbauten, die sich zwar sicherlich nicht auf die extreme Rechte beschränken - sondern besonders wirtschaftsliberale und manche konservativen Kräfte sowie die religiöse Rechte umfassen -, jedoch faschistische Elemente einschließen. (Ähnlich wie auch Viktor Orban in Ungarn, oder in jüngerer Vergangenheit Silvio Berlusconi - er regierte dreimal mit der rechtsextremen Lega und dem früheren MSI - sowie Benjamin Netanyahu in Israel u.a. mit kolonialfaschistischen Siedlerrepräsentanten.)

Bei jüngsten Demonstrationen von Teilen der nordamerikanischen Rechten zwischen Seattle und Philadelphia und Concord (New Hampshire) trafen sich Aktivisten vom rechten Flügel der Trump-Anhängerschaft oder aus den Reihen der Bewegung für freien Waffenbesitz mit Neonazis und weißen Rassisten. In Lansing, Michigan am 15. April 2020 riefen dazu auch die Michigan Militia, eine der gegen den Zentralstaat - als zur Einrichtung einer "Weltregierung" dienende Verschwörung - kämpfenden regionalen "Milizen", und die Michigan Conservative Coalition auf.

Letztere unterhält eine Facebookseite, die regelmäßig durch den Suprematisten (Anhänger weißer Überlegenheit) "Stonesoss" illustriert wird. Angefeuert wurden die Demonstrierenden direkt durch Trump, auf dessen Twitter-Konto dazu aufgefordert wurde: "Befreit Michigan! Befreit Minnesota! Befreit Virginia!" Frei nach dem Motto: Befreien Sie drei Länder Ihrer Wahl… Die Protestierenden riefen etwa "Lasst uns arbeiten!"… und als im Staat Colorado Krankenschwestern und Krankenpfleger ihren Weg blockierten, beschimpften sie diese als "Kommunistinnen", die doch "nach China gehen" sollten.

Letztere Aufforderung wurde daraufhin in den einschlägigen Milieus zum geflügelten Begriff und auf einer Reihe von Facebookseiten affirmativ übernommen.

In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai erneuerten die rechten, militant-konservativen bis faschistischen Provokateure in Lansing, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Michigan, ihre Aktionen - und marschierten dieses Mal bedrohlich mit Waffen innerhalb des Parlamentsgebäudes auf. Kurz, man spielte Putsch, mindestens auf symbolischer Ebene! Wobei das Waffentragen in amtlichen Gebäuden in diesem US-Bundesstaat allerdings legal ist …

Dass solcherlei Aktivitäten absolut nichts mit irgendwie antiautoritären Positionen zu haben, belegte kurz darauf auch Bolsonaro, der sich am 19. April 2020 bei einer Demonstration vor dem Hauptquartier der Armee zujubeln ließ und dortselbst die Militärs zum Putschen aufforderte, um den brasilianischen Kongress nach Hause zu schicken. Seit dem 21. April ermittelt deswegen sogar ein Richter am Obersten Gerichtshof gegen die Organisatoren der Veranstaltung.

…oder Modell Duterte?

Den anderen Gegenpol im rechtsautoritären Spektrum nimmt unterdessen der philippinische Präsident Rodrigo Duterte ein. Jener genießt sichtlich die Notstandsvollmachten, die die Corona-Krise in seinen Augen legitimiert und forderte dazu auf, diejenigen zu erschießen, die die Ausgangssperren übertreten. Womit er allerdings auch nur in einem anderen Kontext aktualisiert, was er bereits vor vier Jahren in anderem Zusammenhang über Drogensüchtige oder -verkäufer äußerte.

Neofaschistische und verwandte Parteien im europäischen Kontext, der unter anderem durch eine gewisse Stabilität der parlamentarischen Demokratie in den letzten Jahrzehnten und einem - im Vergleich etwa zu Brasilien und den USA - relativ geringen alltäglichen Gewaltniveau geprägt ist, können nicht in identischer Form agieren, möchten sie als halbwegs seriös erscheinen.

Doch zwischen dem hemmungslosen Ausleben von Fantasien über die Vollmachten des Notstandsstaats einerseits und dem Aufruf zum rechten Volksprotest gegen Vertreter eines schlechtes Establishments, die doch nur die Tüchtigen gängelten, um Schwächlinge vor sanitären Risiken zu schützen, auf der anderen Seite schwanken auch hier die Positionen.

Hinzu kommt jedoch der Anspruch, in Zeiten der Not den Anschein staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins zu erwecken.

Zur FPÖ in Österreich

In den, in unregelmäßigen Abständen per E-Mail ausgesandten Newsletter der FPÖ in Österreich beispielsweise wurde im Laufe des Krisenausbruchsmonats März zunächst die Einheit der Nation gegen den Virusfeind beschworen. "FPÖ ist Teil des nationalen Schulterschlusses gegen den Coronavirus", war etwa am 15. März zu lesen. Und am 19. März: "Österreich muss jetzt zusammenhalten!"

Doch diese Linie… war gestern. Je länger die Krise anhielt, desto stärker setzte sich die Ibiza-geschädigte Rechtspartei vom - seit dem 1. Januar 2020 nunmehr schwarz-grünen - Regierungslager ab, darauf bauend, dass die Maßnahmen der Regierenden mit steigender Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahl wohl unpopulärer als am Anfang würden.

Am 1. April 2020 hieß es noch, in einer Art von verbalem Balanceakt: "Nationaler Schulterschluss heißt nicht Gleichschaltung, sondern Bündelung der Kräfte." Der rechtsextreme Ex-Innenminister Herbert Kickl gibt in einem dort verlinkten Interview "seinen Carl Schmitt", der daran erinnert, dass der Staat über den Ausnahmezustand gebietet, also "dass das Recht der Politik zu folgen hat" - die "Richtigkeit und die Gültigkeit dieses Satzes" würden durch die Krisenerlasse ja bestätigt.

Allerdings, fügte er hinzu, sei der entscheidende Punkt, "dass das Recht natürlich der richtigen Politik zu folgen hat".

Und diese, so war darin impliziert, verkörperte nun einmal nicht die ÖVP oder gar die Grünen. Überdeutlich wird hier der autoritäre Führungsanspruch, der wie selbstverständlich beinhaltet, dass man explizit angibt, sich auch über Rechtsnormen hinwegsetzen zu dürfen: Die Politik, und zwar nur die eigene!, gebietet über den Notstand.

Wenige Wochen später hat sich der Ton tüchtig gewandelt, jedenfalls vordergründig; Und nun steht der amtierende Kanzler (Sebastian Kurz) in den Worten der FPÖ für eine unzulässige Bevormundung der Bevölkerung: "Kurz‘ neue Normalität ist ein anderer Begriff für Ausnahmezustand", wird ihm am 21. April vorgeworfen und am folgenden Tag: "Kurz versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken."

Gegenstand der Kritik sind allerdings nicht beispielsweise die Modalitäten von Polizeikontrollen, sondern die Umsatzverluste für Unternehmen, die nicht arbeiten dürfen. Die Rede ist von einer "Angstmaschinerie", und es wird bemängelt: "Die Kritiker wurden als ungläubige Ketzer hingestellt." Als positives Gegenbeispiel wird das vermeintliche schwedische Modell, das auch in diesem Artikel bereits angesprochen wurde, gesetzt.

Am Montag, den 27. April 2020, publizierte die FPÖ in diesem Sinne eine Petition unter dem Titel: "Allianz gegen den Corona-Wahnsinn". Und bei ihrer virtuellen 1. Mai-Demonstration dieses Jahres legte die FPÖ-Spitze von A bis Z den Schwerpunkt auf die Nöte der armen leidenden Unternehmen, die durch eine unverantwortliche österreichische Regierung mit ihrer unbegründeten Corona-Hysterie in den Ruin getrieben würden.

Seitdem rief die rechtsextreme Partei im Laufe des Monats Mai zu weiteren Straßenprotesten auf. Dabei ging es ihren Worten zufolge "gegen den Corona-Wahnsinn und für die Freiheit aller Österreicherinnen und Österreicher", die natürlich bei der vom einstigen Staatssekretär unter Adolf Hitler - Anton Reinthaller - aufgebauten Partei in besonders guten Händen zu liegen scheint. Auch die plakative Forderung "Masken weg!" war dabei ein Thema.